Die kleinen Freuden des Alltags genießen ist wichtig, auch und gerade in Krisenzeiten. Eine Anleitung von sieben Kölnerinnen und Kölnern.
Protokolle der HoffnungWie es Kölnern gelingt, auch in Krisen das Leben zu feiern
Erst die Corona-Pandemie, dann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die damit einhergehende Energie-Krise, Inflation und nun die Terrorangriffe der Hamas auf Israel und der dadurch ausgelöste Krieg im Nahen Osten - An schlechten Nachrichten mangelt es seit einigen Jahren nicht. Und dennoch gibt es Gründe und vielleicht sogar die Pflicht, die Hoffnung nicht aufzugeben, Kraft zu schöpfen aus dem Glück des Augenblicks und den Begegnungen mit anderen Menschen, Freunden, der Familie. Wir haben uns sowohl bei Prominenten als auch bei Leserinnen und Lesern umgehört, was ihnen in diesen Zeiten das Leben schön macht. Und haben Anregungen gesammelt, die uns allen eine Anleitung sein sollen, die Gegenwart mit Freude zu genießen. Vielleicht gerade in schwierigen Zeiten.
Ines Marie Westernströer, 37, Schauspielerin und Tatort-Kommissarin
Im Moment ist politisch vieles so unübersichtlich und wahnsinnig aufgeladen, dass es mir schwerfällt, hoffnungsfroh zu sein. Dann aber kommen mir einzelne Menschen in den Sinn, die für Verständigung eintreten, die Feindbilder abbauen und entschlossen gegen die weitere Klimaerwärmung kämpfen. Luisa Neubauer zum Beispiel. Die finde ich super. Sie spricht klar, klug und empathisch. Überhaupt machen mir zurzeit die jungen Menschen Hoffnung, die sich stärker einmischen als früher und Verantwortung übernehmen wollen. Und wenn ich weiter an die ganz Kleinen denke, dann ist meine vier Jahre alte Patentochter ein ständiger Grund zur Freude. Es ist so schön, mit ihr zusammen in die Welt zu schauen und sie mit ihren Augen neu zu entdecken. Ein Kind wie sie hat noch keine vorgefertigten Meinungen, noch keine Vorurteile, keine Schablonen. Aus einem Stuhl kann für sie von einem Augenblick auf den anderen ein Zug werden oder ein Kaufladen. Diese Fantasie und das absolute Im Moment sein – das ist wunderschön.
Michael Hallek, 64, Onkologe am Universitätsklinikum Köln
In Zeiten wie diesen fällt es besonders schwer, sich die positiven Seiten des Lebens zurückzuholen und all das, was um uns herum an Schrecklichem geschieht, auch mal wegzudimmen. Sich darum zu kümmern, ist aber ungeheuer wichtig. Das sage ich natürlich aus der Perspektive des Arztes und aus den Erfahrungen mit meinen Patienten. Ich befolge das aber auch für mich selbst. Am Wochenende muss ich deshalb einfach einen Tag lang raus – Wandern in der Eifel zum Beispiel und nichts anderes tun, als den richtigen Weg suchen und sich an der Stille ringsum freuen.
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Bereichernd ist für mich auch das Essen mit Freunden. Ich fange jetzt, in den dunklen Tagen, gerade wieder verstärkt mit dem Kochen an. Warme Schmorgerichte, Gulasch oder – aktuell mein Favorit – ein wunderbarer korsischer Auflauf namens Stufatu: Makkaroni mit Kalb- und Lammfleisch, fein gewürfelt und mit Käse überbacken. Und das dann nicht alleine essen, sondern mit Menschen, die man mag. Da geht es einem einfach gut. Ich glaube, es sind vor allem diese Momente, die unser Leben vor der Erbarmungslosigkeit und völligen Finsternis retten.
Angelika Nußberger, 60, Professorin an der Universität zu Köln und Direktorin der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz
Die Kriege sind um uns herum, aber wir sind nicht mittendrin. Einmal war ich mittendrin, im Mai bei einem Arbeitstreffen in Kiew. Als wir nach einer langen und bangen Nacht im Zug frühmorgens in Kiew ankamen, waren wir angespannt, nervös, besorgt; in der Nacht war die Stadt bombardiert worden. Aber das Erste, was uns in die Augen fiel auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel, waren wunderbar gepflegte, rot leuchtende Tulpenrabatten. Es schien, als hätten sich die Gärtner ganz besonders viel Mühe gegeben, als hätten sie ihre ganze Liebe auf diese Beete verwendet. Für mich war es eine Botschaft, ein Zeichen der Hoffnung – wir geben nicht auf, wir denken nach vorne, wir achten das Schöne auch in finsterer Zeit.
Oft erinnere ich mich an die Erzählungen der bulgarischen Großmutter meines Mannes, die mit vier kleinen Kindern während des Zweiten Weltkriegs von Land zu Land floh. Sie hat Schreckliches erlebt. Aber ich habe sie immer als sehr lebensfroh und glücklich erlebt. Sie hat sich ihr Lachen nicht nehmen lassen.
Stefan Kraus, 63, Leiter des Museums Kolumba
Freude kommt auf, wenn man in krisengeschüttelten Zeiten in Gemeinschaft mit anderen – Fremden wie Freunden – einen Moment der Unbeschwertheit erlebt. Da ich individuelle Freiheit und soziale Verantwortung aber nur gemeinsam denken kann, ist das derzeit gar nicht so einfach. Es braucht den geschützten Raum. Kultur – im weitesten Sinne – kann uns fern der täglichen Zwecke abseits stellen, uns außerhalb von Ort und Zeit schweben lassen. Es sind Resonanzen, die man nicht erzwingen kann; sie ergeben sich, sofern man sich öffnet. Dann kann man im Theater die Welt vergessen, im Museum träumen, ausgelassen tanzen, gemeinsam kochen, völlig aufgelöst Musik hören (zuletzt das Maciej Obara Quartett im Stadtgarten!) oder selbst welche machen (Liebe Grüße an die Gewächse im Jazz-Garden…).
