Der Krieg im Gazastreifen befeuert den Antisemitismus in NRW. Geht die Polizei streng genug gegen israelfeindliche Propagandisten vor?
„Antisemitismus hat schlimmes Ausmaß erreicht“Innenminister Reul warnt vor Judenhass in NRW
Der Krieg von Israel gegen die Hamas hat zu einer Welle von antisemitischen Straftaten in NRW geführt. Das geht aus einem Bericht von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hervor. Danach wurden seit dem Ausbruch des Konflikts am 7. Oktober 2023 in NRW 113 antisemitische Straftaten registriert. In den ersten acht Kriegswochen fanden 138 Demos mit „pro-palästinensischer Ausrichtung“ statt. Die Polizei erstattete in 45 Fällen Anzeige wegen Volksverhetzung. „Der Antisemitismus hat ein schlimmes Ausmaß erreicht“, räumte Reul in der Plenardebatte des Düsseldorfer Landtags am Donnerstag ein.
Bei vielen Protesten in den NRW-Städten waren Plakate mit der Aufschrift „From the river to the sea, Palestine will be free“ gezeigt worden. Dahinter verbirgt sich der Ruf nach einem Palästinenserstaat vom Jordan bis zum Mittelmeer, in dem Israel aufgehen soll. Bei den Terroranschlägen der Hamas im Süden Israels waren mehr als 1000 Israelis ermordet worden. Nach dem Gegenschlag Israels verstärkte die Polizei die Bewachung jüdischer Einrichtungen in NRW massiv.
Polizei nahm 229 Personalien auf
Der Krieg im Nahen Osten rief in NRW sowohl Links- als auch Rechtsextremisten auf den Plan. Aus dem linksextremen Lager beteiligten sich unter anderem die „Interventionistische Linke“, die „Linksjugend (solid)“ und „Youngstruggle“ an den anti-israelischen Protesten.
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Auf dem rechten Spektrum mobilisierten die Parteien „Die Heimat“, „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ sowie der Verein „Aufbruch Leverkusen“ ihre Unterstützer. Auch radikale Islamisten der „Generation Islam“, der „Furkan-Gemeinschaft“ und dem mittlerweile verbotenen Netzwerk „Samidoun“ nutzen die Kundgebungen für anti-israelische Propaganda. Die Polizei nahm insgesamt 229 Personalien auf.
Straftaten wurden bei den Protesten in NRW dem Bericht zufolge von Angehörigen aus 18 Nationen begangen, neben Deutschen, Libanesen, Palästinensern, Libyern und Marokkanern waren auch Briten, Griechen, Spanier und Österreicher unter den Verdächtigen. Bei zwölf Personen handelt es sich um anerkannte Asylbewerber.
Sprache im Netz radikaler geworden
Nicht nur auf der Straße sorgte der Krieg für eine deutliche Polarisierung der Gesellschaft. „Die hohe Emotionalisierung in der öffentlichen Meinung und die erkennbar gestiegene Bereitschaft, sich infolge der Geschehnisse im Nahen Osten antisemitisch zu positionieren, schlägt sich auch im Verhalten der Nutzer sozialer Medien nieder“, heißt es in dem Bericht des NRW-Innenministeriums. Es ist sei „sowohl eine massive quantitative Zunahme an Vorfällen in den Sozialen Medien“ feststellbar als auch „eine qualitative Veränderung mit Blick auf eine noch gewaltvollere antisemitische Sprache“.
In NRW seien in diesem Zusammenhang 92 Sachverhalte erfasst worden, die „dem Tatmittel Internet“ zugeordnet wurden. In 44 Fällen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Zur Informationssammlung in sozialen Netzwerken nutzte der Verfassungsschutz auch „legendierte“ Accounts, hieß es. Die Fahnder sind also unter falschen Namen unterwegs und treten verdächtigen Netzwerken mit Fake-Profilen bei.
Die Zahlen des NRW-Innenministeriums bilden nur die von den Sicherheitsbehörden erfassten antisemitischen Straftaten ab. Das Dunkelfeld dürfte aber erheblich sein, so registrierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) allein für den Zeitraum vom 7. Oktober bis zum 4. Dezember vergangenen Jahres 320 antisemitische Vorfälle in NRW. Der Verein führt seit 2017 ein regionales Meldesystem und koordiniert die Beratung der Opfer.
FDP nennt AfD „Wolf im Schafspelz“
Der Bericht der Landesregierung geht auf eine große Anfrage der AfD zurück. Die AfD-Abgeordnete Enxhi Seli-Zacherias erklärte, die Anzahl der Ermittlungen sei angesichts der hohen Teilnehmerzahlen bei den Demonstrationen zu gering. Die Polizei habe offenbar „Angst vor einer Eskalation“ gehabt und Muslime, die sich offen für den Kalifat-Staat ausgesprochen hätten, gewähren lassen. Sie habe „hilf- und wehrlos“ neben den Fundamentalisten gestanden.
Der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke sagte, die AfD agiere als „Wolf im Schafspelz“. Die Partei instrumentalisiere den Kampf gegen den Antisemitismus vor allem dazu, um die Muslime in NRW insgesamt zu verunglimpfen.
NRW-Innenminister Reul erklärte, die AfD agiere unglaubwürdig, solange sie sich nicht auch gegen den Antisemitismus in ihren eigenen Reihen wende. Damit spielte der CDU-Politiker auf die Wahl des AfD-Politikers Matthias Helferich in den Landesvorstand der Partei an. Er hatte sich als „freundliches Gesicht“ des Nationalsozialismus bezeichnet.