AboAbonnieren

Exklusiv

Betrug mit Corona-Testzentren
Kerpener soll Stadt-Mitarbeiter bestochen und 19 Millionen Euro erbeutet haben

Lesezeit 6 Minuten
Der Betreiber von Corona-Testzentren im Rhein-Erft-Kreis soll sich 19 Millionen Euro ergaunert haben

Die Teststelle am Chemiepark Knapsack in Hürth wurde ebenfalls von Implura Medical betrieben – und im November 2022 geschlossen.

Mitarbeiter des Ordnungsamtes Bergheim sollen Schmiergeld angenommen haben. Kritik gibt es auch an den ehemaligen Gesundheitschefs im Kreis.

Der Vernehmungstermin im Untersuchungsgefängnis in Köln-Ossendorf an jenem Januartag führte zu einem brisanten Geständnis. Der Unternehmer aus Kerpen, der durch Betrügereien mit Corona-Testzentren ein Millionenvermögen ergaunert haben soll, berichtete von Schmiergeldzahlungen an zwei Mitarbeiter der Kreisstadt Bergheim.

Im Jahr 2022 will der heute 39-jährige Inhaber der Firma „Implura Medical“, über die er 14 Testzentren in Erftstadt, Bedburg, Bergheim, Hürth, Euskirchen und Köln betrieb, seinen mutmaßlichen Schwindel um ein weiteres Geschäftsfeld erweitert haben: den lukrativen Corona-Test-Auftrag in Flüchtlingsheimen. Im Gegenzug für den Zuschlag, so die Aussage des Firmenchefs, habe er etwa 11.000 Euro in bar an einen Ordnungsamtsmitarbeiter übergeben. Der soll sich die Bestechungssumme mit einem Vorgesetzten geteilt haben. Weitere 3000 Euro habe er für eine Haartransplantation überwiesen.

Handyfoto von der mutmaßlichen Geldübergabe

Zum Beweis seiner Angaben überließ der Testzentren-Unternehmer der Polizei ein Handyfoto, auf dem Geldscheine und im Hintergrund der angebliche Empfänger zu sehen ist. Mit der Schmiergeld-Beichte wollte der Angeklagte offenbar Pluspunkte kurz vor dem Prozessauftakt um seinen mutmaßlichen Testzentren-Betrug vor dem Kölner Landgericht sammeln.

Alles zum Thema Corona

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, führte die belastende Aussage Anfang März zu einer Durchsuchung im Amt für Ordnung und Gewerbe in der Bergheimer Stadtverwaltung. Stephanie Beller, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, bestätigte auf Anfrage, dass gegen zwei Mitarbeiter der Ordnungsbehörde der Kreisstadt Bergheim wegen Bestechlichkeit sowie gegen den angeklagten Testzentren-Betreiber wegen Bestechung ermittelt werde.

Hausdurchsuchungen wegen Bestechungsvorwürfen

„Konkret wird den beiden Mitarbeitern der Ordnungsbehörde vorgeworfen, Gelder im niedrigen fünfstelligen Bereich von dem beschuldigten Testzentren-Betreiber entgegengenommen und ihn im Gegenzug mit den regelmäßigen Testungen von Flüchtlingsheimbewohnern beauftragt zu haben“, führte Beller aus. Die Auswertung der sichergestellten Unterlagen, elektronischen Geräte und Daten dauere noch an.

Die Korruptionsrazzia belegt einmal mehr das fehleranfällige Krisenmanagement in der Hochphase der Corona-Pandemie. Angesichts der rasant steigenden Infektionszahlen drängte die Politik die Kommunen und Landkreise allerorten, neue Testzentren für das Virus zu etablieren. Der laufende Prozess gegen den Kerpener dokumentiert das Versagen der staatlichen Behörden als auch der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV). Letztere zahlten für jeden Corona-Bürgertest bis zu 18 Euro an die Betreiber. Angesichts der Flut der Abrechnungen, war etwa die KV Nordrhein, unter anderem zuständig für den Rhein-Erft-Kreis und Köln, völlig überfordert mit der Überprüfung der Eingänge.

