Der NRW-Verfassungsgerichtshof urteilt: Die NRW-Heimatministerin hat die Arbeit der Opposition im U-Ausschuss zur Flutkatastrophe behindert.
Urteil im AktenstreitNRW-Ministerin hat gegen Verfassung verstoßen und will jetzt nachliefern
Untersuchungsausschüsse gelten als das schärfste Schwert eines Parlaments. Jetzt hat sich Bauministerin Ina Scharrenbach ( CDU) böse an diesem Schwert geschnitten: Das höchste Gericht in NRW hat der Ministerin bescheinigt, dass sie gegen die Verfassung verstoßen hat, als sie den U-Ausschuss zur Flutkatastrophe in Sachen Akten auflaufen ließ. Jetzt will die Ministerin nachliefern.
Zur Erinnerung: Scharrenbach hatte dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) „Hochwasserkatastrophe“ lediglich zehn Seiten geschickt. „Und diese zehn Blättchen kamen sogar noch verspätet“, beschwerte sich die SPD damals. Zur Einordnung: Insgesamt wühlt sich der Ausschuss durch Hunderttausende Seiten an Akten zu dem Drama mit 49 Toten und 13 Milliarden Euro Schaden alleine in NRW.
Scharrenbachs Auftritt vor dem Ausschuss: arrogant
Scharrenbachs Begründung für ihre überschaubare Lieferung: Im Einsetzungsbeschluss stehe ja wörtlich, dass man mögliche Versäumnisse oder Fehlverhalten „während“ der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 untersuchen wolle. Es gehe also nur um drei Tage, so die Sicht der Ministerin, die vor allem für den Wiederaufbau zuständig ist – der logischerweise erst danach erfolgte.
Allerdings steht an anderer Stelle im Einsetzungsbeschluss auch: „Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich auf die Zeit vom 09.07.2021 bis zum 09.09.2021.“ Andere Ministerien und die Staatskanzlei lieferten denn auch tausende Akten für eben genau diesen Zeitraum. Bei ihrer vorerst letzten Vernehmung im U-Ausschuss vor gut einem Jahr ließ Scharrenbach alle Nachfragen dazu abperlen. Der Auftritt, den man durchaus als arrogant bewerten konnte, brachte bei der Opposition das Fass zum Überlaufen: Drei SPD-Abgeordnete reichten Klage in Münster ein.
Urteil von Gerichtspräsidentin Dauner-Lieb nun überraschend klar
Während die Gerichtspräsidentin zum Start des Verfahrens vor einigen Wochen noch keine Tendenz erkennen ließ, ist das Urteil jetzt überraschend klar: Die Ministerin habe „einen Beweisbeschluss zur Vorlage von Akten an den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (…) nur unzureichend erfüllt und dadurch die sich aus der Landesverfassung ergebenden Rechte der Ausschussminderheit verletzt.“
In ihrer Urteilsbegründung sagte Präsidentin Barbara Dauner-Lieb am Dienstagvormittag unter anderem: „Bei der Auslegung des Beweisbeschlusses ergibt sich, dass der Untersuchungsauftrag zeitlich nicht auf den Zeitraum bis zum Abfließen der Wassermassen beschränkt ist, sondern die Zeit vom 9. Juli bis zum 9. September 2021 erfasst.“ Dieser Zeitraum sei ja nun mal „explizit festgehalten“ worden. „Die weiteren Auslegungsmethoden führen zu keinem anderen Ergebnis“, so Dauner-Lieb: „Insbesondere spricht der historische Kontext gegen die von der Antragsgegnerin vorgenommene zeitliche Einschränkung.“
Ministerium: Werden entsprechende Akten zur Verfügung stellen
Historischer Kontext schlägt Scharrenbachs Sturheit, festgehalten unter Aktenzeichen VerfGH 31/23. Das Bauministerium fügt sich dem Urteil und teilte kurz nach der Entscheidung mit: „Das Ministerium dankt dem Gericht für das klarstellende Urteil im Hinblick auf den Untersuchungsauftrag des Untersuchungsausschusses. Das Ministerium wird die Urteilsbegründung mit der gebotenen Sorgfalt prüfen und nach der Prüfung selbstverständlich die entsprechenden Akten zur Verfügung zu stellen.“
Die SPD jubelte erwartungsgemäß über das Urteil: „Mit seiner Entscheidung hat das Landesverfassungsgericht die Rechte der Abgeordneten gestärkt und der Regierungswillkür von Frau Scharrenbach klaren Einhalt geboten. Der Arroganz der Macht wurden heute eindeutige Grenzen gesetzt“, so der Sprecher der Sozialdemokraten im Flut-Ausschuss, René Schneider.
René Schneider: „Wir haben durch die Eigenwilligkeit von Frau Scharrenbach ein Jahr verloren“
Schneider sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ weiter: „Wir haben durch die Eigenwilligkeit von Frau Scharrenbach ein Jahr verloren. Jetzt hoffen wir, dass wir endlich die erforderlichen Unterlagen bekommen, um nach der Katastrophe einen Weg einzuschlagen, wie wir es künftig besser machen können. Das erwarten die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu Recht von uns.“
Der SPD-Mann sieht nun auch Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in der Pflicht, seine Ministerin zumindest hinter den Kulissen zur Räson zu rufen: „Es ist jetzt auch am Chef der Landesregierung, da durchzugreifen und zu sagen: Jetzt ist genug!“ Die „Klatsche für eine Ministerin der NRW-Landesregierung“, wie sogar die nüchterne Nachrichtenagentur dpa am Dienstag schrieb, dürfte wohl tatsächlich auch Thema in der Kabinettssitzung gewesen sein. Die fand ebenfalls am Dienstag statt. Das erste Treffen von Ministerpräsident Wüst und seinen Ministern nach den Osterferien.
Nach Einschätzung der SPD wird es mit der Scharrenbach-Nachlieferung noch ein halbes Jahr dauern, bis ein Abschlussbericht vorgelegt werden kann. „Länger sollten wir nicht brauchen“, mahnt SPD-Mann Schneider. Im Juli jährt sich die Katastrophe schon zum dritten Mal.