Was mir Hoffnung macht, ist die Opposition der jüngeren Generation. Damit meine ich nicht die vermeintlichen Jecken, die Köln in eine Müllhalde verwandeln. Auch keine wokeness, die sich für was Besseres hält, aber zum Beispiel die deutsche Abteilung von „Fridays for Future“ (und nur die deutsche!). Frei nach der Ansicht Hegels, die die neue Backstein-Fassade des Hansa-Gymnasiums in Köln ziert: „Der Widerspruch aber ist die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit.“
Gülay A., 46, Arzthelferin, Köln
Wenn ich mich vom Weltgeschehen ablenken will, dann gelingt mir das am leichtesten mit Begegnungen. Ich gehe mit Freundinnen spazieren, ins Theater, treffe mich auf Kaffee und Kuchen, beschränke Gespräche auf das Private. Ich schotte mich vor den Nachrichten nicht ab, aber ich reduziere, bin bewusst wenig im Netz aktiv. Seit ich mich hier ein Stück weit schütze, merke ich, wie es mir besser geht.
Generell suche ich aber nicht nur den Austausch mit Freunden, sondern bin auch bei Fremden offen für Gespräche. Zuletzt saß ich draußen im Café und habe einen Cappuccino in der Sonne getrunken. Mir fiel eine Seniorin auf, die immer wieder sehnsüchtig auf meine Tasse blickte. Ich habe sie dann angesprochen und gefragt, ob ich sie zu einem Cappuccino einladen darf. Erst hat sie sich gewehrt, aber schließlich willigte sie doch ein. Wir saßen dann zusammen, sie löffelte andächtig ihren Milchschaum und erzählte von ihrem Leben. Sie freute sich und mir selbst machte das wiederum gute Laune. Diesem Grundsatz folgend versuche ich auch als Arzthelferin in meinem Beruf immer zu handeln: Jede nette Kommunikation hilft, den Tag zu überstehen.
Almuth Steffens, 71, Rentnerin, Köln
Mein Sohn ist vor 18 Jahren als junger Mann an Leukämie gestorben, mein Mann starb vor zwei Jahren, vorher habe ich ihn neun Jahre gepflegt, er war dement. Erstmal sind solche Schicksalsschläge wie ein Erdbeben, wie ein Vulkanausbruch. Aber gerade in der Gemeinschaft mit Freunden und Familie habe ich auch gelernt, nicht mehr die rückwärtsgewandte Frage „Warum?“, sondern das hilfreiche „Wozu?“ zu stellen. Vielleicht kann ich etwas daraus lernen. Vielleicht ist meinem Sohn und meinem Mann etwas erspart geblieben. Solange man mit anderen spricht, ist man nie allein. Mutlosigkeit darf es nicht geben.
Mein ehrenamtliches Engagement macht mich demütig und erfüllt mich. Ich fahre beispielsweise Senioren mit der Rikscha durch die Stadt. Seit kurzem habe ich aber auch begonnen, etwas nur für mich zu machen. Ich besuche einen Tanzkurs. Es war schon eine Überwindung mit 71 Jahren, ich tanze dort auch mit Männern im Alter meiner Söhne. Aber das macht gar nichts. Jeder darf da sein, wie er will. Wir üben die Schritte, hören die Musik, das ist die pure Freude. Ich engagiere mich unter anderem in einem Nachbarschaftscafé, in dem ich lesenswerte Bücher vorstelle. Außerdem spiele ich Boule in einer Gruppe mit anderen Senioren. Mein Gott, was wir da manchmal lachen.
Viktoria, 45, Finanzmanagerin, Kerpen
Die Belastung als berufstätige Mutter im Alltag empfinde ich als extrem hoch. Soziale Kontakte bleiben da oft auf der Strecke. Als mir bewusst wurde, dass ich kurz vor dem Burnout stehe, habe ich mir gestattet, auch mal an mich zu denken. Nicht nur an die Arbeit, an Weltkrisen, an die Familie. Angefangen hat es mit „Ihr Moment“, einem Angebot der AOK. Viermal im Jahr treffen sich hier Frauen und lernen, achtsamer zu leben, Stress zu reduzieren, sich etwas Gutes zu tun. Wir waren zum Beispiel im Wald unterwegs und haben dabei Gedächtnisspiele gemacht. Ich packe meinen Koffer. Oder was Kreatives: Welche Formen oder Tiere können wir in den Wolken entdecken? Was man sonst nur mit Kindern spielt. Das hat richtig Spaß gemacht, es war so entspannend, wunderbar. Früher saß ich in der Mittagspause mit meinem Teller vorm Computer. Ich hatte Schlafprobleme, konnte schlecht abschalten, das war keine angenehme Situation.
Bei den Achtsamkeitsübungen habe ich gelernt, mich besser wahrzunehmen. Ich kann mich jetzt auch über Kleinigkeiten freuen, achte beim Spazierengehen auf Bäume, schöne Lichtreflexionen, die Schatten. Diese Momente genieße ich sehr. Und auch in der Familie gibt es mehr Positives, weil ich gelernt habe, mich auf schöne Dinge zu konzentrieren und anderes loszulassen.