Wie ist die Razzia gegen die Klimaschützer von „Letzte Generation“ zu bewerten? Darüber gibt es eine Kontroverse.
KlimaaktivistenKritik nach Razzia bei „Letzte Generation“ – Häme für Berlins Senatorin nach „Tagesthemen“-Interview
Nach der bundesweiten Razzia gegen die Aktivisten von „Letzte Generation“ ist es am Mittwochnachmittag und -abend in mehreren Städten zu Solidaritätskundgebungen gekommen. In Berlin protestierten mehrere Hundert Menschen gegen das Vorgehen der Münchener Ermittler, die der Gruppe die Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorwerfen.
Durchsucht wurde auch die Wohnung der bundesweit bekannten Sprecherin Carla Hinrichs in Berlin-Kreuzberg. Hinrichs berichtete, die Polizei habe die Tür eingetreten und sei mit gezogener Waffe in ihr Zimmer gelaufen, als sie noch im Bett lag. Die „Letzte Generation“ wirft den Behörden Einschüchterung und Verbreitung von Angst vor, obwohl man stets friedlich protestiere.
Nicht nur von den Betroffenen selber kommt Kritik am Vorgehen der bayerischen Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern auch von Juristen. So sagte der Vorstandsvorsitzende des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), Peer Stolle: „Das ist politisches Strafrecht in Reinform“. Die Unterstellung, die „Letzte Generation“ arbeite mit Gewalt und sei verfassungsfeindlich, sei falsch.
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Andere Juristen wie Arndt Kempgens, Fachanwalt für Verkehrsrecht, sehen die Voraussetzungen für die Ermittlungen dagegen gegeben. „Leider ist die ‚Letzte Generation‘ eindeutig als kriminelle Vereinigung anzusehen“, so der Anwalt, denn sie begehe Straftaten wie Nötigung.
Der Extremismusforscher Matthias Quent sieht allerdings die Gefahr, dass die Aktivisten erst durch das Vorgehen der Ermittler in die Radikalisierung gedrängt werden. Das Exempel, das statuiert werden solle, könne „Abschreckungseffekte haben, die nach hinten losgehen“, sagte Quent der dpa. Bislang sei dies aber nicht zu beobachten. „Im Gegenteil: Ich finde es bemerkenswert, wie ruhig die bleiben, auch wenn sie angegriffen werden“, so Quent.
Ermittlungen gegen „Letzte Generation“: Staatsanwaltschaft München macht Fehler
Kritik hatte es am Vorgehen der Staatsanwaltschaft München bereits am Mittwoch aufgrund eines gravierenden Fehlers in der Kommunikation gegeben. Nachdem sie die Website der „Letzten Generation“ für mehrere Stunden abgeschaltet hatte, war dort zunächst der Hinweise zu sehen: „Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß §129 StGB dar!“. Und auch eine Warnung wurde ausgesprochen: „Spenden an die ‚Letzte Generation‘ stellen mithin ein strafbares Unterstützen der kriminellen Vereinigung dar!“
Erst nach mehreren Stunden wurde der ganz offensichtlich falsche Hinweis gelöscht. Nur ein Gericht hätte feststellen können, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt. Die Staatsanwaltschaft hatte also aus einem Anfangsverdacht eine Tatsache gemacht – ein Vorgang, der für heftige Reaktionen in den sozialen Netzwerken sorgte und auch auf der Bundespressekonferenz in Berlin zum Thema wurde.
„Tagesthemen“:Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg macht keine gute Figur
Auch die neue Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) hatte einige Tage zuvor mitgeteilt, prüfen zu lassen, ob die „Letzte Generation“ als kriminelle Vereinigung eingestuft werden kann. Die Berliner Staatsanwaltschaft hielt das allerdings nicht für gegeben. Die frühere Vize-Präsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz sagte, Leben und Alltag der Menschen in Berlin seien durch die Klimaaktivisten stark beeinträchtigt und manchmal auch gefährdet.
Erst Mitte des Monats hatte das Landgericht Potsdam den Anfangsverdacht der Staatsanwaltschaft in Neuruppin bestätigt, dass die Gruppe eine kriminelle Vereinigung sein könnte. Warum jetzt die bayerischen Ermittler den gleichen Sachverhalt untersuchen, ist unklar.
Nach der Razzia vom Mittwoch bekräftigte Badenberg ihre Auffassung. Sie bezeichnete die Blockadeaktionen als „irritierend“, „unverantwortlich“ und „befremdlich“. Sie finde es belastend, „dass die Aktivisten andere Menschen mittels Gewalt - im juristischen Sinne - tagtäglich nötigen“, sagte Badenberg der dpa.
In einem Interview, das Badenberg am Mittwochabend Aline Abboud in den „Tagesthemen“ gab, ruderte die Senatorin dann aber schon etwas zurück. Sie sagte, in Gänze könne die Gruppe nicht als eine kriminelle Vereinigung eingestuft werden, „sondern es geht ja immer um dem konkreten Einzelfall, den dann die Gerichte zu bewerten haben“.
Für ihren Auftritt bekam Badenberg viel Kritik in den sozialen Netzwerken. Viele User nennen das Interview peinlich und verstörend, da Badenberg sichtlich unsouverän antwortete und konkrete Antworten auf die Fragen von Abboud nach dem Vorwurf der „kriminellen Vereinigung“ schuldig blieb. „Das liegt nicht in meinem Verantwortungsbereich. Ob die Letzte Generation in den Untergrund zu gehen hat, das ist eine Entscheidung, die die Letzte Generation für sich treffen muss“, sagte Badenberg auf die Frage, was ihr Ziel als Justizsenatorin sei.
Grünen-Politikerin Renate Künast nannte das Gespräch das „peinlichste Interview des Tages“ und bekam viele zustimmende Reaktionen auf ihren Tweet.