Deutet der Richtungsstreit zwischen Wüst und Merz einen offenen Konflikt um die Kanzlerkandidatur an? Eine Analyse.
Machtkampf mit CDU-Chef MerzWas Hendrik Wüst bei der Kanzlerkandidatur wirklich vorhat
Für die CDU-Fraktion im Düsseldorfer Landtag hat die Sommerpause schon begonnen. Die turnusgemäße Fraktionssitzung am Dienstag fiel aus – und damit auch die Gelegenheit, vielleicht aus erster Hand darüber informiert zu werden, wie das eigentlich zu verstehen ist, was da gerade zwischen Hendrik Wüst und Friedrich Merz abläuft. „Der Schlagabtausch vom Wochenende hat viele überrascht“, sagt ein Mitglied des Fraktionsvorstands in einem leicht besorgten Tonfall. „Offener Streit hilft der CDU ja bekanntlich nie weiter“.
Diese Haltung ist in der NRW-CDU seit der Regierungszeit von Armin Laschet (2017 bis 2021) Konsens. Wenn Prozesse „geräuschlos“ laufen, gilt das als Merkmal einer guten Zusammenarbeit und als Qualitätssiegel. Schriftliche Verlautbarungen von Kabinettsmitgliedern werden grundsätzlich auf ihr Konfliktpotenzial geprüft, problematische Aussagen entweder entschärft oder gleich gestrichen. Die Stäbe in den Ministerbüros überlassen nichts dem Zufall. „Jedem, der sich damit auskennt, war sofort klar, dass dieser Treffer gezielt geplant war“, heißt es in der CDU-Fraktion.
Der „Treffer“ – damit ist eine Passage in einem Gastbeitrag von Wüst für die „FAZ“ gemeint, in der sich der Regierungschef von NRW zum künftigen Kurs der CDU äußerte. „Die CDU erteilt dem grassierenden Sofortismus, dem elitären Wunsch nach Radikalreformen und dem spalterischen Populismus eine Absage“, schrieb Wüst. „Das konnte der Friedrich natürlich leicht als Attacke auf sich münzen“, sagt ein Abgeordneter. Und genau das tat er auch.
Alles zum Thema Hendrik Wüst
- Trump oder Harris Was die NRW-Wirtschaft durch die Wahl in den USA zu verlieren hat
- Terroranschlag, Verkehrswende und Strukturwandel Halbzeitbilanz von Schwarz-Grün – wie schlagen sich die Minister im Amt?
- Umbau von ARD und ZDF Schrumpfkur für Öffentlich-Rechtliche – Diese TV-Sender sind gefährdet
- „Kunst als verbindendes Element“ „Glow Up“-Konzert engagiert sich für Demokratie und Multikulturalität
- NRW-Arbeitgeber Kohle-Ausstieg bis 2030 unrealistisch
- Wüst-Regierung unter Druck Kein anderes Bundesland zählt mehr Untersuchungsausschüsse als NRW
- Ditib erwartet Analyse Testphase endet – Bleibt der Muezzinruf in Köln erlaubt?
Merz und Wüst – Brüder im Geiste
Merz und Wüst gelten in der NRW-CDU eigentlich als „Brüder im Geiste“ und pflegen einen engen Austausch. Beide sind politisch konservativ sozialisiert und machten sich als Wirtschaftspolitiker einen Namen. Während Merz seiner Rolle als Flügelmann treu geblieben ist, hat Wüst sich mittlerweile weiterentwickelt und versucht, sich ein liberales, weltoffenes Image zu erkämpfen. „Kohl und Merkel wurden gewählt, weil sie breit aufgestellt waren und alle Strömungen mitnehmen konnten“, analysiert ein Mitglied des CDU-Landesvorstands. „Flügelmänner“ seien in der CDU-Geschichte dagegen nie erfolgreich gewesen.
Wenn die Namen Kohl und Merkel fallen, dann ist klar, wie der Konflikt von vielen gedeutet wird. Stellt Wüst die Tauglichkeit von Merz als Kanzlerkandidat in Frage? Will er sich selbst für eine Kandidatur empfehlen? Merz holte jedenfalls schonmal vorsichtshalber zum Gegenangriff aus und attackierte Wüst im ZDF. In NRW seien 55 Prozent der Bürger unzufrieden mit Schwarz-Grün. Und: „Wenn wir heute in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen hätten, wäre die AfD fast so stark wie im Bund“.
