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Mehr als nur Einzelfälle?Rassismus und Rechtsextremismus in der NRW-Polizei

Lesezeit 17 Minuten
Neuer Inhalt

Polizisten halten während einer Demonstration ihre Schutzhelme unter dem Arm.

  1. Seit Bekanntwerden von rechtsextremen Chatgruppen innerhalb der Polizei gibt es eine breite Debatte um die Verfassungstreue von Beamten
  2. Doch Wissenschaftler mahnen: Man muss zwischen verschiedenen Problemen differenzieren
  3. Dennoch zeigt sich nach Gesprächen mit Polizisten, Betroffenen, Ausbildern und Soziologen: Dass auch die NRW-Polizei Probleme hat, steht außer Frage

Köln.September 2020. Weil ein Polizist Interna an einen Journalisten verraten haben soll, durchsuchen Beamte sein Smartphone. Fast beiläufig stoßen sie auf fünf „WhatsApp“-Gruppen mit Namen wie „Alphateam“, „Anton!“ oder „A-Team“, der weitere Polizistinnen und Polizisten angehören. Darin Hunderte Dateien, die strafrechtlich relevant sein könnten, mindestens aber verstören: Bilder, die Adolf Hitler glorifizieren. Eine fiktive Darstellung eines Geflüchteten in einer Gaskammer. Ein Foto von einer schwarzen Frau, der ein Arm fehlt, darunter der Spruch „Keine Rechte“. Auch ein „neues deutsches Volkslied“ wird zitiert: „Flüchtling, Flüchtling über alles. Über alles in der Welt. Komm zu uns im Fall des Falles. Friss Dich satt für unser Geld!“

Mittwoch, 16. September. Um 11 Uhr tritt der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, in Düsseldorf vor Journalisten, die er eilig hat einladen lassen. Noch weiß keiner der Medienvertreter, worum es gehen wird, nur, dass es etwas wichtiges sein muss. Heute ist auch Plenarsitzung, eigentlich gibt es an diesen Tagen keine Pressekonferenzen. Was Reul allerdings in den Minuten danach verkündet, konnte dringlicher kaum sein, es wiegt schwer, in den Wochen darauf wird es zu einem der größten Skandale in der NRW-Polizei heranwachsen.

29 Polizistinnen und Polizisten sollen vermutlich seit 2013 in privaten Chatgruppen mindestens 128 Nachrichten und Bilder mit rechtsextremem, menschenverachtendem Inhalt verbreitet oder empfangen haben. Die allermeisten der Beamten haben irgendwann einmal in ein und derselben Dienstgruppe auf der Polizeiwache Mülheim an der Ruhr gearbeitet, waren Teil derselben „Schicht“. Sie alle wurden sofort vom Dienst suspendiert. Eine Sonderkommission unter dem Namen „Parabel“ wertet seitdem die Verläufe aus.

Alles zum Thema Herbert Reul

Auch zwei Monate später sind erst etwas mehr als die Hälfte der Beweismittel untersucht. Dennoch neue Details bekannt geworden: Ein Beschuldigter, der 51 der Dateien versendet haben soll, scheint mit der Rockergang „Bandidos“ vernetzt zu sein, zudem Kontakt zu Mitgliedern einer rechtsextremen Bürgerwehr und einer Hooligan-Gruppe aus Essen zu haben. Ein Kommissar, der ebenfalls mutmaßlich volksverhetzende Inhalte verschickt hat, soll bei einem Einsatz einen gefesselten Deutsch-Montenegriner grundlos geschlagen haben, anschließend von zwei Dienstgruppenleitern gedeckt worden sein. Einer von ihnen gehörte ebenfalls der Gruppe „Alphateam“ an. Die Staatsanwaltschaft Duisburg ermittelt, in dem Vorfall und zu den Inhalten der Chatgruppe.

Innenminister: „Keine Einzelfälle mehr“

Doch schon bevor das alles an die Öffentlichkeit gelangt, schon bei der Pressekonferenz an jenem 16. September, sagt Innenminister Reul etwas, das in der Diskussion um Rechtsextremismus in der Polizei einer 180-Grad-Drehung gleichkommt.

