NRW-Innenminister Herbert Reul spricht im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger" über die Chance der Großen Koalition, die Lehren aus den islamistischen Anschlägen und Kölner Probleme.
Reul im Interview„Man müsste den Ebertplatz baulich komplett verändern“
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NRW-Innenminister Herbert Reul beim Interview im Neven-Dumont-Haus. Er sagt: „Ich befürchte, wenn keine stabile Regierung in der demokratischen Mitte zustande kommt, wird die AfD stärker.“
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Das CDU-Ergebnis bei der Bundestagswahl ist schwächer als erhofft. Geht das auf das Konto von Friedrich Merz, der beim Thema Migration die Zustimmung der AfD in Kauf genommen hat?
Nein. Das geht auf das Konto der Ampelparteien, die sich jahrelang gestritten haben wie die Kesselflicker. Die Leute waren von dieser Regierung frustriert. Das hat die AfD stark gemacht. Jetzt ist ein Zweierbündnis nur noch mit der SPD möglich. Wird sich die CDU bei den Themen Mindestlohn, billiges Wohnen und Bürgergeld auf die SPD zubewegen?
Eine Koalition heißt immer Kompromisse eingehen. Das bedeutet: Beide Seiten müssen sich bewegen, damit wir eine stabile Bundesregierung bekommen. Was das konkret bedeutet, werden die Gespräche zeigen.
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In NRW hat es noch nie eine große Koalition gegeben, die Parteien sind Antipoden. Wird sich das Klima jetzt verbessern?
Das hängt von den Personen ab. Politischer Streit ist nichts Negatives, sondern gehört dazu. Wir werden uns weiterhin kritisch auseinandersetzen. Aber mir ist es wichtig, dass wir Demokraten Einheit zeigen, wenn es darauf ankommt.
Ich bin kein Hellseher. Aber ich empfehle der SPD und auch uns als CDU, dass wir jetzt die Verantwortung wahrnehmen und den Wählerwillen umsetzen
Was passiert, wenn die SPD-Basis ein Bündnis mit der CDU ablehnt? Gibt es dann Neuwahlen?
Ich bin kein Hellseher. Aber ich empfehle der SPD und auch uns als CDU, dass wir jetzt die Verantwortung wahrnehmen und den Wählerwillen umsetzen. Es gibt wichtige, zentrale Themen in der Inneren Sicherheit, die jetzt unbedingt umgesetzt werden müssen.
Die AfD hat jetzt 20,8 Prozent erzielt. Ist dies das Ende der Fahnenstange?
Ich befürchte, wenn keine stabile Regierung in der demokratischen Mitte zustande kommt, wird die AfD stärker.
Was halten Sie davon, die Reform der Schuldenbremse in einer Sondersitzung mit dem alten Bundestag durchzusetzen?
Zuerst muss geklärt werden, ob die Reform der Schuldenbremse der einzige Weg ist, die Haushaltssituation zu verbessern. Wenn es keine anderen Optionen gibt, kann das funktionieren. Das Regieren wird mit stärkeren Linken und Rechten nicht leichter, gerade wenn es um eine Grundgesetzänderung geht, die nur mit Zweidrittelmehrheit möglich ist.
Eine neue Bundesregierung muss die Verkehrsdatenspeicherung unverzüglich angehen
Nach dem Anschlag von Solingen haben Bund und Länder Initiativen angekündigt, die eine Vorratsdatenspeicherung ermöglichen sollen. Danach wurde es still um die Pläne. Wie weit sind Sie bei dem Thema vorangekommen?
Wir haben in Nordrhein-Westfalen viel bewegt - gemeinsam mit den Grünen. Wir haben ein breites Sicherheitspaket geschnürt, das in der Umsetzung ist und wir haben eine Bundesratsinitiative gemeinsam mit anderen Ländern eingebracht - alles, um die Sicherheit zu verbessern. Ich habe das auch auf der Innenministerkonferenz in Brandenburg nochmal breit dargelegt. Dort waren alle Innenminister einig, dass wir bei dem Thema jetzt Tempo brauchen. Auch die Bundesinnenministerin hat das so gesehen. Leider hat die Rest-Ampel dieses Thema dann gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Jetzt muss eine neue Bundesregierung die Verkehrsdatenspeicherung unverzüglich angehen. Das ist eine wichtige Aufgabe für die kommende Bundesregierung.
Wie könnte eine künftige Bundesregierung den Schutz vor psychisch kranken Straftätern verbessern?
Wir haben in Nordrhein-Westfalen ein Instrument geschaffen, das bundesweit einmalig ist. Das Programm PeRiSkoP ist keine Festnahmeeinheit, aber wir versuchen mit diesem Konzept Personengruppen mit psychischen Störungen in den Blick zu nehmen. Das passiert durch den Austausch zwischen verschiedenen Netzwerkpartnern: Polizei, Sozialbehörden, Kliniken und Ärzten. Es ist keine Garantie, dass nichts passiert. Aber wir haben in der Vergangenheit oft frühzeitig erkannt, ob ein Mensch kurz vorm Durchdrehen ist. Dieses Konzept würde ich gerne bundesweit ausrollen. Islamistische Gefährder, die oft durch Influencer radikalisiert wurden, werden immer jünger. Macht es - auch vor dem Hintergrund einer steigenden Jugendkriminalität - Sinn, die Grenze für die Strafmündigkeit auf unter 14 Jahre abzusenken?
