Die Jugendhilfe in NRW ist mit der Unterbringung von unbegleiteten Flüchtlingen überfordert. Zum Teil müssen Sofas als Notschlafplätze herhalten.
Bürgermeister schlägt AlarmZu wenige Plätze für unbegleitete Flüchtlinge in NRW
André Dora wartet immer noch auf ene Antwort aus Düsseldorf. Der Bürgermeister der Stadt Datteln hatte einen Brandbrief an NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) geschrieben. Es geht um die Aufnahme von unbegleiteten Flüchtlingen in NRW. „Die Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen bedarf mittlerweile einer groß angelegten Suchaktion“, so der Bürgermeister, heißt es in dem Schreiben, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Kopie vorliegt. Zuletzt habe das Jugendamt in einem Fall mehr als 100 Anfragen stellen müssen, um einen Jugendlichen unterzubringen. „Das sind 100 Telefonate. Legt man 20 Minuten für ein Gespräch zugrunde, bedeutet das eine Arbeitszeit von 33 Stunden“, so der SPD-Politiker.
Sofas als Notschlafplätze
Laut Statistischem Landesamt sind im Jahr 2022 mehr als 16.500 Kinder und Jugendliche in NRW in Obhut genommen worden. Viele von ihnen kommen aus Kriegsgebieten nach NRW. Bei der Unterbringung von unbegleiteten Flüchtlingen wurde ein Anstieg von 162 Prozent registriert. Die Mitarbeiter in der Jugendhilfe stünden vor einer „scheinbar ausweglosen Situation, Kindern einen sicheren Ort zu bieten“, kritisiert der Bürgermeister von Datteln. Immer wieder stünden den jungen Flüchtlingen nur „Sofaschlafplätze“ zur Verfügung.
Der Bürgermeister hat Wüst jetzt aufgerufen, ein landesweites Freiplatzmelderegister zu schaffen, damit nicht jedes Jugendamt einzeln immer wieder neu nach freien Plätzen anfragen müsse. Eine gezielte landesweite Jugendhilfeplanung bei der Inobhutnahme sei „dringend geboten“, so Dora.
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Absenkung der Betreuungsstandards
Die Landesregierung verweist allerdings auf die Zuständigkeit der Kommunen. In einer Antwort von NRW-Jugendministerin Josefine Paul (Grüne) auf eine Kleine Anfrage der SPD heißt es, eine „übergeordnete, landesweite Jugendhilfeplanung“ sei „gesetzlich nicht vorgesehen und würde in die kommunale Selbstverwaltung und die Planungsverantwortung der Jugendämter eingreifen“.
Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei eine Vereinbarung mit den Landschaftsverbänden getroffen worden, um die Besetzung freier Stellen in der Jugendhilfe zu vereinfachen und das System auf diese Weise zu entlasten. In der Präambel des Papiers heißt es: „Die Maßnahmen können im Grundsatz zu einer Absenkung bestehender Standards und einer Reduzierung von Qualität führen.“
Claus-Ulrich Prölß, Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats, hält davon wenig. „Für die Minderjährigen gelten die strengen Regeln des Kinder- und Jugendschutzes sowie der UN-Kinderrechtskonvention“, so Prölß. Wer von diesen Standards abweiche, nehme Kindeswohlgefährdungen in Kauf.
Lisa-Kristin Kapteinat ist Vize-Fraktionschefin der SPD im Landtag. „Grüne Flüchtlingspolitik entpuppt sich immer wieder als scheinheilig“, kritisiert die Politikerin aus Castrop-Rauxel. Jeder Platzausbau in den Landesunterkünften würde mit Verweis auf die hohen Qualitätsanforderungen „ausgebremst“, sagte Kapteinat unserer Zeitung. Sie habe kein Verständnis dafür, wenn jetzt „ausgerechnet bei Kindern die Standards heruntergesetzt“ würden.
Dattelns Bürgermeister André Dora sieht das ähnlich. „Ich befürchte, dass es mittelfristig zum Kollaps des Systems führen wird, wenn sich nichts ändert. Deshalb bedauere ich es sehr, dass der Ministerpräsident das Thema nicht zur Chefsache macht“, so der Kommunalpolitiker. Die Not sei groß – und das nicht nur in Datteln. „Jetzt ist Hilfe für die Helferinnen und Helfer gefragt. Da können und dürfen wir uns nicht wegducken.“