Es sei nun klar, dass man es nicht nur mit Einzelfällen zu tun habe.

Reul hat sich nicht versprochen, auch in den Wochen darauf hörte man diesen Satz immer wieder von ihm: „Zu viele Fälle, als dass man noch von Einzelfällen sprechen kann.“

Polizisten schwören bei ihrem Amtsantritt einen Eid auf das Grundgesetz. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Und vor allem die der Polizei, denn ihre Mitarbeiter üben die Staatsgewalt so direkt aus wie keine zweite Behörde, zur Not auch mit richtiger Gewalt, auf der Straße, bei Tag und bei Nacht, sie bekommen dafür eine Pistole. Ihre Aufgabe ist es, die Bürger zu schützen. Was aber, wenn von ihr selbst eine Gefahr für Minderheiten ausgeht?

„Das Problem“ gibt es nicht

In der Debatte um rechte Gesinnungen innerhalb der Polizei werden oft Dinge vermischt, Wissenschaftler setzen sich für mehr Differenzierung ein: Da gibt es einerseits rechtsextreme Tendenzen von Mitarbeitern wie im Fall der Chatgruppen. Dann gibt es die rassistisch-motivierte Polizeigewalt, über die viel nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd gesprochen wurde. Und das Racial Profiling, das anlasslose Kontrollieren von Menschen, die anders aussehen, als das, was manch einer vielleicht für stereotypisch deutsch hält.

Auch deshalb kann dieser Text kaum Antworten darauf liefern, wie groß „das Problem“ ist, weil es „das Problem“ nicht gibt. Und doch zeigt sich nach Gesprächen mit Polizeibeamten und Betroffenen, mit Ausbildern und Soziologen:

Dass auch die NRW-Polizei Probleme hat, steht außer Frage.

Mai 2019. Auf der Sonnenblende eines Mannschaftswagens der Polizei Duisburg wird während einer Demonstration ein Aufkleber der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ entdeckt. Bis heute ist nicht klar, wer ihn befestigt hat.

August 2019. Wegen eines Verdachts auf Verletzung des Dienstgeheimnisses prüfen interne Ermittler das Handy eines Kölner Bezirkspolizisten. Darauf finden sie zufällig eine „Whatsapp“-Nachricht mit einem Foto von Adolf Hitler und einem judenfeindlichen Spruch. Beides soll der Polizist an vier Freunde weitergeleitet haben. Das Verfahren gegen den Beamten wuchs, nun ging es plötzlich um Volksverhetzung. Doch die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen bald ein. Der Grund: keine Störung des öffentlichen Friedens – das Foto und der Spruch seien nur in der kleinen, geschlossenen Chatgruppe verbreitet worden. Das Disziplinarverfahren gegen den Beamten indes läuft noch. Im äußersten Fall könnte er seinen Job verlieren.

Februar 2020. Die mutmaßliche rechtsextreme Terrorzelle „Gruppe S.“ fliegt auf. Deutschlandweit sollen ihre Mitglieder Anschläge auf Politiker und Moscheen geplant haben. Ein Unterstützer der „Gruppe S.“, der festgenommen wird: Thorsten W., Verwaltungsbeamter bei der Polizei Hamm, der einst auch in die Ausstellung von Waffenscheinen eingebunden gewesen sein soll.

Oktober 2020. Gedenkfeier vor dem Kölner Hauptbahnhof für die Opfer des rechtsextremen Anschlags von Halle ein Jahr zuvor. 200 Menschen sind gekommen. Durch die Menge schlendert ein stämmiger Mann. Gleich mehreren Teilnehmern fällt er unangenehm auf, er trägt ein T-Shirt von Thor Steinar. Das Modelabel gilt als Erkennungsmerkmal der rechtsextremen Szene. Die Veranstalter der Kundgebung vor dem Bahnhof sprechen den Mann an. Zu ihrer Überraschung zieht er einen Dienstausweis aus der Tasche – und stellt sich ihnen als Polizeibeamter vor.

