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Paragraf 218Welche NRW-Parteien Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisieren wollen

Lesezeit 5 Minuten
Der Paragraf 218 zum Schwangerschaftsabbruch steht in einem Habersack Gesetzestext.

Der Paragraf 218 zum Schwangerschaftsabbruch ist umstritten – seine Abschaffung steht nun im Bundestag auf der Agenda.

NRW-Ministerin und Vorsitzende der Frauenunion Ina Scharrenbach lehnt eine Abschaffung des Paragrafen 218 ab. Diese Woche debattiert der Bundestag. Was zu erwarten ist.

In dieser Woche könnten die Parteien im Bundestag die Abschaffung des Paragrafen 218 beraten. Initiatoren sind SPD, Grüne und Linke. Auch aus NRW haben sich Politikerinnen und Politiker zu Wort gemeldet.

Worum geht es?

Die Gruppe aus SPD, Grünen und Linken plädiert dafür, Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz herauszunehmen. Frauen sollen „rechtmäßig und straffrei“ bis zur zwölften Woche ihre ungewollte Schwangerschaft beenden können. Aus medizinischen Gründen oder nach einer Vergewaltigung soll ein Abbruch auch jenseits der Frist erlaubt sein. Verpflichtend soll weiterhin sein, sich vorher beraten zu lassen, allerdings will man die derzeit geltende Wartezeit von drei Tagen abschaffen. Zudem soll der Schwangerschaftsabbruch von den Krankenkassen bezahlt werden. Bislang ist ein Abbruch auch innerhalb der Frist zwar straffrei, aber illegal.

Wie argumentieren die Initiatoren des Antrags zur Abschaffung des Paragrafen?

Bislang schränke der Paragraf 218 die Selbstbestimmung und persönliche Integrität Schwangerer erheblich ein und könnte „ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit Schaden zufügen“, steht im Antrag. Um grundrechtliche Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen, müsse die eigenverantwortliche Entscheidung Schwangerer über die Schwangerschaft in den ersten Wochen akzeptiert werden.

Anja Butschkau von der SPD NRW sagt auf Anfrage dieser Zeitung, eine Entkriminalisierung werde zu einer verlässlicheren Versorgung beitragen. Die gegenwärtige Regelung führe dazu, „dass es immer weniger Ärztinnen und Ärzte gibt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Ungewollt Schwangere müssen immer weitere Wege zurücklegen – gerade dann, wenn sie außerhalb der Ballungsräume leben.“

Nach Zahlen des statistischen Landesamtes hat sich die Anzahl der Praxen, die einen Abbruch anbieten innerhalb der vergangenen 20 Jahre von 2030 auf 1092 fast halbiert. In einem Positionspapier mehrerer Rechts- und Gesundheitspolitiker der Grünen aus August dieses Jahres wird auf verschiedene Menschenrechts-Gremien, darunter auch den Kommissar für Menschenrechte des Europarates sowie die WHO verwiesen, die alle eine Entkriminalisierung fordern. Dies zeige, dass die deutsche Regelung reformbedürftig sei und anderen europäischen Staaten hinterherhinke.

NRW-Justizminister Benjamin Limbach begrüßt den Gesetzentwurf auf Anfrage unserer Zeitung als „Schritt für mehr Selbstbestimmung“. Unabhängig davon, ob der Gesetzentwurf noch vor der Bundestagswahl abgestimmt werden könne, sei er „ein wichtiger Beitrag zur Debatte“.

Welche Chancen hat der Antrag noch vor der Bundestagswahl?

Die Initiatoren von Grünen, SPD und Linke verfügen rechnerisch über keine Mehrheit im Bundestag. Deshalb habe man mit Kolleginnen und Kollegen der FDP verhandelt und sei in Teilen auf Zustimmung gestoßen, sagte jüngst SPD-Abgeordnete Carmen Wegge. Bei der NRW-Landtagsfraktion der Liberalen warnt man auf Anfrage dieser Zeitung allerdings vor einem Schnellschuss. Das Thema ist nach Aussage von Fraktionschef Henning Höne „ungeeignet für die letzten rund 80 Tage vor der Wahl“.

