Annika Holzke hat ihr Lehramtsstudium abgebrochen: Sie berichtet, warum sie einen Job nicht will, der stark gefragt ist.
Lehramtsstudium abgebrochenStudentin will doch keine Lehrerin sein: „Das hat sich als Irrtum herausgestellt“
Das Interesse an Philosophie hatte sie schon lange gepackt, schon in der Schule. Auch im Leistungskurs Physik war sie eine erfolgreiche Schülerin: Warum sollte sie also nicht diese beiden Fächer an der Uni wählen, um auf Lehramt zu studieren, überlegte sich Annika Holzke nach dem Abitur. Der Philosophielehrer und auch eine Nachbarin, die selbst Lehrerin ist, rieten ihr zu: „Unbedingt – wenn Du das durchziehst, hast Du beste Berufschancen.“ Der Rat war gut gemeint, ging aber in die falsche Richtung. „Das hat sich, so muss ich in der Rückschau sagen, als Irrtum herausgestellt“, sagt Annika heute, sie ist 22 Jahre alt. Nach drei Semestern hat sie ihr Lehramtsstudium an den Nagel gehängt. Nun studiert sie in Köln Philosophie und Medien- und Kulturwissenschaften im Zwei-Fach-Bachelor. Besonders fasziniert sie der Fachbereich Games.
„Natürlich sind meine Berufsperspektiven sehr viel weniger eindeutig als zu der Zeit, als ich auf Lehramt studiert habe – aber diesen ‚Luxus‘ nehme ich mir raus“, sagt sie. „Ich achte im Moment auf das, was mich wirklich interessiert, und ich vertraue darauf, dass sich im Laufe des Studiums daraus eine Jobmöglichkeit ergibt.“
Deutschland braucht dringend Lehrkräfte. Nach Schätzungen der Kultusministerkonferenz werden in der kommenden zehn Jahren mindestens 30.000 Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen fehlen. Das Interesse am Lehramtsstudium an den Hochschulen ist mit 13,7 Prozent weniger Studienanfängern im Studienjahr 2021/22 gegenüber dem Vorjahr bundesweit gesunken. In NRW ist die Zahl nicht ganz so hoch, doch auch hier ist im Wintersemester 2022/23 die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger für ein Lehramt um 1,4 Prozent niedriger als im Jahr zuvor. Das teilt das Statistische Landesamt anhand vorläufiger Ergebnisse aktuell mit.
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„Als Lehramtsstudierende musste ich das Fach Bildungswissenschaften belegen – BiWi“, erzählt Annika Holzke. „Nun hatte ich im ersten Semester fast keine Zeit für mein Philosophiestudium, weil Physik alles dominierte. Jeder Lehrende an der Uni tut so, als sei sein Studienfach das einzige, das war dann auch in BiWi so. Das ist einfach zu viel, vor allem auch im Hinblick darauf, dass man das Erlernte als Lehrkraft in der Schule in diesem Wissensumfang gar nicht braucht und anwenden kann.“
Die Belastung wächst
Viele, die gerne Lehrerin oder Lehrer werden wollten, geraten ins Grübeln – sie zweifeln wie Annika Holzke schon während des Studiums, ob dies der richtige Beruf für sie ist: Gerade gehen die geburtenstarken Jahrgänge nach und nach in Rente, im Gegenzug wächst die Belastung für alle, die nachrücken. Und was hört man nicht alles von denen, die in der Laufbahn feststecken: Sie leiden an Burn-out, ihr Beruf wird nicht mehr wertgeschätzt, oft sind sie Zielscheibe von Aggressionen von Schülern wie von Eltern. Und nun will die Politik auch noch die Teilzeit einschränken und Lehrkräfte an unterbesetzte Schulen abordnen. Es scheint, als würden Bildungspolitiker, aber auch der Ausbildungsbetrieb alles tun, um das Gegenteil von dem zu erreichen, was sie eigentlich wollen – den Beruf attraktiver machen.
Wenn die Zweifel wie bei Annika Holzke so übermächtig werden, dass man das Studium lieber abbricht, wird man Teil der „Schwundbilanz“, wie es in den Wissenschaftsministerien der Länder heißt. Deutschlandweit werden die Ausstiegszahlen auf eine Quote zwischen 30 und 40 Prozent geschätzt – genaue statistische Angaben gibt es nicht. Im Düsseldorfer Ministerium freut man sich, dass NRW offenbar deutlich unter diesem Wert liege. Das lasse auf eine hohe Attraktivität des Lehramtsstudiums schließen.
Im Lehrerinnen-Dasein erprobt
Auch Annika Holzke hatte ihre „anregenden Phasen“, wie sie sagt – zum Beispiel das sogenannte Eignungs- und Orientierungspraktikum. „Da sitzt man normalerweise nur im Unterricht und sieht der Lehrkraft zu. Ich dachte immer: Was soll das? Das kenne ich doch von früher.“ Doch in diesem Praktikumerfährt sie von Projekt namens „Weichenstellung“ der Uni Köln, in dessen Rahmen Lehramtsstudierende an Grundschulen vermittelt werden. „Dort sollten wir uns um Kinder aus sozial schwierigen Elternhäusern kümmern, die zwar das Potenzial fürs Gymnasium haben, aber nicht genug Förderung erfuhren. Ich konnte mich auch schon ein wenig im Lehrerinnen-Dasein erproben.Das war für mich ein wichtiger Schritt, weil ich mich bis dahin immer gefragt habe, wie ich wohl vor 30 aufgedrehten Schülerinnen und Schülern die Zähne auseinander bekommen würde.
Ein paar Wochen Praktikum mit guten Erfahrungen can ein Motivationsschub sein – ein ganzes Studium tragen sie nicht, zumal so ein anspruchsvolles wie im Fach Physik, das man nicht studieren sollte, „wenn man nicht total dahinter steht“, wie Annika sagt. Und wer weiß mit Anfang Zwanzig schon genau, wie man wo dahinter steht? Hinzu kommt, dass der Beamtenstatus nicht mehr wie früher zieht. Zwar ist der Beruf einer Lehrkraft in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gut bezahlt – aber „sichere Arbeitsplätze gibt es inzwischen auch woanders“, sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger.Wie ihre berufliche Zukunft aussehen könnte – dieser Gedanke hat auch Annika abgeschreckt: Vor einer Klasse zu stehen, „die so gar keinen Bock hat“, Jahr für Jahr Schülerinnen und Schüler erklären zu müssen, was Utilitarismus ist.
Annika Holzke ist zufrieden jetzt, da sie sich klar gegen das Lehramtsstudium und für ihre tatsächlichen Neigungen entschieden hat. Und sollte sie doch einmal an einer Schule arbeiten wollen, könnte sie wahrscheinlich auf recht einfachem Weg zu ihren ursprünglichen Zielen zurückkehren – Quereinsteiger sind gerade gefragt. Physik wird Annika allerdings nicht unterrichten: „Das Verrückte war: Als ich mich dazu entschieden habe, das Lehramtsstudium abzubrechen, habe ich sozusagen von heute auf morgen alles Wissen über Physik und Mathematik verloren. Komplett weg.“
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