„Tja, da hat der Friedrich einen Punkt“, sagt ein CDU-Politiker aus dem Kreisverband Hochsauerland, der zu den größten Kreisverbänden der CDU in Deutschland gehört. Dort hat Merz, der aus Arnsberg stammt, für den Bundestag kandidiert, und die Südwestfalen stellen eine starke Truppe in der NRW-CDU. NRW sei eben nicht nur „Wüst-Land“, Merz verfüge über seine Heimat hinaus über viele treue Unterstützer. „Auch in NRW wollte die Basis ja offenbar mehrheitlich, dass er Bundesvorsitzender werden sollte, und zwar genau wegen des Profils, das er mitbringt“, so der Kommunalpolitiker. Da könne man ja wohl jetzt in Düsseldorf nicht so tun, als ob der „Friedrich ein ewig Gestriger“ sei, der den „Karren vor die Wand“ fahre.
Wüst war ein „Schwarzer Jedi-Ritter"
Wüst hat es jedenfalls mit einer interessanten Gemengelage in NRW zu tun. So stehen die beliebten und einflussreichen Kabinettsmitglieder Herbert Reul (Innen) und Karl-Josef Laumann (Arbeit, Gesundheit und Soziales) klar an seiner Seite. Aber das war nicht immer so. Laumann, Chef des Arbeitnehmerflügels in der CDU, konnte mit Wüsts raubeinigen Auftreten in der Zeit als Generalsekretär von Jürgen Rüttgers (regierte zwischen 2005 und 2010) wenig anfangen. Wüst kam vom anderen Pol der NRW-CDU. Gemeinsam mit einer Gruppe um den damaligen CSU-General Markus Söder hatte er ein von den Medien viel beachtetes Thesenpapier für einen „modernen Konservatismus“ vorgelegt. Die Gruppe nannte sich selbst scherzhaft „Schwarze Jedi-Ritter“.
Unterdessen hat Wüst vor allem durch seinen klaren Wahlsieg 2022 viele interne Kritiker in der NRW-CDU überzeugt. „Er ist im Gegensatz zu Merz noch in einem Alter, wo man lernfähig ist“, sagt ein Bezirksvorsitzender. „Hendrik setzt den weltoffenen Großstadtkurs von Armin Laschet fort, aber er weiß auch, wo er herkommt, und deswegen verliert er auch die Stammwähler in der Provinz nicht aus den Augen.“ Wüst habe Selbstvertrauen und einen „gesunden Machtinstinkt“ entwickelt: „Er weiß, was seinem eigenen Image hilft, und würde nie in eine Schlacht ziehen, die er nicht gewinnen kann.“
In der K-Frage, so heißt es, habe Merz als Parteivorsitzender völlig unbestritten den ersten Zugriff. Merz sei nur zu verhindern, wenn er selbst nicht kandidieren wolle. Eine Kampfkandidatur gegen Merz berge enorme Risiken für jeden Herausforderer, weil die CDU-Basis eine Wiederholung der Aufstellung-Kabale wie bei der Laschet-Kandidatur nicht goutieren würde. „Und außerdem ist der Wahlsieg gegen Scholz kein Selbstläufer“, heißt es. Die SPD habe bei den aktuellen Umfragewerten „noch Luft nach oben“. Die Zustimmungswerte für die CDU seien trotz des Ampel-Chaos viel zu schlecht, um auf Schlagdistanz zu kommen.
Das wisse natürlich auch alles Wüst, sagt ein NRW-Staatssekretär, und so sei der Schlagabtausch am Ende auch zu verstehen. „Wüst hat Spaß daran, sich in der K-Frage im Spiel zu halten. Das bringt ihn in die Tagesschau, und da will er ja hin“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands: „Je höher sein Kurswert im Bund ist, umso größer wird der Effekt für ihn sein, wenn er dann in NRW bleibt.“ Wüst (47) habe ja noch alle Zeit der Welt und sei sogar noch jung genug, um Merz (67) nach einer möglichen Kanzlerschaft des Sauerländers zu beerben.
Merz gibt sich bereits versöhnlich
Deshalb, so glaubt man, werde alles gut, und Merz zeigte sich am Dienstag auch schon versöhnlich. Zum „Machtkampf“ befragt, sagte der Sauerländer in Berlin, er habe den „Eindruck“, dass auch Wüst „sehr interessiert“ am gemeinsamen Erfolg sei. „Wir arbeiten kooperativ und störungsfrei zusammen. Er ist mein Ministerpräsident, mein Landesvorsitzender.“
Am Mittwoch findet in der Berliner Landesvertretung von NRW das traditionelle Sommerfest statt. Zu der Feier wird übrigens auch Merz erwartet. In Düsseldorf geht man davon aus, dass der Knatsch nach einem für die Fotografen arrangierten Händedruck dann final für beendet erklärt wird. Die Behauptung, interner Streit sei von den Medien aufgeblasen und inszeniert gewesen, ist in der Politik ja immer ein wirksames Tonikum, um die Gemüter zu beruhigen.