An einem Mittag Anfang Oktober sitzt der Kölner Polizeipräsident Uwe Jacob im großen Besprechungsraum des Präsidiums. Vierte Etage. Vor den bodentiefen Fenstern das Panorama von Kalk und Deutz. Der Rangierbahnhof, die Lanxess-Arena, die neue Feuerwache. Neben dem Behördenchef sitzen Hauptkommissar Carsten Möllers, der Extremismus-Beauftragte der Behörde und Kriminaldirektor Carsten Dübbers, promovierter Soziologe und inzwischen Vize-Chef der Stabstelle „Rechtsextremistische Tendenzen in der Polizei NRW“, die Reul nach den Vorfällen um die Chat-Gruppe in Mülheim an der Ruhr hat einrichten lassen. Die drei kommen gerade aus einer Fortbildungsveranstaltung für die Führungskräfte der Polizei Köln. In diesen Seminaren gehe es viel um innere Haltung, Werte und Vertrauen, erzählt Jacob. Er wolle seine Vorgesetzten bestärken, entschlossen gegen extremistische Äußerungen und extremistisches Verhalten in den eigenen Reihen vorzugehen. Witzchen, die keine Witzchen sind, dürften nicht gedulden werden. Gibt es ernsthafte Zweifel an der Verfassungstreue eines Beamten, muss er sofort raus aus dem Dienst, findet Jacob.

Auch bei dem Beamten im Thor-Steinar-Shirt gab sich der Polizeipräsident Mühe, diese Konsequenz nach außen zu tragen. Schon tags darauf stellte er in einer Pressemitteilung klar, er habe „kein Verständnis“ für das Verhalten des Beamten, einen Personenschützer, der in zivil bei der Kundgebung eingesetzt war. Er wurde in eine andere Dienststelle umgesetzt, das Disziplinarverfahren läuft. Eine strafrechtliche Relevanz hat die Staatsanwaltschaft nicht erkannt.

Insgesamt zehn Disziplinarverfahren wegen rechtsextremer Verdachtsfälle sind aktuell bei der Kölner Polizei anhängig. Dagegen stünden aber auch 1000 Einsätze in Köln und Leverkusen täglich, die fast alle „extrem gut“ liefen, sagt Jacob. „Nach der Polizei kommt niemand mehr, der hier für Ordnung sorgt, 24 Stunden am Tag. 360.000 Mal im Jahr halten die Beamten hier in Köln und Leverkusen ihren Kopf für die Bevölkerung hin“, sagt der Behördenchef. „Und das ist jetzt »die Polizei«, die unter Rassismusverdacht stehen soll?“ Dies werde den Beamten nicht annähernd gerecht, ihm tue das weh. „Wenn die Menschen das Gefühl haben, Polizisten sind alle Rassisten, dann können wir unseren Job nicht mehr machen.“

171 Verdachtsfälle in NRW

Seit 2017 gab es in NRW-Polizeibehörden 171 rechtsextremistische Verdachtsfälle, also solche in denen ein Disziplinar- oder arbeitsrechtliches Verfahren eingeleitet worden ist. Etwa gegen einen Polizisten, der mit Dienstmunition ein Hakenkreuz nachgebaut hat.

171 Verdachtsfälle auf 50.000 Beamte in NRW. Das wirkt nicht viel. „Unabhängig vom Ausmaß der Fallzahlen rechtsextremer Vorkommnisse in der Polizei aber muss eine klare Prämisse gelten“, sagt Wilhelm Heitmeyer, einer der renommiertesten Soziologen Deutschlands. „Jede Gesellschaft hat das Recht darauf zu wissen, was in den Institutionen vor sich geht, die sie mit Macht und Gewalt, also dem Gewaltmonopol ausstattet.“

Falscher Korpsgeist

Lange aber stand das Thema nicht im Fokus der Öffentlichkeit. Lange hat das Innenministerium nicht mit der Entschlossenheit Aufklärung betrieben wie seit Bekanntwerden der Chatgruppen. Herbert Reul selbst hat sich im Nachgang in einer persönliche Mail an die Polizisten des Landes gewendet und vor falschem Korpsgeist gewarnt.