Leichtes Spiel für Betrüger

Für Betrüger war es offenbar ein Leichtes, das Geld für nicht erbrachte Tests einzustreichen. So soll der angeklagte Kerpener die KV Nordrhein um 19 Millionen Euro erleichtert haben. Durch Scheinrechnungen von Drittfirmen und den Griff in seine Firmenkasse soll der Angeklagte mehr als sechs Millionen Euro in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Mit den illegalen Gewinnen finanzierte der Enddreißiger seinen luxuriösen Lebensstil. Bei seiner Festnahme am 9. Mai 2023 beschlagnahmten die Ermittler einen Porsche, einen Lamborghini und einen Ferrari.

Prozessauftakt am 29. Januar 2024 vor dem Kölner Landgericht: Der mit einem Schal vermummte Angeklagte, der  wegen gewerbsmäßigen Betruges mit Coronatests einen Schaden von 19 Millionen Euro verusacht haben soll, versteckt sich hinter einem Aktenkoffer.

Prozessauftakt am 29. Januar 2024 vor dem Kölner Landgericht: Der mit einem Schal vermummte Angeklagte versteckt sich hinter einem Aktenkoffer.

Laut Zeugenaussagen sollen etwa der einstige Gesundheitsdezernent im Erftkreis und heutige Vizechef der Kölner Bezirksregierung, Christian Nettersheim, sowie Margot Denfeld, seine damalige Gesundheitsamtschefin, die Kontrollvorgaben der Landesregierung trotz Warnungen aus der Fachebene ignoriert haben. In einer Anlage der „Corona-Test-Strukturverordnung“ für Nordrhein-Westfalen hieß es etwa, dass die Betreiber „zuverlässig im Sinn des Gewerberechts“ sein müssten und „über Erfahrungen/Qualifikationen“ verfügen sollten, die eine Einhaltung der Betriebsstandards gewährleistet. Sobald „die Kreise und kreisfreien Städte als untere Gesundheitsbehörden“ sich davon überzeugt hätten, dürfe ein Testzentrum genehmigt werden.

Nach Angaben einer Medizinerin, die in der Corona-Hochphase im Gesundheitsamt der Rhein-Erft-Kreisverwaltung gearbeitet hatte, habe man selbst diese Kontrollregeln nicht eingehalten – berichten Prozessbeteiligte.

Behördenchefs im Zeugenstand

Vor dem Hintergrund bat der Vorsitzende Richter die beiden Behördenchefs am 18. April in den Zeugenstand. Ex-Dezernent Nettersheim sagte sinngemäß aus, es habe Druck gegeben, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Testzentren eine Erlaubnis zu erteilen, berichten Prozessteilnehmer. Die Marschrichtung sei also gewesen, alles zuzulassen. Geprüft habe man dazu, ob die Liegenschaft geeignet sei und ob es einen Hygieneplan gab – nicht aber die gewerberechtliche Zuverlässigkeit der Antragsteller.

Man hätte damals schon ein sehr positives Menschenbild haben müssen, um nicht zu ahnen, dass es „Mitnahme-Effekte“ geben werde, soll der Spitzenbeamte im Zeugenstand ergänzt haben. Seine damalige Amtsleiterin Denfeld, die heute die Gesundheitsbehörde in Köln leitet, soll sich bei ihrer Aussage eher bedeckt gehalten haben.

Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wollten sich die beiden nicht mehr zu dem Sachverhalt äußern. Vielmehr wurde an die Pressestelle des Rhein-Erft-Kreises verwiesen. Die Corona-Pandemie habe den Kreis, wie alle Behörden in Deutschland, ab dem Jahr 2020 vor gewaltige Herausforderungen gestellt, sagte Kreissprecher Thomas Schweinsburg. Zu Beginn des Jahres 2021 habe gegolten, „die Erwartung beziehungsweise das gesetzliche Erfordernis der Corona-Testverordnung nach Testzertifikaten in kürzester Zeit zu erfüllen“.

