Die Grünen kommen am Wochenende zu ihrem Bundesparteitag in Wiesbaden zusammen und wählen eine neue Führung. Mona Neubaur, Frontfrau der Grünen in NRW, empfiehlt der Bundespartei ein Bündnis mit der CDU nach der Bundestagswahl.
„Merz ist nicht Trump 2.0“Grüne Frontfrau Mona Neubaur verlangt Offenheit für Schwarz-Grün im Bund
Frau Ministerin, die Ampel-Koalition ist Geschichte. Bedauern Sie das?
Mona Neubaur: Ich bedaure vor allem die Art und Weise, wie die Ampel-Regierung endete und dass es ihr nie wirklich gelungen ist, das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Dazu gehören auch unbestritten die Erfolge, die es gegeben hat. Jetzt muss es darum gehen, schnell wieder zu stabilen Mehrheiten im Bund zu kommen. Angesichts der angespannten Lage können wir es uns nicht leisten, die politische Mitte weiter zu entkernen. Wir müssen das Trennende überwinden und wieder für mehr Verlässlichkeit sorgen.
War das eine Werbung für Schwarz-Grün?
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Das war eine Werbung dafür, dass Politik das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen muss. Ich bin dafür, dass die Grünen weiter Verantwortung für die Bundesrepublik tragen. Welche Koalitionen möglich sind, entscheiden zuallererst die Wähler.
Die CSU will Schwarz-Grün ausschließen. Schließen Sie ein Bündnis mit Markus Söder aus?
Ach, Markus Söders Hang zu populistischen und mitunter faktenfreien Aussagen ist ja bekannt. Und dass die meist die Halbwertszeit von Speiseeis in der Sahara haben auch. Insofern sind seine Wortbeiträge für mich nur bedingt relevant.
Könnten die Grünen denn mit Friedrich Merz?
Merz ist ein demokratischer Wettbewerber, mit dem man bei vielen Themen sicher gut streiten kann. Aber ich rate davon ab, ihn zu dämonisieren. Klar, er ist ein knallharter Konservativer, aber das bietet den Grünen auch die Möglichkeit, die inhaltlichen Unterschiede deutlich herauszuarbeiten. Vergleiche zu wirklich zweifelhaften Politikern sind aus meiner Sicht völlig unangemessen. Merz ist kein „Trump 2.0“.
Neubaur über Merz: „Ich würde nicht von vorneherein ausschließen, dass auch mit dem Oppositionsführer im Bund eine konstruktive Zusammenarbeit möglich wäre“
Ihr Bündnis mit Hendrik Wüst funktioniert nach wechselseitigem Bekunden gut. Macht Sie das in Hinblick auf Merz vielleicht zu optimistisch?
In NRW ist es uns allen Unkenrufen zum Trotz gelungen, eine vertrauensvolle und konstruktive Regierungsarbeit zu etablieren. Die Grünen können ihre Punkte setzen und nach vorne entwickeln. Zwischen Friedrich Merz und Hendrik Wüst gibt es sicher viele kulturelle und inhaltliche Unterschiede, da mache ich mir keine Illusionen. Aber ich würde nicht von vorneherein ausschließen, dass auch mit dem Oppositionsführer im Bund eine konstruktive Zusammenarbeit möglich wäre.
Kann die Bundespartei von den NRW-Grünen lernen?
Wir müssen uns veränderten Realitäten stellen und zum Beispiel in der Innen- und Migrationspolitik neue Antworten finden. Das Maßnahmenpaket, das die Landesregierung nach dem Terroranschlag von Solingen vereinbart hat, ist dafür ein gutes Beispiel. Es ist uns Grünen dabei gelungen, pragmatisch zu reagieren und dennoch unseren Grundwerten treu zu bleiben. Wir machen das selbstbewusst, ohne Nabelschau und im Wissen um unsere Verantwortung fürs Land. Politik muss Vertrauen ausstrahlen, gerade in unruhigen Zeiten. Ein Blick nach Nordrhein-Westfalen schadet auf jeden Fall nie.