Und ja, den gab es durchaus.

Im Fall der rechten Chats aus Mülheim war mehr als die Hälfte der Beschuldigten - das geht aus internen Unterlagen hervor, die dieser Redaktion vorliegen - nur Empfänger der menschenverachtenden Inhalte. Doch sie schwiegen über Jahre.

Im Fall des Beamten, der die Terrorzelle „Gruppe S.“ unterstützt haben soll, war dessen Gesinnung offenbar auf der Wache bekannt. So hatte er unteranderem einen Aufkleber der „Reichsbürger“-Bewegung auf seinem Auto, einschlägige rechtsextreme Zeitungen lagen an seinem Arbeitsplatz. In einem Facebook-Post forderte der Mann andere Polizisten dazu auf, ihre Dienstwaffe gegen „Gesindel“ zu richten. Die Vorgesetzten meldeten nicht.

Und von dem Personenschützer im Thor-Steinar-Shirt erfuhr die Kölner Behördenleitung nicht etwa aus den eigenen Reihen. Sondern aus dem Internet, durch einen Post von Raba Köln, dem Rheinisch antifaschistischen Bündnis gegen Antisemitismus. Mehrere uniformierte Polizisten hätten vor der Bühne gestanden, um die Kundgebung zu schützen, schildert ein Antifa-Akteur im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber die hätten sich nicht an ihrem Kollegen im Thor-Steinar-Shirt gestört. Tatsächlich hielt es offenbar auch kein Polizist für nötig, einen Vorgesetzten zu informieren, auch nicht im Nachhinein.

Warum Polizisten sich in solchen Fällen gegenseitig schützen, darüber gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse. Studien kommen zumindest auch für die deutsche Polizei zu dem Schluss, dass gerade der enge Zusammenhalt innerhalb von Dienstgruppen Fehlverhalten begünstigen und die Aufklärung dessen verhindern kann, dass durchaus ein Gruppendruck herrscht – auch weil man sich als Polizist im Einsatz blind auf seine Kollegen verlassen können muss. Niemand will der Verräter sein, der am nächsten Tag mit dem Verratenen wieder im Streifenwagen sitzen muss.

Juli 2018. Der Gastprofessor Jitzchak Jochanan Melamed wird in Bonn von einem Mann attackiert. Der Angreifer versucht Melamed die Kippa vom Kopf zu schlagen. Am Tatort eingetroffen, halten die Polizisten irrtümlicher Weise den israelischen Wissenschaftler für den Täter und bringen ihn zu Boden. Melamed wirft den Beamten vor, ihn mehrfach ins Gesicht geschlagen zu haben, während er bereits gefesselt war. Anfang 2019 wird das Verfahren eingestellt.

November 2020. Ein Team um den Kriminologen Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum (RUB) veröffentlicht eine nicht-repräsentative Auswertung über Rassismus und Diskriminierungserfahrungen im Kontext polizeilicher Gewaltausübung. Und kommt zu dem Ergebnis, dass People of Color und Menschen mit Migrationshintergrund öfter Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen mit der Polizei machen als weiße Menschen. In der Studie berichten auch Polizisten anonymisiert. Etwa das hier: „»Heute gehen wir mal (N-Wort) klatschen«, heißt es dann von Kollegen. Die gehen dann gezielt auf die Suche - oder »heute gehen wir Türken jagen«. Und dann gehen die gezielt auf die Suche. Und auch wegen Kleinigkeiten: Blinker vergessen, dann werden Situationen dann aufgebauscht, Handeln provoziert.“

Abdou Gabbar ist Rechtsanwalt in Köln. Viele seiner Mandanten hatten Ärger mit der Polizei. Ein klassischer Fall: Bei einer Personenkontrolle ergibt ein Wort das andere, es folgt ein Platzverweis, ein Handgemenge – und am Ende sitzt jemand gefesselt im Streifenwagen. Der Betroffene zeigt die Polizisten wegen Körperverletzung an, sie ihn wegen Widerstands. Vor Gericht steht Aussage gegen Aussage. Viele Verfahren gegen Polizisten werden eingestellt.