Ich bin offen dafür, weil wir verstärkt Fälle hatten, in denen Kinder und Jugendliche Anschläge geplant haben. Daher könnte die Senkung der Strafmündigkeit ein Instrument sein, aber nicht das einzige. Wir dürfen auch die üblichen Maßnahmen, die bei kriminellen Jugendlichen vorgesehen sind, nicht außer Acht lassen.
Ich lehne mich nicht aus dem Fenster, wenn ich sage: Wir sind die bundesweit beste Polizei.
Sie sind 2017 mit dem Versprechen angetreten, dass es in NRW keine rechtsfreien Räume mehr geben soll. Jetzt sind Sie bald acht Jahre im Amt. Wie beurteilen Sie selbst den „Reul-Effekt“ auf die Innere Sicherheit in NRW?
Es gibt keinen rechtsfreien Raum in Nordrhein-Westfalen. Wir sehen das am Beispiel der Clans: Wenn die Polizei heute in den Milieus unterwegs ist, werden die Betroffenen ganz schnell schmallippig. Das war früher anders. Zudem stärken wir unsere Polizei Jahr für Jahr mit 3000 neuen Polizeianwärterinnen und -Anwärtern und haben die Ausstattung deutlich modernisiert. Jetzt müssen wir digitaler werden. Das wird die kommende Aufgabe. Ich lehne mich nicht aus dem Fenster, wenn ich sage: Wir sind die bundesweit beste Polizei. Unsere Beamtinnen und Beamten können selbstbewusst auftreten und haben alle Hände voll zu tun in einer Gesellschaft, die immer häufiger an Respekt zu wünschen übriglässt.
Sie leben in Leichlingen, ganz in der Nähe von Köln. Viele Kölner beklagen eine zunehmende Vermüllung der Stadt und fehlende Konzepte im Umgang mit Obdachlosen. Wie ist Ihr Blick auf die Entwicklung von Köln in den vergangenen Jahren?
Die politisch Verantwortlichen sind sich nicht einig, wie sie das Problem angehen wollen. Das Ergebnis: Es passiert nichts. Gleichzeitig ziehen sich die Menschen immer mehr zurück. Das was ein Veedel ausmacht, bleibt dann auf der Strecke.
Der Ebertplatz in Köln wirft ein Schlaglicht auf immer noch ungelöste Sicherheitsprobleme. Dort gibt es zwar eine Kameraüberwachung, aber der Drogenhandel floriert weiter. Was stimmt da nicht?
Das ist ein gutes Beispiel. Man müsste den Ebertplatz baulich komplett verändern. Es gibt aber da noch zu viele, die das blockieren, aus irgendwelchen architekturhistorischen Gründen. Ich habe dafür kein Verständnis. Die Polizei und das Ordnungsamt tun, was sie können, um viel Präsenz zu zeigen. Aber es gibt noch zu viele dunkle Ecken und verwinkelte Stellen auf dem Ebertplatz.
Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Trotzdem: Wir dürfen uns unsere Art zu leben und zu feiern nicht kaputtmachen lassen.
Viele Bürger verlangen an gefährlichen Orten eine Dauerpräsenz der Polizei mit mobilen Wachen. Wie stehen Sie dazu?
Eine solche Maßnahme ist sehr personalintensiv. Das muss man sich gut überlegen. Ich möchte lieber technische Möglichkeiten nutzen: mehr Kameraüberwachung und KI-gestützte Gesichtserkennung an solchen Orten. Dafür müssen wir uns aber uns von unserer Datenschutzverliebtheit in Deutschland verabschieden und den Behörden diese Möglichkeit einräumen.
Sie gehören zu den bekanntesten und populärsten Ministern in der Landesregierung. Haben Sie schon entschieden, ob Sie nach der Landtagswahl 2027 weitermachen wollen, falls das Wahlergebnis das zulassen würde?
Die Frage steht jetzt nicht im Raum. Ich bin bis 2027 gewählt. Bis dahin ist noch viel zu tun. Natürlich will ich dabei helfen, dass wir die nächste Landtagswahl wieder gewinnen. Dann sehen wir weiter.
Im Rheinland feiern wir gerade Straßenkarneval. Nach den Terroranschlägen von Magdeburg und Solingen haben viele Menschen Angst vor Amoktaten. Liegen den Sicherheitsbehörden Hinweise auf ein erhöhtes Anschlagsrisiko auf Umzüge in NRW vor?
Nein. Wir leben in einer Zeit, in dem wir ein abstrakt hohes Risiko haben. Das bedeutet, dass es keine konkreten Hinweise gibt. Wir müssen aber wachsam bleiben. Die größte Gefahr sind Einzeltäter, die sich innerhalb von kürzester Zeit radikalisieren. Die Polizei tritt mit massiven Kräften an Karneval auf und wird nicht lange fackeln, wenn eine Gefahrensituation auftritt. Unsere Beamtinnen und Beamte versuchen uns so gut es geht zu schützen. Aber zur Wahrheit gehört auch: hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Trotzdem: Wir dürfen uns unsere Art zu leben und zu feiern nicht kaputtmachen lassen. Ich bin in diesem Jahr auch wieder beim Rosenmontagsumzug in Köln dabei.