Köln und Düsseldorf erzielten Deutschland weit mit die höchsten Steuereinnahmen, auch andernorts kam reichlich Geld in die Kassen. Trotzdem machten Kommunen im letzten Jahr Miese: Das Defizit von 246 Millionen Euro ist ein Grund für die vielerorts gestiegene Grundsteuer.
Zu hohe Sozialkosten, zu wenig InvestitionenTrotz steigender Steuereinnahmen sind NRW-Kommunen im Minus
Die Kommunen in NRW habe im vergangenen Jahr im Schnitt mehr Geld ausgegeben als sie eingenommen haben. Nach sechs positiven Jahren zuvor steht für das Jahr 2022 unterm Strich ein Minus von 246 Millionen Euro. Das geht aus dem neuen kommunalen Finanzreport der Bertelsmann Stiftung hervor.
„Bei anhaltenden Defiziten fehlen finanzielle Handlungsspielräume und die kommunale Selbstverwaltung ist bedroht“, warnte Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Stiftung und Mitautorin der Studie. Viele Kommunen seien finanziell zu schlecht aufgestellt, um die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart zu meistern. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Warum hat sich die Finanzlage so dramatisch verschärft?
Alles zum Thema Ina Scharrenbach
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Die Steuereinnahmen in NRW sind zwar auf fast 30 Milliarden Euro gestiegen. Damit liegen die Kommunen im bundesweiten Pro-Kopf-Vergleich sogar über dem Durchschnitt, so die Studie. Die Ausgaben wuchsen jedoch noch stärker. Personalausgaben summierten sich etwa auf mehr als 20 Milliarden Euro, die Sozialausgaben lagen knapp darunter.
Wie haben die Kommunen reagiert?
Jede vierte Kommune hat 2022 den sogenannten Hebesatz für die Grundsteuer B erhöht und damit mehr Geld von Immobilienbesitzern verlangt. Nach einer Auswertung der Beratungsgesellschaft Ernst & Young erhöhten 26 Prozent den Faktor, mit dem die genaue Grundsteuerhöhe ermittelt wird. NRW-weit lag der Hebesatz-Durchschnitt am Jahresende bei 595 Prozent.
Das bevölkerungsreichste Bundesland hatte damit bundesweit den mit Abstand höchsten Wert vor Hessen (495 Prozent) und dem Saarland (446 Prozent). Deutschlandweit lag der Durchschnitt unter den Flächenländern 2022 bei 391 Prozent. Die Grundsteuer zählt zu den wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen.
Was ist mit den Investitionen?
Bei den Investitionen bleibt NRW im Vergleich zu den meisten anderen Flächenländern abgehängt: Mit 426 Euro je Einwohner haben 2022 nur Kämmerer im Saarland weniger pro Kopf investiert. Insgesamt summierten sich die Investitionen 2022 auf fast acht Milliarden Euro – das entspricht immerhin einer Verdoppelung seit 2017.
Köln zählt zu den steuerstärksten Kommunen Deutschlands
Wie groß sind die regionalen Unterschiede?
Extrem. So gehören Düsseldorf, Köln, Münster und der Kreis Mettmann zu den 20 steuerstärksten Kommunen Deutschlands. Die wenigsten Steuereinnahmen erzielen Herne und Gelsenkirchen. Gerade einige Industriestädte des Ruhrgebiets seien zudem weiter durch hohe Kassenkredite belastet, heißt es.
Diese Art sich zu verschulden, quasi per Dispokredit, gilt als zentraler Krisenindikator. Seit 2015 schmelzen die Kassenkredite zwar langsam ab und sind auch in NRW auf 19 Milliarden Euro gesunken. Doch weiterhin konzentriere sich die Kassenkreditverschuldung zu großen Teilen auf Städte des Ruhrgebiets sowie auf Großstädte im Bergischen Land. 2021 zählten etwa Hagen, Remscheid, Mülheim und Oberhausen zu den bundesweit zehn Städten mit der höchsten Kassenkredit-Verschuldung pro Kopf.
Wie geht es beim Thema Altschulden weiter?
Nachdem die Landesregierung mit ihrem ersten Anlauf, ein Altschuldenprogramm auf den Weg zu bringen, im August am Widerstand der Städte, Kreise und Gemeinden gescheitert ist, soll das Thema erst zum 1. Januar 2025 wieder aufgegriffen werden. Die Kritik fiel heftig aus. Der Vorschlag aus dem von der CDU-Politikerin Ina Scharrenbach geführten Kommunalministerium hätte aus ihrer Sicht bedeutet, dass der Bund die eine Hälfte der kommunalen Altschulden übernimmt und das Land die andere. Diesen Anteil hätten die Kommunen „de facto aber komplett allein bezahlen“ müssen.