„Ich mache in fast allen Verfahren gegen Polizeibeamte die Erfahrung, dass dort gebunkert, zugemacht und bestritten wird“, sagt Gabbar. In ihrem Verteidigungsreflex machten die Polizisten dann den Bürger zum Täter. Und der habe nicht selten einen Migrationshintergrund.

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„Die Polizei hat definitiv ein Problem“, sagt Gabbar. „Ich würde das aber grundsätzlich gar nicht unbedingt beim Rassismus verorten, sondern eher beim Thema Umgang mit Macht.“ Viele seiner Mandanten berichteten ihm von einem „sehr autoritären bis überheblichen Auftreten“ vor allem junger, männlicher Beamte. Das fange schon damit an, dass sie per se von den Polizisten geduzt würden. „Schon über die Sprache wird ihnen signalisiert: »Ich Chef, du nix«.“

„Wenn mir jemand einfach zuruft: »Scheiß Bulle« - dann hör’ ich weg“

Dieter Hofmanns Haare sind grau, sein Blick ruhig. Über 30 Jahre war er im Streifendienst, in einer Großstadt im Ruhrgebiet, wo genau kann hier nicht stehen, genauso wenig wie sein richtiger Name, denn nur so kann er frei sprechen. Hofmann sagt, auch seiner Erfahrung nach sind es vor allem junge Kollegen, die sich leicht provozieren lassen, weil sie noch unsicher sind, wie sie angespannte Situationen mit Worten lösen. „Wenn mir zum Beispiel jemand einfach zuruft: »Scheiß Bulle« - dann hör’ ich weg. Das ist es mir nicht wert, denen überhaupt meine Aufmerksamkeit zu schenken“, sagt Hofmann. Gerade jüngere Polizisten ließen sich auf so einen Streit öfter ein, glaubt Hofmann, dann steigt auch die Aggressivität des Gegenübers, bis die Situation vielleicht eskaliert.

Dennoch wehrt sich Hofmann gegen den Vorwurf, die Polizei würde Menschen mit anderer Haut- oder Haarfarbe schlechter behandeln. In über 30 Dienstjahren habe er keinen einzigen Fall mitbekommen, in dem jemand nur wegen seines Aussehens kontrolliert worden sei.

„Klar, als ich zum x-ten Mal zu einer stadtbekannten Großfamilie geschickt wurde, habe ich bestimmt auch mal auf dem Weg dahin zu meinem Kollegen gesagt: »Die Libanesen gehen mir auf den Sack«. Aber deswegen bin ich ja kein Rassist“, sagt Hofmann.

April 2017. In einem Bus, der gleich die niederländisch-deutsche Grenze überqueren wird, schaltet Manuel Lorca seine Handy-Kamera an und sagt: „Ich werde mal fragen, warum ich immer zu denjenigen gehöre, deren Perso mitgenommen wird, wenn die Grenzkontrolle kommt.“ Kurz darauf betritt die Bundespolizei den Bus - und nimmt tatsächlich Lorcas Ausweis mit. Es folgt eine kurze Diskussion. Als der damals 27-Jährige fragt, ob es Zufall sei, dass ausgerechnet er, schwarze Haare, schwarzer Bart, immer kontrolliert werde, antwortet der Beamte: „Es gibt mehrere Leute, die eben halt zufällig immer ins Raster passen.“ Das Video stellt Lorca später auf Youtube.

