Der Kreml lässt wählen, ohne den Menschen eine Wahl zu lassen. Der Sieger, die russische Regierungspartei, stand schon vorher fest.
Mit Maschinengewehren genötigtRusslands Scheinwahlen in den besetzten ukrainischen Gebieten
Begleitet von internationaler Kritik hat Russland am Wochenende Tausende Menschen in den besetzten Gebieten der Ukraine zur Urne gebeten. In den völkerrechtswidrig annektierten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson sollte über kommunale und regionale Vertreter abgestimmt werden. Die Regierung in Kiew und ihre westlichen Verbündeten sprachen von „Scheinwahlen“, denn eine echte Wahl hatten die Bewohnerinnen und Bewohner nicht.
Tatsächlich durften nur russische Parteien an der Scheinwahl teilnehmen. Unter den Kandidatinnen und Kandidaten befanden sich zahlreiche Personen mit engen Verbindungen zum russischen Regime. Der 23-jährige Daniil Basel zum Beispiel gehörte der Moskauer Nationalgarde an, bevor er als Militäroffizier nach Saporischschja kam und dort kandidierte. Laut dem Conflict Intelligence Team (CIT) sollen einige Personen auf den Wahllisten in Kriegsverbrechen und Korruption verwickelt sein. Die Hälfte soll aus Russland angereist sein, auch aus abgelegenen Regionen wie Sibirien und dem Fernen Osten.
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Russland inszeniert Wahlen
„Mit Wahlplakaten und anderer Wahlwerbung versucht Russland den Menschen vorzugaukeln, sie könnten die künftige Politik beeinflussen“, sagt Elina Beketova vom Center for European Policy Analysis (Cepa) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). In Wirklichkeit hätten die Menschen aber überhaupt keinen Einfluss. „Es spielt keine Rolle, wie viele Plakate, Banner und Social-Media-Videos die russischen Besatzer verbreiten – das ist nur eine Inszenierung“, warnt die Expertin. Die russische Militärbesatzung versuche ein lebendiges politisches Leben in den besetzten Gebieten zu zeigen, das nicht existiere.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), kritisiert die Scheinwahlen scharf. „Die Wahlen in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten sind nichts anderes als Potemkinsche Dörfer“, sagt Roth dem RND. „Sie sollen den Anschein geben, dass Russlands Landraub legitim ist und alles nach Putins Plan verläuft.“ Dabei seien sowohl die Scheinwahlen als auch die Annexion völkerrechtswidrig. „Das wurde vergangenen Oktober von einer deutlichen Mehrheit in der UN-Generalversammlung noch einmal bekräftigt.“
Vielerorts seien Menschen unter Druck gesetzt und zur Abstimmung gezwungen worden, heißt es von ukrainischer Seite. Beispiele gibt es zuhauf: In der Region Cherson seien Soldaten mit Maschinengewehren von Haus zu Haus gegangen und die Stimmabgabe habe an der Wohnungstür stattgefunden, berichtet Expertin Beketova. „In den meisten Fällen haben die Menschen leider keine Möglichkeit, sich dieser Scheinwahl zu entziehen“, sagt sie.
In Saporischschja schickten Krankenhaus- und Firmenchefs ihr Personal direkt ins Wahllokal. Solche Situationen gebe es überall in den besetzten Gebieten, so Beketova. „Den Menschen wird gedroht, dass sie entlassen werden oder andere Konsequenzen zu spüren bekommen, wenn sie nicht wählen gehen.“ Nur wenige würden es wagen, gegen Einschüchterung, Angst und Unterdrückung Widerstand zu leisten.
An belebten öffentlichen Plätzen, zum Beispiel an Bushaltestellen und auf Marktplätzen, sollten die Einwohnerinnen und Einwohner ihre Stimmzettel ausfüllen und in durchsichtige Urnen werfen. Auch am Eingang eines Krankenhauses in Mariupol seien Stimmzettel ausgefüllt worden, sagte Petro Andriuschchenko, Berater des im Exil lebenden Bürgermeisters. „Sie haben sich jeden geschnappt, der in der Nähe war, aber sie haben keine Dokumente überprüft“, sagte er. Ukrainische Aktivisten zählten mehr als 100 Fälle, in denen Personen verhaftet wurden, weil sie nicht an der Abstimmung teilnehmen wollten.
Beobachterinnen und Beobachter gehen davon aus, dass die vom Kreml eingesetzten Statthalter im Amt bleiben werden. Sie alle sind Mitglieder der putintreuen russischen Regierungspartei Einiges Russland. Dass sie als Sieger verkündet wird, stand für Beobachterinnen und Beobachter schon vor der Wahl fest.
Die Scheinwahlen seien „eine Farce“, so die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Renata Alt (FDP), zum RND. „Sie haben vor allem das Ziel, Russlands vermeintlichen Anspruch auf diese Territorien zu demonstrieren und die Kollaborateure in den lokalen Machtstrukturen zu Loyalitätsbekundungen zu zwingen.“ Es sei eine grobe Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte der Einwohnerinnen und Einwohner, wenn sie zur Stimmabgabe gezwungen würden. Sie forderte die EU auf, die Organisatoren und Kandidaten zu sanktionieren.
Die von der russischen Besatzungsmacht organisierte Abstimmung hat keine internationale Gültigkeit. Schon die Ergebnisse der Scheinreferenden über die völkerrechtswidrige Annexion der vier ukrainischen Regionen im vergangenen Jahr wurden von anderen Staaten nicht anerkannt.
Die Ukraine hatte die Abstimmung scharf kritisiert. „Russlands Scheinwahlen in den vorübergehend besetzten Gebieten sind null und nichtig“, erklärte das Außenministerium. Die ukrainische Regierung ließ mit Drohnen Flugblätter in den besetzten Gebieten abwerfen. Darin wurden die Bewohnerinnen und Bewohner aufgefordert, sich nicht an der Wahl zu beteiligen.
Auch bei den bis Sonntagabend angesetzten Regionalwahlen in Russland berichteten unabhängige Beobachter und Medien von Verstößen und Betrug. So seien Wählerinnen und Wähler unter Druck gesetzt und Stimmzettel vertauscht worden.
Die russischen Wahlen gelten als die am wenigsten freien seit Beginn der Ära Wladimir Putins in Russland vor rund 24 Jahren. Viele Kritiker der russischen Regierung sind entweder ins Ausland geflüchtet oder inhaftiert und von den Wahlen ausgeschlossen worden.