Die Argumentation von Olaf Scholz gegen die Lieferung von Taurus an die Ukraine ist innenpolitisch motiviert und sackt in sich zusammen.
Kommentar zu TaurusDer Autoritätsverlust des Kanzlers schreitet voran
Wie es um die Ampelkoalition und ihr Oberhaupt bestellt ist, lässt sich an den Meldungen überregionaler Medien ablesen. Die „Welt“ schreibt, Verteidigungsminister Boris Pistorius lasse trotz des Vetos von Olaf Scholz alle Taurus-Raketen für einen etwaigen Export ertüchtigen. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, Außenministerin Annalena Baerbock suche nach Wegen, die Lieferung der gleichnamigen Marschflugkörper an die von Russland angegriffene Ukraine doch noch zu ermöglichen. Die „Zeit“ schließlich kommt zu dem Fazit: „Der Bundeskanzler verliert zusehends die Kontrolle.“
Der vierte sozialdemokratische Regierungschef in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hatte sein Nein zur Taurus-Lieferung in der vorigen Woche vor Schülern im baden-württembergischen Sindelfingen mit einem Satz in leichter Sprache zu untermauern versucht. Der Satz lautete: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“ Tatsächlich wird dieser Satz seit Tagen auf seine Realitätstüchtigkeit überprüft. Und siehe da: Damit ist es nicht weit her.
London ist empört über Geheimnisverrat von Scholz
Das von Russland abgehörte Gespräch von vier Bundeswehroffizieren lässt zumindest Zweifel an Scholz‘ Behauptung aufkommen, wonach Bundeswehr-Soldaten mitgeschickt werden müssten, um den Einsatz der Taurus zu bewerkstelligen. Tatsächlich geht es um Kontrolle. Der britische Außenminister David Cameron gab ihm mit seinem jüngsten Interview gleich zweimal Kontra.
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Zunächst sagte er, über den Hinweis des Kanzlers, wonach Großbritannien zu demselben Zweck eigenes Personal in die Ukraine entsandt habe, rede man „hinter verschlossenen Türen“. Sprich: Diesen Geheimnisverrat finden sie in London gar nicht lustig. Überdies zeigte sich Cameron der Idee nicht abgeneigt, wonach Deutschland den Briten Taurus gibt, während die Briten den Ukrainern weitere eigene Marschflugkörper geben.
Taurus-Verweigerung des Kanzlers ist innenpolitisch motiviert
Das Nein des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil zu diesem Ringtausch ist verräterisch und untergräbt die Argumentation des Kanzlers, wonach Deutschland nicht Kriegspartei werden dürfe, zusätzlich.
In Wahrheit ist die Weigerung der Sozialdemokraten ein Zeichen des Misstrauens gegen die Ukraine – und noch dazu innenpolitisch motiviert. Sie möchten sich aufgrund sinkender Umfragewerte als „Friedenspartei“ profilieren. Dafür spricht, dass die SPD-Bundestagsfraktion zuletzt den Parteilinken Ralf Stegner ans Rednerpult schickte, als es um die Ukraine ging – und Fraktionschef Rolf Mützenich in einer der hinteren Reihen Platz nahm, um Verteidigungsminister Boris Pistorius nicht applaudieren zu müssen. Denn der denkt vollkommen anders.
Argumentation von Scholz sackt in sich zusammen
Mit anderen Worten: Scholz‘ ganze Argumentation sackt in sich zusammen. Und der nunmehr zweite Versuch der Union, die Ampelkoalition mit einem Bundestagsantrag zur Taurus-Lieferung zu zwingen, vergrößert seine Misere. Zwar sprechen selbst die Grünen von einem durchschaubaren Manöver der Opposition. Hinter verschlossenen Türen fluchen sie aber über den Kanzler. Dessen Warnung, mit den Taurus werde Deutschland Kriegspartei, halten manche gar für „perfide“. Um Scholz‘ Verhältnis zur FDP ist es seit dem Haushaltsstreit ebenfalls schlecht bestellt.
Die Taurus-Weigerung könnte sich schließlich als kurzsichtig erweisen, weil sie das Risiko erhöht, dass die Ukraine den Krieg wegen mangelnder Unterstützung verliert. Dann müsste Deutschland mit erheblich steigenden Flüchtlingszahlen rechnen – und noch mehr zur Verteidigung des eigenen Landes tun.
Olaf Scholz‘ Satz „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“ mag also in einer Schule noch verfangen. Im Regierungsviertel verfängt er längst nicht mehr. Hier schreitet der Autoritätsverlust voran.