Juni 2019. Burak Yilmaz ist auf dem Rückweg vom Evangelischen Kirchentag, er hat dort an einer Podiumsdiskussion teilgenommen. Auf dem Dortmunder Friedensplatz, so erzählt er es, wird er ohne Grund von der Polizei angehalten. Stichprobenkontrolle, sagen sie. Yilmaz ist der einzige weit und breit, der kontrolliert wird. Er gibt seinen Ausweis her. Einer der Polizisten fragt: „Herr Yilmaz, hatten Sie denn schon mal was mit der Polizei zu tun?“ Er sagt: „Ja, jede Woche!“ Burak Yilmaz ist zu diesem Zeitpunkt noch Dozent an der Polizeihochschule in Duisburg.

Juli 2020. Trotz Empfehlung der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer eine geplante Studie zu Racial Profiling ab. Die Begründung: Racial Profiling sei in Deutschland verboten, Verstöße gegen diese Vorschrift gebe es nur in Ausnahmefällen.

Manuel Lorca kennt die Grenzkontrollen mittlerweile gut. Er studiert Psychologie in Groningen, macht gerade seinen zweiten Master-Abschluss. Vor der Corona-Pandemie, sagt er, fuhr er fast wöchentlich nach Hause, nach Frankfurt. In neun von zehn Fällen sei sein Ausweis von der Polizei mitgenommen geworden, um ihn auf einen Haftbefehl gegenzuchecken. „Obwohl ich akzentfrei deutsch spreche und mich ganz normal verhalte“, sagt Lorca. „Da fällt es mir schwer, noch an Zufälle zu glauben.“

Auch Burak Yilmaz, der bis vor zwei Jahren noch Polizeianwärter unteranderem in der Entwicklung einer rassismus- und antisemitismuskritischen Haltung unterrichtete, hat eine sehr direkte Antwort auf Horst Seehofers Argumentation: „Zu sagen, es gäbe kein Racial Profiling oder das seien Ausnahmefälle, widerspricht völlig meiner Lebensrealität als Deutscher mit Migrationshintergrund. Und auch der meiner Freunde und Bekannten mit Migrationshintergrund.“

Beide werfen der Polizei nicht vor, dass sie von Rassisten durchsetzt ist. Sie haben auch keinen Generalverdacht. Doch sie fühlen sich in der Diskussion nicht ernst genommen.

Yilmaz sagt: „Praktiken wie Racial Profiling beschädigen das Selbstbild von Menschen mit Migrationshintergrund. Weil unterbewusst das Bild vermittelt wird: Der Staat verdächtigt dich, der Staat mag dich nicht.“

Lorca sagt: „Wenn der Innenminister behauptet, Racial Profiling sei kein Problem, dann wirkt es nach außen so, als würden Menschen mit Migrationshintergrund sich einfach anstellen. Die Wahrheit ist: Indem die Polizei mich immer wieder ohne Grund kontrolliert, gibt sie mir das Gefühl, ich bin kein »richtiger« Deutscher. Und wenn die Politik sich dann noch weigert, dieses Problem vernünftig zu beleuchten, dann bestätigt sie mir dieses Gefühl.“

Radikalisierung im Dienst?

In kaum einem anderen Beruf werden Bewerber ähnlich intensiv durchleuchtet wie angehende Polizisten. Führungszeugnis, Check durch den Verfassungsschutz, ein mehrtägiges wissenschaftliches Auswahlverfahren, Rollenspiele, Gespräche mit Psychologen.

Unter Praktikern wie unter Wissenschaftlern gibt es allerdings die These, dass sich anfangs womöglich nur latent vorhandene Vorurteile bei manchen Beamten im Laufe vieler Dienstjahre verstärken oder sogar erst ausbilden – bis hin zu einer rechtsextremen Ausprägung. Jahrelanges Streifefahren in sozial schwachen Vierteln, häufiger Kontakt mit kriminellen Migranten oder langjähriges Ermitteln gegen Clan-Mitglieder – wer seine Haltung und seinen Beruf nicht regelmäßig reflektiert, kann einen Tunnelblick entwickeln und anfällig werden für problematische Sichtweisen.