Jeder Vorschlag müsse nicht nur den rechtlichen und ethischen Anforderungen genügen, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz mit einbeziehen. „Eine Polarisierung, wie wir sie in anderen Ländern, etwa in den USA, beobachten können, ist kontraproduktiv und sollte unbedingt vermieden werden.“

CDU und CSU hatten den Gesetzentwurf scharf kritisiert. NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) spricht sich auf Anfrage gegen den Antrag und für die Beibehaltung der jetzigen Regelung aus. Bei der Straffreiheit in der Frühphase handle es sich um einen „gesellschaftlich getragenen Kompromiss“. Sowohl dem Selbstbestimmungsrecht der Frau als auch dem Recht auf Leben werde man damit gerecht. „Dadurch wird ein Gleichgewicht geschaffen.“ Das Angebot der ambulanten und stationären Versorgung müsse allerdings gestärkt werden.

Intern geht man davon aus, dass Scharrenbach mit ihrer Bekräftigung der konservativen Position auch in Berlin gefallen will und sich dort nach der Wahl für ein mögliches Amt ins Gespräch bringen will. Unions-Chef Friedrich Merz hatte schließlich mit Empörung auf den Gesetzesvorstoß reagiert und gerade die Unterschrift des Kanzlers Olaf Scholz „skandalös“ genannt.

Und wie sieht es nach der Bundestagswahl aus?

In einem Interview mit den Stuttgarter Nachrichten zeigte sich Friedrich Merz nun aber überraschend gesprächsbereit, was die Zeit nach der Bundestagswahl betrifft. Natürlich, so wird er zitiert, „kann man sich nach so vielen Jahren noch einmal neu mit dem Thema beschäftigen“. Auch bei der NRW-FDP verschließt man sich auf Anfrage einer Debatte nicht. Von Bedeutung sei jedoch ein „breiter gesellschaftlicher Konsens“, dem ein breiter Dialog vorausgehen müsse.

Was steckt hinter der Gesprächsbereitschaft von Merz aus NRW-Sicht?

In der NRW-CDU geht man interner Stimmen zufolge nicht davon aus, dass Merz seine Position aufgibt. Insgesamt sei ohnehin entscheidend, welche Parteien nach der Wahl regierten und was im Koalitionsvertrag stehe. Die NRW-Grünen sind da nicht ganz so pessimistisch. Es sei laut Justizministerium „aus unserer Sicht sehr zu begrüßen, wenn sich weitere Abgeordnete – wie Herr Merz – der Initiative anschließen“. Und auch die NRW-FDP will der CDU eine Offenheit bei der Debatte nicht absprechen. Ohnehin bräuchte es für einen neuen Konsens „auch konservative Stimmen“, so Henning Höne. In der SPD sieht man Merz’ Aussage mit „Skepsis“, wie Anja Butschkau von der NRW-SPD auf Anfrage dieser Zeitung schreibt. Aber auch Merz werde „nicht ignorieren, dass eine breite Mehrheit von 83 Prozent der Menschen in Deutschland für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ist“.

Wie sind Schwangerschaftsabbrüche im europäischen Ausland geregelt?

In Dänemark wird man ab Mitte kommenden Jahres bis zum Ende der 18. Schwangerschaftswoche selbst bestimmt eine Schwangerschaft beenden können, in den Niederlanden sind Abbrüche bis zur 24. Woche möglich, in Frankreich hat die reproduktive Selbstbestimmung der Frau ausdrücklich Verfassungsrang. Derzeit handhabt nur Polen den Umgang mit Abbrüchen strenger. Allerdings hat die Regierung auch dort eine Liberalisierung angekündigt.