Parteichef Merz hat am Samstag in Hürth einen Gastauftritt. Auch Ministerpräsident Wüst hält eine Rede – ein Schaulaufen für die Kanzlerkandidatur?
Bundesvorsitzender zu Gast in NRWProvoziert Merz beim CDU-Parteitag in Hürth mit Grünen-Bashing?
Der Auftritt des Bundesvorsitzenden ist nicht als separater Tagesordnungspunkt in der Einladung aufgeführt. Die Rede von Friedrich Merz beim Landesparteitag der NRW-CDU in Hürth fällt unter die Kategorie „Grußworte“. Nur 15 Minuten sind für den Beitrag des Sauerländers vorgesehen. Ob Merz sich damit begnügt? „Hängt davon ab, wie der Friedrich gelaunt ist“, heißt es bei der NRW-CDU. Am Samstag kommen 678 Delegierte in Hürth zusammen, um den Landesvorstand neu zu wählen.
Dass ein Bundesvorsitzender bei Landesparteitagen eine Rede hält, ist ein normaler Vorgang. Aber wenn Merz in NRW auftritt, ist dem Besuch eine besondere Aufmerksamkeit sicher. Schließlich werden CDU-Landeschef Hendrik Wüst, Ministerpräsident von NRW, Ambitionen auf eine Kanzlerkandidatur nachgesagt. Wird die Konkurrenz durchschimmern? Oder gelingt es, nach außen ein Bild der Harmonie zu zeichnen?
Merz sieht Grüne als Hauptgegner
In der NRW-CDU wird der Merz-Auftritt mit Spannung erwartet. „Wenn Friedrich eine ähnliche Rede wie beim CSU-Parteitag auspackt, wird es schwierig“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands. Vor der Wahl in Bayern hatte Merz in Augsburg Bundeskanzler Scholz aufgefordert, die Grünen wegen ihrer Haltung in der Asylpolitik aus der Regierung zu werfen. Zuvor hatte der Mann aus Brilon bereits klargestellt, die Partei sei der „Hauptgegner“ der Union. Die Grünen seien für eine Polarisierung in der Energiepolitik verantwortlich und brächten die Bevölkerung mit ihrer „penetrant vorgetragenen Volkserziehungsattitüde“ gegen sich auf.
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Wird Merz seine Kritik an den Grünen auch in NRW vehement vortragen? Bleibt er in Hürth dabei, ein Bündnis der CDU mit den Grünen sei im Bund auszuschließen? Ein „Grünen-Bashing“ wäre eine Provokation gegen Wüst. Denn es liegt auf der Hand, dass die NRW-CDU die Sichtweise des Bundesvorsitzenden so nicht unterschreiben kann.
Wüst gilt im Landtag als „Anti-Merz“
Wüst befindet sich schließlich seit dem vergangenen Sommer in einer Regierungskoalition mit den Grünen. Die Partner betonen bei jeder Gelegenheit, sie würden geräuschlos und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Schwarz-Grün sei in dieser Hinsicht das Gegenmodell zur Berliner Ampelkoalition. Als „Grünen-Versteher“ sei Wüst ein „Anti-Merz“, heißt es im Landtag. Eine brisante Konstellation.
Bislang hat Wüst betont, seine Aufgaben lägen „aktuell“ in NRW. Das lässt viele Deutungen zu. Ein Gastbeitrag in der FAZ mit dem Titel „Das Herz der CDU schlägt in der Mitte“ ließ sich als Generalkritik am Kurs von Merz lesen. Anders als sein Vorgänger Armin Laschet wägt Wüst seine Worte gründlich ab. Dass er unbeabsichtigte Signale sendet, kann man ausschließen. So wurde eine Auslandsreise, bei der Wüst Bundeswehr-Soldaten in Litauen besuchte, als Hinweis auf höhere Ambitionen gedeutet.
Wüst gilt als anschlussfähiger
In der CDU hat traditionell der Bundesvorsitzende den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Merz gilt daher als Favorit für den Posten. Wüst wäre aber möglicherweise der aussichtsreichere Kandidat. „Er gilt als anschlussfähiger und erreicht die Milieus in den Großstädten“, sagt ein Delegierter aus Köln. Merz setze darauf, enttäuschte Stammwähler zurückzugewinnen. „Er will diejenigen, die vom Streit in der Ampel frustriert sind, auf seine Seite ziehen.“ Bislang geht der Plan allerdings nicht auf. Einer Insa-Umfrage trauen Merz nur 36 Prozent der CDU-Wähler den Job als Regierungschef zu.