Rhein-Erft-Kreis: „Keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten“

Rund 280 Teststellen hätten damals im Zuständigkeitsbereich der örtlichen Ämter gelegen. Nach der seinerzeit geltenden Rechtslage hätten „die Kreise als Untere Gesundheitsbehörden“ jedoch lediglich die Aufgabe gehabt, „die geplanten Betriebsabläufe unter Beachtung des Infektionsschutzes sicherzustellen“. Das Gesundheitsamt Rhein-Erft habe die Einhaltung der Hygienekonzepte „vor der Genehmigung und auch bei späteren Begehungen während des Betriebs“ überprüft. „Dies war auch in den Zentren der Fall, die vom Angeklagten im laufenden Verfahren vor dem Landgericht betrieben wurden“, betonte Schweinsburg.

Für weitere Kontrollen sei der Kreis, der seine Aufgaben erfüllt habe, nicht zuständig gewesen. Die Bezahlung der Tests sei landesweit zudem über die Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgt, ohne dass die Kommunen involviert wurden. „Ob und welche Controlling-Maßnahmen zur Verhinderung von Abrechnungsbetrug dort implementiert waren, entzieht sich unserer Kenntnis“, so Schweinsburg: „Und Hinweise oder gar Warnungen auf Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung zwischen Betreiber und KV hat es an die Adresse des Kreises im Rahmen der Genehmigung der Teststellen nicht gegeben.“

Rechtsanwalt: „Da wurden beide Augen zugemacht“

Egal, wer es jetzt verbockt hat, für Ulrich Sommer, Verteidiger des in Köln angeklagten Testzentren-Unternehmers aus Kerpen, ist der Fall klar: „Der Tenor lautete seinerzeit: Hauptsache Testen, Testen, Testen – egal, wer eine Corona-Stelle aufbaute.“ Nach den Zeugenaussagen der ehemaligen Gesundheitschefs im Prozess vor dem Landgericht dränge „sich der Eindruck auf, dass gerade im Rhein-Erft-Kreis das Kontrollversagen besonders groß war – da wurden beide Augen zugemacht.“ Wenn den Behörden egal gewesen sei, ob der Teststellen-Betreiber eine ausreichende medizinische Vorbildung besessen habe, „dann kann man auch nicht mehr von einem Betrug sprechen“, meint Sommer im Hinblick auf seinen Mandanten.

Die Anklage sieht das anders. Die Staatsanwaltschaft hat zu Beginn des Prozesses bereits auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes hingewiesen, nach dem das Ausnutzen einer pandemischen Lage bei der Urteilsfindung sogar als besonders verwerfliches Verhalten gewertet werden soll. Das Frühjahr 2021 jedenfalls bescherte findigen Geschäftsleuten sowie in manchen Fällen auch Betrügern nahezu eine Lizenz zum Gelddrucken. Binnen drei Monaten entstanden allein an Rhein und Ruhr bis zum Juni des Jahres 9000 Corona-Testzentren. Die Behörden und die Kassenärztliche Vereinigungen schauten offenbar eher weg als hin. Insgesamt schüttete der Bund 17,2 Milliarden Euro für Bürgertests aus. Das Bundeskriminalamt beziffert den Schaden durch Betrüger auf 1,2 Milliarden Euro.

Staatsanwaltschaft Köln führt Dutzende Verfahren

Auch die Kölner Staatsanwaltschaft führt Dutzende Verfahren. Ende 2023 bekamen in der Rheinmetropole drei Betrüger eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahre und drei Monate. Die Männer hatten 1,8 Millionen Bürgertests im Gesamtvolumen von 20 Millionen bei der KV Nordrhein abgerechnet. Weder dem Gesundheitsamt noch der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein fiel auf, dass gar keine Test-Station existierte.

Derzeit wird der Prozess gegen einen Geschäftsmann aus Bochum wegen formaler Verfahrensfehler wieder aufgerollt. Der 50-Jährige soll 24,5 Millionen Euro mit fingierten Virus-Kontrollen abgezockt haben.