In NRW stehen 108 Waffenbesitzer unter Verdacht, rechtsextrem zu sein. Die vom Bundesinnenministerium geplante Verschärfung des Waffenrechts wird da kaum helfen.
Correctiv-Recherche mit NRW-Zahlen1000 mutmaßliche Rechtsextreme haben eine Waffenerlaubnis
In Deutschland dürfen rund 1.000 Personen, die von Sicherheitsbehörden als mutmaßlich rechtsextrem eingestuft sind, legal eine Waffe besitzen. In Nordrhein-Westfalen sind es 108. An der Spitze der Liste liegen der Rhein-Erft-Kreis mit acht dieser Personen und der Rhein-Sieg-Kreis mit fünf. In Köln werden derzeit vier Waffenbesitzer überprüft, in Leverkusen zwei. Dies hat das Recherchezentrum Correctiv ermittelt.
Für die Recherche fragte die Redaktion die Innenministerien der 16 Bundesländer nach einer Aufschlüsselung der als rechtsextrem bekannten Waffenbesitzer nach Landkreisen. Neun Bundesländer teilten die Wohnorte mit. Die Ergebnisse für NRW dokumentieren Correctiv und der „Kölner Stadt-Anzeiger“ auch in einer interaktiven Karte. „Wichtig ist das für all jene, die im Fadenkreuz rechter Gruppen stehen, darunter Menschen mit jüdischen oder muslimischen Hintergrund, aber auch lokale Aktivisten, Lokalpolitikerinnen, Theologen oder Sozialarbeiterinnen“, so das Recherchezentrum.
Verschärfung des Waffenrechtes führt nicht zur kurzfristige Entwaffnung von mutmaßlichen Extremisten
Regelmäßig gibt es Vorfälle, die zeigen, wie gefährlich Rechtsextreme werden können, wenn sie Schusswaffen besitzen: Die Ermordung des CDU-Politikers Walter Lübcke vor gut vier Jahren war ein Beispiel dafür, die „Reichsbürger“-Gruppe, die im Dezember festgenommen wurde, weil sie einen Staatsstreich plante, ein anderes. Die Bundesregierung hat die Entwaffnung bewaffneter Extremisten zwar zu einem ihrer wichtigsten sicherheitspolitischen Ziele in dieser Legislaturperiode erklärt.
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Die derzeit vom Bundesinnenministerium geplante Verschärfung des Waffengesetzes könne jedoch „kaum dazu beitragen wird, in naher Zukunft die Zahl der bewaffneten Rechtsextremen zu verringern“, so Correctiv. Eine „pauschale und kurzfristige Entwaffnung“ werde nicht möglich sei. „Stattdessen werden die zuständigen Waffenbehörden auch in Zukunft in jedem Einzelfall prüfen müssen, ob triftige Gründe vorliegen, um einem Rechtsextremisten trotz erteilter Erlaubnis die Waffe abzunehmen.“
Inneminister Reul: „Alle rechtlichen Mittel werden bis zum Maximum ausgeschöpft.“
„Ob rechtsextrem, linksextrem oder anders extrem, klar ist: Waffen und krumme Gesinnung sind immer ein gefährliches Gemisch“, betonte der nordrhein-westfälische Innnenminister Herbert Reul (CDU) gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Aber klar sei auch, „dass unsere Sicherheitsbehörden den Leuten, die aus welchen Gründen auch immer einen Waffenschein haben und potenziell Waffen besitzen, ganz genau auf die Finger schauen - bis zur Abnahme des Waffenscheins“, so Reul: „Da werden alle rechtlichen Mittel bis zum Maximum ausgeschöpft.“
Die Mitarbeiter der Waffenbehörden in den Landkreisen würden in vielen Fällen aber gar nicht erst erfahren, wenn ein Waffenbesitzer eine rechtsextreme Gesinnung hat, so Correctiv. Denn die Verfassungsschützer in den Bundesländern würden derzeit nicht jeden weitermelden, den sie als Extremisten einstufen. Das liege unter anderem daran, dass die Ermittler strengen gesetzlichen Regeln unterliegen- „Sie dürfen in der Regel keine Erkenntnisse melden, die sie mit verdeckten Maßnahmen wie Abhören oder über Aussagen von V-Leuten gewonnen haben“, so Correctiv.
Bis zum Entzug der Waffen kann es bis zu sieben Jahre dauern
Doch selbst wenn die zuständigen Behörden von einer rechtsextremen Gesinnung eines Waffenerlaubnis-Inhabers erfahren, dürften die Waffen nicht einfach einkassiert werden. Erst müsse die Waffenerlaubnis formal entzogen werden, dann erhalte der Betroffene das Recht, zu widersprechen. „Viele tun das auch“, so Correctiv: „Bis dann alle gerichtlichen Instanzen entschieden haben, dauert es oft sechs oder sieben Jahre.“
Schneller gehe es nur, wenn konkrete Gefahr im Verzug sei. Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf soll in Zukunft möglich sein, sofort den Waffenbesitz zu verbieten, wenn einer „Gefährdung bedeutender Rechtsgüter“ droht. Was diese verklausulierte Formulierung bedeutet, erklärt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums auf Nachfrage: Ein Waffenbesitzer müsse zum Beispiel zusätzlich zu seiner rechtsextremen Gesinnung auch als gewaltbereit bekannt sein. Das sei eine Verbesserung der Lage im Vergleich zu jetzt.
LKA: „In der Statistik finden sich nur Verdachtsfälle“
Die Zahlen aus NRW wurden Correctiv über das Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf zur Verfügung gestellt. Die Zuverlässigkeit von Waffenbesitzer werde immer schon sorgfältig geprüft, sagte eine Sprecherin der Behörde dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Dafür würden etwa auch sämtliche Erkenntnisse des Verfassungsschutzes und der „polizeilichen Auskunftssysteme“ angefragt.
Bei den Personen, die in die Statistik eingeflossen seien, handele sich bisher aber nur um „Verdachtsfälle“, betonte die LKA-Sprecherin. „Das sind Prüfverfahren, aber man kann derzeit noch nicht sagen, ob sich die Leute tatsächlich etwas zu Schulden haben kommen lassen.“ Bei der Suche nach Waffenbesitzern, die mutmaßlich etwas mit dem rechtsextremen Spektrum zu haben könnten, gehe man „also extrem niedrigschwellig“ vor. „Da reichen schon die leichtesten Erkenntnisse, um auf die Liste zu kommen“, so die Sprecherin. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ betrifft dies beispielsweise auch Fälle, in denen es eine anonyme Anzeige gab oder etwa wenn der Wagen eines Waffenbesitzers von den Behörden in der Nähe einer rechtsextremistischen Veranstaltung registriert wurde.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit Correctiv.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. Correctiv.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv, das sich durch Spenden finanziert. Mehr Informationen finden Sie auf deren Website.