Neubaur: „Als Partei sind und bleiben wir ein Vollsortimenter“
Ein Bündnis mit der CDU scheint die einzige Machtoption der Grünen zu sein. Was bedeutet das für das Profil der Partei? Sind die Linken bei den Grünen vom Aussterben bedroht?
Als Partei sind und bleiben wir ein Vollsortimenter. Uns hat immer ausgezeichnet, stellvertretend für die Gesellschaft intensive Diskussionen zu führen. Und wie in jeder demokratischen Partei gibt es auch bei uns unterschiedliche Strömungen, die in der Summe unser Profil ausmachen. Es braucht sie alle.
Robert Habeck steht für das Scheitern der Ampel beim Heizungsgesetz. Schreckt das nicht viele Wähler ab?
Es war ein Fehler, dass der Eindruck entstanden ist, der Wirtschaftsminister würde den Menschen bis ins Detail vorschreiben wollen, welchen Beitrag sie für die Energiewende zu leisten haben. Hier hätte man den Bürgern mehr Vertrauen entgegenbringen müssen, um sie stärker mitzunehmen. Robert Habeck hat das bereits mehrfach selbstkritisch eingeräumt und draus Konsequenzen gezogen. Diese Stärke bringt nicht jeder mit. Ich bin überzeugt davon, dass er das Format hat, Kanzler zu werden. Und ich gehe davon aus, dass ihn die Grünen beim Bundesparteitag durch ein sehr gutes Wahlergebnis mit dem nötigen Rückenwind ausstatten.
NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) zwingt den Grünen einen harten Sparkurs auf. Wie stark sind die Verwerfungen, die dadurch im Verhältnis zu den Grünen Vorfeldorganisationen – wie zum Beispiel der Flüchtlingshilfe – entstehen?
Wir haben, bedingt durch geopolitische Entwicklungen, aber auch durch Entscheidungen der Bundesregierung, strukturelle Mehrbelastungen und deutlich weniger Einnahmen. Deswegen müssen wir uns bei unseren Projekten fokussieren. Wir versuchen alles, um Härten abzufedern.
Muss die Schuldenbremse weg?
Man kann schon die Frage stellen, ob die Schuldenbremse mit ihren starren Vorgaben noch in die aktuelle Zeit passt. Niemand möchte den kommenden Generationen Mehrbelastungen zumuten. Aber unseren Enkeln eine völlig marode Infrastruktur zu hinterlassen, deren Reparatur am Ende teurer wird, weil wir zum richtigen Zeitpunkt nicht investiert haben, wäre fahrlässig. Eine neue Bundesregierung wird sich dieser Frage widmen müssen.
Zwei grüne Minister müssen sich in U-Ausschüssen verantworten. Können Sie mit der Performance des Grünen-Regierungsteams zufrieden sein?
Ich finde, was wir erreicht haben, kann sich sehen lassen. Die Einberufung von U-Ausschüssen ist das legitime Recht der Opposition. Ihre Anzahl allein lässt keinerlei Rückschlüsse auf die Qualität von Regierungsarbeit zu. Gerade im Zusammenhang mit dem Anschlag von Solingen ist es wichtig, alle Vorgänge – auch innerhalb des Regierungshandelns – auszuleuchten, damit wir in Zukunft besser vorbereitet sind. Deswegen hat die Grüne Fraktion die Einsetzung ja auch aktiv mit angeschoben.
In Köln singt die Band Brings das Lied „Indianerland“ nicht mehr. Ist eine solche Entscheidung nicht eine Überreaktion auf die Angst, sich Rassismusvorwürfen auszusetzen?
Es ist in erster Linie eine künstlerische Entscheidung, die die Brings für sich getroffen haben und die ich nie kritisieren würde. Die Sensibilität, dass Sprache durchaus verletzen kann, sollten wir uns grundsätzlich erhalten. Das hat aber weniger mit politischen Sprachvorgaben als mit Empathie zu tun.