Die Favoritin von NRW-Justizminister Limbach für den Chefposten beim Oberverwaltungsgericht NRW arbeitete früher für die katholische Kirche.
Abtreibung und „Ehe für Alle“Ansichten von Limbachs Duz-Freundin lösen Befremden aus
Das Gutachten ist zehn Seiten lang. Es handelt sich um eine Stellungnahme des Katholischen Büros zu den Plänen der Großen Koalition, eine „Ehe für Alle“ einzuführen. Die Expertise stammt aus dem Jahr 2015 – aber jetzt steht sie erneut im Fokus des Interesses. Nicht in Berlin, sondern in Düsseldorf. Denn: Bei der Verfasserin handelt es sich um Katharina J. Die Juristin hatte sich darum beworben, Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts von NRW zu werden.
J. war von NRW-Justizminister Benjamin Limbach zur Favoritin für den prestigeträchtigen OVG-Posten auserkoren worden. Die Abteilungsleiterin im NRW-Innenministerium war von 2011 bis 2020 die stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros in Berlin. In dem Gutachten, das im Archiv des Bundestags nachzulesen ist, weist sie darauf hin, dass die „Geschlechterverschiedenheit zu den unantastbaren Strukturmerkmalen des verfassungsrechtlichen Ehebegriffs“ gehöre. Es bestehe „kein verfassungsrechtlicher Anspruch gleichgeschlechtlicher Paare, eine Ehe eingehen zu können“. Das Eheverständnis der Gesellschaft sei „stark vom Strukturprinzip der Verschiedengeschlechtlichkeit der Ehepartner“ geprägt.
Queer-Szene hat ungute Erinnerung
Auch zu der von der Großen Koalition im Jahr 2018 initiierten Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung hatte J. sich klar positioniert. J. lehnte die Gesetzesänderung strikt ab. „Wir halten es außerdem für eine wirklich zweifelhafte Diskussion, bei 100.000 Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr, jetzt darüber zu diskutieren, Werbung dafür freizugeben“, sagte die Juristin damals in einem Interview.
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Die Haltung von J. als Repräsentantin der katholischen Kirche ist Frauenrechtlern und Queer-Politikern zum Teil noch in unguter Erinnerung. Nun rufen die Expertisen auch die Opposition im Düsseldorfer Landtag auf den Plan. „Amtsträger sind auf Neutralität verpflichtet“, sagte Werner Pfeil, rechtspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Kontroverse Ansichten zum Schutz ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau“ ließen bei ihm Zweifel an einer Eignung für das Spitzenamt beim OVG aufkommen, erklärte der Liberale. J.s Bedenken zur „Ehe für alle“ würden „auf eine begrenzte Sichtweise zu Gleichberechtigung und individuellen Rechten“ hindeuten.
Daher ist es für den FDP-Politiker „völlig unverständlich“, warum Justizminister Limbach vor diesem Hintergrund seine Personalauswahl so treffen wollte. Wenn eine Kandidatin sich sehr stark mit religiösen Ansichten identifiziere, und sich aus religiösen Gründen auch gegen Abtreibungen ausspreche, dann sei dies „höchstproblematisch“, betonte Pfeil.
„Grüner hilft Hardlinerin ins Amt“
Auch Lisa-Kristin Kapteinat, Vize-Fraktionschefin der SPD im Landtag, übte Kritik: „Für Richterinnen und Richter gilt ein ganz besonderes Neutralitätsgebot. Ich wundere mich daher sehr, dass die von Justizminister Limbach ausgewählte Kandidatin in einer so sensiblen Frage der persönlichen Selbstbestimmung ein derart einseitiges Weltbild propagiert“, sagte die Sozialdemokratin unserer Zeitung. Es stelle sich vor allem die Frage, warum „ausgerechnet ein grüner Minister“ einer „konservativen Hardlinerin gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau“ ins Amt verhelfen wollte. „Offenbar scheint der Einfluss der Staatskanzlei hier doch größer gewesen zu sein als bisher vermutet“, spekulierte Kapteinat.
J. wollte sich auf Anfrage unserer Zeitung nicht mehr zu den Expertisen einlassen. „Jeder Mensch hat Überzeugungen, aber ein/e Gerichtspräsident/in hat, wie jede Richterin und jeder Richter in unserem Land, unparteiisch zu sein. Diesem Anspruch fühle ich mich zutiefst verpflichtet“, erklärte die Juristin. Aus „Respekt vor dem Amt und den ausstehenden gerichtlichen Entscheidungen“ werde sie sich nicht weitergehend äußern.
Eine Sprecherin von Justizminister Limbach erklärte, Beamte und Richter müssten fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. „Innerhalb dieses Rahmens sind die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Bediensteten für den Dienstherrn ohne Belang. Auch das ist Teil unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“
Limbach „nicht im Detail“ informiert
Offene Fragen im Zusammenhang mit der Besetzung des OVG-Postens hatten in den vergangenen Wochen zu mehreren Sondersitzungen des Rechtsausschusses im Landtag geführt. Darin hatte Limbach wiederholt die Unterstellung zurückgewiesen, ein „besonderes Näheverhältnis“ habe die Entscheidung für J. mit beeinflusst. Die Berufswege von J. und Limbach hatten sich mehrfach gekreuzt. Nach seiner Ernennung hatte sich der Minister mit seiner Duz-Freundin in Düsseldorf zum Abendessen getroffen.
Waren Limbach die Positionen der Bewerberin zum Werbeverbot für Abtreibungen und zur „Ehe für alle“ bekannt? Das dürfte vor allem für die Bewertung des Vorgangs durch die Grünen-Basis von Bedeutung sein. Das Justizministerium erklärte unserer Zeitung auf Anfrage: „Minister der Justiz Dr. Limbach hat die Tätigkeit der Bewerberin als stellvertretende Leiterin des Kommissariats der Deutschen Bischöfe von 2011 bis 2020 nicht im Detail verfolgt.“