In einer Studie der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) NRW stellten Forscher 2017 etwa fest, dass angehende Polizisten zu Beginn ihrer drei Studienjahre „keine auffällig erhöhten fremdenfeindlichen Einstellungen“ gezeigt hätten. In diesen Jahren sind Vorlesungen wie „Interkulturelle Kompetenz“ Pflicht. Rassismusprävention spielt darüber hinaus auch in den Fächern Ethik, Politologie und Psychologie eine Rolle.

Im Verlauf des Studiums nahmen diese „fremdenfeindlichen Einstellungen“ dann sogar „signifikant“ ab.

Und im ersten Berufsjahr stiegen sie wieder an. Praxisschock nennen das manche. Die jungen Polizisten sind plötzlich Erfahrungen ausgesetzt, die sie nicht immer gut verarbeiten können. Die vielleicht zu gefährlichen Entwicklungen führen.

Denn die Routine des Dienstalltags sieht zwar Einsatznachbesprechungen vor, doch meist nur in taktischen Belangen. Beamte haben die Möglichkeit, nach besonders belastenden Erlebnissen Psychologen oder Polizeiseelsorger aufzusuchen. Aber eine standardisierte Form von Supervision oder Berufsrollenreflexion, die gibt es nur in der dreijährigen Ausbildung. Es sollte sie auch später im Dienst geben, fordern immer mehr Experten wie zum Beispiel Professor Ulrich Walbrühl, Dozent an der HSPV in Duisburg: „Das wäre empfehlenswert“, sagt er. In anderen Berufen, zum Beispiel unter Ärzten, sei eine regelmäßige Supervision längst Usus oder sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Darüber hinaus existiert noch eine ganze Reihe an Vorschlägen, um rassistische Übergriffe durch Polizisten und auch die Bildung von rechtsextremen Tendenzen innerhalb der Polizei zu verhindern. Die Forderungen reichen von festinstallierten Kameras an den Uniformen der Beamten, über die Einrichtung von unabhängigen Stellen, an die sich Betroffene wenden können, bis hin zu Rotationsprinzipien in den Wachen.

Burak Yilmaz sagt, es wäre schon einiges damit erreicht, wenn Beamte nicht immer nur in einem Kontext von Kriminalität mit Minderheiten in Berührung kommen würden.

Diskussionen um Studie

Und dann ist das natürlich noch die riesige Diskussion um eine Studie. Oder gleich mehrere. Sowohl Reul als auch Seehofer haben mittlerweile angekündigt, zumindest ein bisschen das Verhalten der Polizei wissenschaftlich untersuchen lassen zu wollen. Über beide Forschungsvorhaben ist aber noch so wenig Konkretes bekannt, dass man sie kaum seriös bewerten kann. Soziologe Heitmeyer mahnt zumindest: „Eine Studie, egal in welcher Form, darf nicht unter der Federführung eines Innenministeriums stehen und auch nicht von ihm finanziert werden. Dies verhindert die Unabhängigkeit von Wissenschaft. Die Logiken von politischen Verantwortlichen und Wissenschaft passen nicht zusammen. Wissenschaft will aufklären; regierende Politik will weiter regieren.“

Ein Negativbeispiel sei etwa die Online-Umfrage unter hessischen Polizisten, die das dortige Innenministerium veranlasst hatte und in der sich die Befragten selbst politisch einordnen sollten. Ergebnis: 0.1 Prozent gaben an, „ausgeprägt rechts“ zu sein. Heitmeyer hält von solchen Erhebungen nicht viel, geht es nach ihm, müssten Forscher den Polizeialltag beobachten und in der Praxis vorab definitere Hypothesen untersuchen.

Manuel Lorca erzählt, wenn er heute über die Grenze fährt, dann stutzt er sich vorher immer ein bisschen den Bart. Helfe aber auch nicht wirklich. In dem Video, das er von der Kontrolle gedreht hat, sagt der Polizist zu ihm: „Es tut ja nicht weh“ und „Nehmen Sie es mit Humor“.

Manuel Lorca sagt, er will und wird es nicht mit Humor nehmen, wenn er sich diskriminiert fühlt. Und warum sollte er auch.