Kein Wunder, dass der Bundesvorsitzende oft gereizt auf Zweifel an seinem Kurs aus dem Wüst-Umfeld reagiert. Neuerdings schlägt er aber andere Töne an. In einer kürzlich erschienenen Wüst-Biografie heißt es, Merz habe seinen Konkurrenten darin bestärkt, sich als möglicher Kanzlerkandidat zu positionieren. „Ich habe ihm einen Rat gegeben: Du darfst nie einen Zweifel daran lassen, dass du ein potenzieller Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein kannst“, wird Merz zitiert. Der Regierungschef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes gehöre „qua Job-Deskription zur Führungsreserve um das Kanzleramt“. Merz erinnert an die frühere SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die nicht das Ziel hatte, nach Berlin zu wechseln. „Das war der Anfang vom Ende“, betont er.
In der NRW-CDU steckt vielen noch der Schock der gescheiterten Laschet-Kandidatur in den Knochen. Niemand wünscht sich, dass die Landespartei erneut in den Strudel der Bundespolitik gerät. Bei seiner Wahl zum Landeschef hatte Wüst im Oktober 98 Prozent der Stimmen erhalten. Trotz der hohen Zustimmung für Wüst dürfte das Ergebnis bei der Wiederwahl wohl nicht ganz so gut ausfallen. „Alles über 80 Prozent wäre gut, alles über 90 Prozent hervorragend“, sagt ein Mitglied der CDU-Landtagsfraktion.
Grüne Ministerin löst Befremden aus
Denn natürlich stoße die Liaison mit Grünen nicht bei allen Christdemokraten auf „restlose Begeisterung“, sagt ein früherer CDU-Minister: „Manche werfen Wirtschaftsministerin Neubaur vor, die Deindustrialisierung des Landes voranzutreiben.“ Vor allem der Auftritt der Grünen-Ministerin Josefine Paul, die unter anderem für Familienpolitik, Gleichstellung und die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig ist, löse immer wieder „Befremden“ aus. „Da treten die kulturellen Unterschiede zwischen den Parteien besonders offen zutage“, so das frühere Regierungsmitglied.
Unzufrieden sind auch diejenigen, die der Regierungsbildung zum Opfer gefallen sind. Wüst hatte auf der Ebene der Staatssekretäre zum Teil alte Fahrensmänner ausgetauscht und durch Vertraute aus seinem Umfeld ersetzt. Den Mitgliedern von Wüsts „Boy-Group“ fehle bisweilen eine „gute Kinderstube“, heißt es. Regierungsmitglieder, die im neuen Kabinett nicht mehr berücksichtigt wurden, sollen angeblich nicht von Wüst persönlich über ihre Ausbootung informiert worden sein.
Als Gradmesser für die Stimmung in der Partei gilt auch die Wahl der fünf Stellvertreter von Wüst. NRW-Innenminister Herbert Reul hatte seinen Rückzug aus dem Landesvorstand angekündigt. Ein Signal für die Erneuerung – möglicherweise wird es Überraschungskandidaturen bei der Nachbesetzung seines Postens geben.
Antrag zur Migrationspolitik geplant
Der Landesparteitag in Hürth steht unter dem Slogan „NRW richtig machen“. Neben den Wahlen geht es auch um Inhalte. So wollen die Delegierten einen Antrag zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Pflege verabschieden, den der Landesvorstand erarbeitet hat. Ein Antrag zur Migrationspolitik war noch am Freitag in Arbeit.
Am Nachmittag soll der Parteitag traditionell mit dem Singen der Nationalhymne enden. In der NRW-CDU hoffen viele, dass Wüst der Landespartei noch lange erhalten bleibt. „Ich wäre froh, wenn Hendrik erst bei der übernächsten Bundestagswahl seinen Hut in den Ring werfen würde“, sagt ein Kabinettsmitglied hinter vorgehaltener Hand. „Er ist erst 48. Im Jahr 2030 hätte er immer noch das beste Alter, um Bundeskanzler zu werden.“ Für die NRW-CDU hätte diese Variante großen Charme. Die Partei hätte viel Zeit, um die Nachfolge zu regeln.