Nach Sprengstoffanschlägen in einem Drogenkrieg in Köln und der Region gab es schon viele Festnahmen. Wie der Innenminister die Entwicklungen im Drogenmilieu einschätzt – auch mit Blick auf die Cannabis-Legalisierung.
NRW-Innenminister Reul im InterviewWie das Drogennetzwerk der „Mocro-Mafia“ bis nach Köln operiert
Herr Minister, seit einigen Wochen erschüttert ein Drogenkrieg mit Sprengstoffanschlägen, Folter-Aktionen und Geiselnahmen zwischen niederländischen Rauschgiftlieferanten und Kölner Gangs das Rheinland, was geschieht da gerade?
Herbert Reul: Da wird noch intensiv ermittelt. Die Drogen stammten aus den Niederlanden. Die Hälfte der 700 Kilogramm Cannabis wurde aus einer Lagerhalle gestohlen, und dann eskalierte eine Gewaltspirale, die wir so in NRW noch nicht erlebt haben. Das ist ein höchst komplexer Fall mit unterschiedlichen Akteuren.
Drohen uns dieselben Verhältnisse in der Rauschgiftszene wie in den Niederlanden – mit Auftragsmorden, Bombenanschlägen bis hin zu Drogenkriegen?
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Die Gefahr besteht, dass solche Szenarien häufiger stattfinden. Im aktuellen Fall haben unsere Ermittler das Problem frühzeitig erkannt. Bisher wurden zwölf der 15 bestehenden Haftbefehle vollstreckt. Das ist eine super schnelle Reaktion, die sicherlich auch unter den Drogengangstern Wirkung zeigt. Allerdings muss man auch konstatieren, dass es sich nach den bisherigen Erkenntnissen um ein weit verzweigtes Netzwerk handelt.
Reul: „Unsere schnelle Reaktion wird sicherlich auch unter den Drogengangstern Wirkung zeigen“
Nun wird stets von der „Mocro-Mafia“ gesprochen, einer Gruppierung meist gebürtiger Marokkaner aus den sozialen Brennpunkten von Utrecht, Amsterdam und Rotterdam, die nun auch in NRW und anderswo neue Geschäftsfelder mit brachialer Gewalt etablieren will. Welche Erkenntnisse bestehen in dem Kontext?
Ich warne vor der Verwendung des Begriffs „Mocro-Mafia“. Es ist ein medialer Kunstbegriff und wird in der Polizeiarbeit nicht genutzt – weder bei uns noch in den Niederlanden.
Er suggeriert, dass wir es hier mit einer in sich geschlossenen Organisation zu tun haben. Da sind aber nicht nur Marokkaner, sondern auch Täter mit anderen Herkunftsbiografien dabei. Die Drogenhändler hatten unter anderem auch in Köln einen Abnehmer für ihren Stoff mit örtlichen Banden geschaffen und dieses Mal ging die Sache schief.
Kriminalisten warnen vor einer Schwemme von Kokain, synthetischen Drogen aber auch Cannabis, die derzeit gerade auch NRW überflutet. Was denkt der Minister?
Machen wir uns nichts vor, über die großen Seehäfen insbesondere in den Beneluxstaaten landen tonnenweise Drogen an. Und der Stoff wird dann in ganz Europa weiterverteilt.
Selbst unsere holländischen Nachbarn reagieren erstaunt darüber, dass Deutschland das Cannabis-Liberalisierungsgesetz eingeführt hat, mit dem in den Niederlanden der Aufstieg der „Mocro-Mafia“ begann. Wie lautet ihr Kommentar?
Das Erstaunen kann ich verstehen. Kurz nach dem Mord an dem niederländischen Enthüllungsreporter Peter De Vries im Juli 2021 haben Medien hierzulande über die Ursachen berichtet, wie das Drogennetzwerk in den Niederlanden aufgestiegen ist. Das hat mir schon damals zu denken gegeben.
NRW-Innenminister: „Das Cannabis-Gesetzt schafft einen neuen Verkaufsraum für Großdealer“
Kriminelle Mocro-Gangs, ein holländisches Slangwort für Marokkaner, begannen mit Cannabisschmuggel, übernahmen dann den Koks-Markt und…
...Und jetzt stellt sich die Frage, ob die Cannabis-Legalisierung dazu führt, dass sich diese Banden auch an Rhein und Ruhr breitmachen? Das kann ich noch nicht definitiv sagen. Dafür ist der Zeitraum zu kurz, seitdem das Cannabis-Gesetz der Bundesregierung am 1. April in Kraft trat. Zahlen und damit empirische Beweise haben wir noch nicht. Aber eigentlich ist es eine logische Folge.
Wenn man den Konsum von Marihuana und Haschisch legalisiert, werden mehr Menschen einen Joint rauchen. Und wenn das legale Angebot nicht da ist, weil die ganzen Cannabis-Vereine noch gar nicht aktiv sind und weil die auch gar nicht so viel produzieren können, dann pumpen die Drogenhändler aus den Niederlanden und anderswo ihren Stoff auf den Markt. Das heißt: Mit dem Cannabis-Gesetz schaffen wir einen neuen Verkaufsraum für die Großdealer.
SPD-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach behauptet, dass mit der Legalize-it-Novelle Justiz und Polizei entlastet würden, weil zum einen der Schwarzmarkt zurückgehe und die Kiffer nicht mehr kriminalisiert würden. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Genau umgekehrt. Derzeit ist es doch so: Staatsanwälte und Richter müssen zigtausende Altfälle durchleuchten, in denen Delinquenten unter anderem wegen Cannabis-Besitzes oder dem Handel verurteilt wurden. Die Polizei weiß noch gar nicht, wie sie in der Praxis mit den Leuten umgehen soll, die bis zu 50 Gramm Marihuana zu Hause horten.
Früher war der Fall klar. Es handelte sich um eine nicht geringe Rauschgiftmenge, die nicht nur dem Eigenkonsum diente. Heute weiß die Polizei nicht, warum ein Mensch 50 Gramm zu Hause lagert. Ist er ein Dealer? Wie häufig holt er sich neuen Stoff? Woher bezieht er das Zeug? Was macht einer mit 25 Gramm Gras in der Tasche am Kölner Ebertplatz? Will er das Zeug verkaufen? Das Lauterbach-Gesetz erschwert die Beweisführung enorm. Auch die Kommunen haben da Probleme. Wie wollen denn die Ordnungsämter sicherstellen, dass in einem 100-Meter-Radius rund um eine Kindertagesstätte nicht gekifft wird? Das ist doch absurd.
Kann die Polizei unter diesen erschwerten Bedingungen noch ihren Job machen?
Umfassend nein, in Teilen ja. Das war aber schon immer so im Kampf gegen den Drogenhandel. Deshalb ist es wichtig, dass die Ermittler im Feld Organisierte Kriminalität insbesondere die Verkaufs- und Logistikstrukturen der großen Gangs zum Beispiel aus den Niederlanden aufhellen können. Den Alltag, den Kleinkram aufzuklären – damit werden wir das Problem nicht lösen. Allerdings darf die Polizei auch die Klein- oder mittelgroßen Cannabis-Dealer nicht aus dem Auge verlieren. Klar ist aber auch, früher war das einfacher, mit dem Lauterbach-Gesetz wird dies schwieriger.