Welche Lösung schlagen die Kommunen vor?
Die kommunalen Spitzenverbände in NRW fordern ein Entschuldungsprogramm, das „fair und nachhaltig“ ist und an dem sich auch der Bund beteiligen muss. Schließlich habe er „mit seiner Sozialgesetzgebung wesentlich zum Aufwuchs der Kassenkredite beigetragen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Städtetags NRW, des Landkreistags und des Städte- und Gemeindebunds. Der bisher vom Land NRW angekündigte zugesagte Anteil an der Grunderwerbssteuer in Höhe von 460 Millionen Euro reiche nicht aus. Das Land müsse im Haushalt 2025 „Spielräume für eine echte Landesbeteiligung schaffen.“
Finanzierung der Schulen ist für Städte ein großes Problem – Was folgt auf den Digitalpakt?
Wie hoch sind die NRW-Kommunen eigentlich verschuldet?
Die Summe der Liquiditätskredite in NRW lag Ende Dezember vergangenen Jahres bei 21,264 Milliarden Euro. 199 von 429 Kommunen weisen eine Pro-Kopf-Verschuldung von mehr als 100 Euro pro Einwohner aus.
Was sind die wichtigsten Baustellen?
Vor allem die Finanzierung der Schulen stellt Städte und Gemeinden vor enorme Probleme. Die kommunalen Spitzenverbände fordern als Grundlage für den Reformprozess ein Gutachten, „das die bisherige Finanzierung und die finanziellen Bedarfe systematisch erfasst“. Die veränderten Anforderungen an Schulen und Schulträger müssten „strukturell abgesichert und die Kosten gerecht verteilt werden“. Als Konsens gilt: Die Lösung muss länger halten als eine Wahlperiode.
Was heißt das konkret?
Beim Ausbau der digitalen Infrastruktur an den Schulen kommt NRW aus Sicht der Kommunen zwar gut voran, weil durch den Digitalpakt von Bund und Ländern dafür einmalig 1,4 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. 80 Prozent dieser Mittel seien aber bereits verplant. „Wenn für den Digitalpakt Schule nicht bald ein Nachfolgeprogramm kommt, drohen die Schulen zu digitalen Investitionsruinen zu werden. Eine Investitionslücke nach 2024 wäre fatal. Wir brauchen ein gemeinsames Zielbild und eine Verständigung mit den Kommunen: Wie soll die digitale Schule 2030 aussehen? Wir brauchen eine Roadmap, die den Städten Planungssicherheit gibt“, sagt Thomas Kufen, Vorsitzender des Städtetags NRW.
Was ist mit der Ganztagsbetreuung?
Eltern haben darauf ab Sommer 2026 einen Rechtsanspruch, doch schon jetzt ist klar, dass es bis dahin kein ausreichendes Angebot geben wird. Deshalb fordern die Kommunen ein neues Schulinvestitionsprogramm, das so lange laufen müsse, bis eine grundlegende Reform der Schulfinanzierung steht.
Bei der Finanzierung der Unterbringung von Geflüchteten stehen die Kommunen auch vor großen Problemen. Wie ist der Stand?
„Die Städte in NRW stehen zu ihrer Verantwortung, geflüchteten Menschen Schutz und Zuflucht zu bieten. Klar ist aber auch: Mit den jüngsten Zuweisungen Geflüchteter aus den Landeseinrichtungen an die Kommunen kommen jetzt wieder zusätzliche finanzielle Belastungen auf uns zu. Deshalb ist es umso dringender, dass es endlich konkrete finanzielle Zusagen des Landes gibt“, sagt Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetags NRW. „Für uns ist absolut unverständlich, warum die Landesregierung seit Monaten nicht auf unsere Forderungen reagiert, die Flüchtlingsfinanzierung des Landes für die Städte deutlich aufzustocken. Bisher hat das Land nicht einmal Gespräche mit uns aufgenommen, wie und wann die vom Bund bereits verbindlich für NRW zugesagten 750 Millionen Euro auf die Kommunen verteilt werden.“
Von der Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler im November erwartet der Städtetag NRW, dass ein dauerhaftes System der Finanzierung geschaffen wird, „das sich dynamisch den Flüchtlingszahlen anpasst und uns Planungssicherheit gibt“, sagt Dedy. „Es muss Schluss damit sein, dass sich Bund und Länder bei der Flüchtlingsfinanzierung immer von einer temporären Lösung zur nächsten hangeln.“ Zum Forderungspaket zählt auch, dass die Flüchtlingsfinanzierung in NRW gesetzlich neu geregelt und abgesichert wird. Dedy: „Wir erwarten von der Landesregierung, dass sie möglichst schnell konkrete Eckpunkte für eine Reform vorlegt, mit der die Finanzierungslücken in den Kommunen geschlossen werden.“