Ein Gericht in Münster hat erstmals den pauschalen Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien verneint. Was bedeutet das für NRW?
Urteil macht es möglichNRW-Innenminister Reul fordert, Abschiebungen nach Syrien umzusetzen
Das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hat die bundesweite Debatte zum Abschiebestopp syrischer Flüchtlinge befeuert. In einem aktuellen Urteil kommt der 14. OVG-Senat zu dem Schluss, dass für syrische Migranten bei der Rückkehr in ihrer Heimat keine „ernsthafte, allgemeine Gefahr für Leib und Leben der Zivilbevölkerung“ durch den Bürgerkrieg mehr bestehe.
Zum ersten Mal hat ein Obergericht in Deutschland entsprechend geurteilt. Der Richterspruch wendet sich gegen die derzeit gängige Praxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Bisher wurde dem Großteil der syrischen Migranten vor dem Hintergrund der Gefahren durch den Bürgerkrieg in der Levante ein subsidiärer Schutzstatus zuerkannt. Das heißt, diese Zuwanderer wurden nicht als politisch verfolgte Flüchtlinge eingestuft, sondern erhielten ein Aufenthaltsrecht aufgrund der prekären Sicherheitslage in ihrer Heimat.
Reul begrüßt Urteil
„Das Oberverwaltungsgericht Münster schafft jetzt die Klarheit, die die Politik bisher vermissen ließ“, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Jetzt müsse man sehen, wie das Urteil in der Praxis gehandhabt werden könne. „Wünschenswert wäre, dass diese Entscheidung nun zu konsequenter Umsetzung und zu mehr Planungssicherheit für die Ausländerbehörden führt“, so Reul.
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Und sein Parteifreund Gregor Golland wird noch deutlicher. „Die Ampel-Regierung muss nun entschlossen handeln, statt immer nur zu reden!“, forderte der stellvertretende CDU-Fraktionschef im Landtag. Es müsse „konsequent“ nach Syrien abgeschoben werden. „Ich hoffe, dass jetzt viele syrische Straftäter endlich in ihre Heimat zurückgebracht werden“, so Golland.
Scherstkriminelle und Gefährder sollen abgeschoben werden
Henning Höne, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion NRW sieht sich durch „das OVG-Urteil bestätigt, dass unser Rechtsstaat funktioniert und sich an neue Realitäten, wie die aktuelle Situation in Syrien, anpasst". Ein subsidiärer Schutz für Migranten aus Syrien und Afghanistan sei „nicht mehr angemessen“.
Die Fraktionsvize der SPD, Elisabeth Müller-Witt, äußerte sich zurückhaltender. „Für uns bedeutet das Urteil nicht, nun pauschal Abschiebungen nach Syrien oder auch nach Afghanistan einzuleiten“, sagte die Sozialdemokratin. Nach wie vor gelte, dass jeder Fall einzeln beurteilt werden müsse. Selbstverständlich aber gelte: „Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder haben auf jeden Fall ihr Bleiberecht verwirkt.“
NRW-Flüchtlingsministerium will das Urteil noch detailliert auswerten
Im nordrhein-westfälischen Flüchtlingsministerium mit Josefine Paul (Grüne) an der Spitze hieß es, die aktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster müsse „in einem ersten Schritt sorgfältig ausgewertet werden, sobald die Entscheidgründe vorliegen“. Dieser Prozess dauere noch an, weshalb „zum jetzigen Zeitpunkt keine abschließende Einordnung vorgenommen werden“ könne, so eine Sprecherin des Ministeriums. Für syrische Staatsangehörige, bei denen der subsidiäre Schutzstatus bereits anerkannt wurde, habe die Entscheidung „keine unmittelbare Auswirkung“: „Ihr Status bleibt bis zu einer etwaigen einzelfallbezogenen Widerruf- beziehungsweise Rücknahmeentscheidung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bestehen.“
„Der Respekt vor dem Gericht verlangt eine gründliche Auswertung des Urteils statt vorschneller politischer Forderungen“, sagte Benjamin Rauer, Sprecher für Flucht der Grünen-Fraktion im Landtag NRW. „Das Gerichtsurteil bezieht sich auf einen Einzelfall und kann nicht pauschal auf alle Menschen, die aus Syrien geflohen sind und hier Schutz suchen, übertragen werden. Aufgrund der aktuellen Lage in Syrien besteht berechtigterweise weiterhin ein durch die Bundesregierung ausgesprochener bundesweiter Abschiebestopp.“ Gegen Täterinnen und Täter von schwerwiegenden Straftaten müsse der Rechtsstaat konsequent vorgehen und tue das auch.
Laut Ausländerzentralregister waren zum Stichtag 30. Juni insgesamt 101.445 Personen mit einem Aufenthaltstitel aufgrund eines festgestellten subsidiären Schutzstatus in NRW registriert. Davon hatten 81.554 Personen die syrische Staatsangehörigkeit.
101.445 Personen mit subsidiären Schutzstatus in NRW
Folgt man den aktuellen OVG-Ausführungen, besteht in Syrien keine „ernsthafte, individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit von Zivilpersonen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts“ mehr. Zwar gebe es noch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG). Auch verübe die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) gelegentlich Anschläge auf Einrichtungen der kurdischen Selbstverwaltung.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschläge erreichten jedoch kein solches Niveau mehr, dass „Zivilpersonen damit rechnen müssen, im Rahmen dieser Auseinandersetzungen und Anschläge getötet oder verletzt zu werden“, heißt es. Eine OVG-Sprecherin sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass der Senat sich viel Zeit genommen habe, um alle relevanten Berichte zur Sicherheitslage in Syrien zu durchforsten – „sei es vom Auswärtigen Amt, sei es von NGOs und internationalen Mitteilungen“. Vor dem Hintergrund sei man zu dieser neuen Einschätzung gelangt. „Nun muss das Bamf entscheiden, wie es mit dem Urteil umgehen will“, so die OVG-Sprecherin.
Abgelehnter Asylbewerber wegen Schleusungen zu Haft verurteilt
Seit Monaten fordert die Union, syrischen Flüchtlingen aufgrund der veränderten Gefahrenlage den subsidiären Schutz nicht mehr zu gewähren. Auch soll es möglich sein, verurteilte Schwerverbrecher in ihre Heimat abzuschieben. Im Februar hatte das Auswärtige Amt noch in seinem Asyllage-Bericht vor einem solchen Schritt gewarnt. „Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden“, hieß es. Die Oberverwaltungsrichter sehen dies anders.
Im Falle des syrischen Klägers hatte der OVG-Senat ohnehin seinen Antrag auf einen subsidiären Schutz abgelehnt. Da der Mann vor seiner Einreise als Schleuser in Österreich eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen hatte, haben die Richter ihm den Flüchtlingsstatus aberkannt. „Allerdings besteht für ihn aus anderen Gründen nach wie vor ein Abschiebeschutz“, berichtete die OVG-Sprecherin. Die Einzelfallentscheidung nahm das Gericht zum Anlass, um generell die Sicherheitslage in Syrien zu prüfen.