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Immer mehr BestnotenAuch ein Einser-Abi garantiert keinen Studienplatz in NRW

Lesezeit 5 Minuten
Schüler sind während der Abiturprüfung aus der Vogelperspektive zu sehen. Sie sitzen an weißen Tischen, auf denen je ein Duden liegt, Schreibzeug und die Aufgabenmappe.

Schüler bei der Abiturprüfung

Gute Noten beim Abitur werden immer häufiger – das stellt die Unis vor Probleme bei der Auswahl der Studierenden.

Amelie hat es geschafft, denn auch Umwege führen zum Ziel. Mit einer Abiturnote von 1,7 verfehlte sie zwar den Numerus Clausus für das Fach Psychologie an der Uni Köln, doch für ein Fernstudium in Hagen reichte das Ergebnis allemal – außerdem sorgte die Pandemie gerade dafür, dass die Hochschulen ihre Türen schlossen, und den Distanzunterricht hatte die Fernuni schon lange eingeübt. Im sechsten Semester entschied das Los zu Amelies Gunsten: Sie nahm ihr Präsenzstudium in Köln auf, schreibt gerade an ihrer Bachelorarbeit und ist zuversichtlich, dass sie den nächsten NC – den für den Master – knackt. Der liegt derzeit bei 1,7.

Umwege, Wartezeiten, in jüngster Zeit sogar Aufnahmeprüfungen, wie sie in vergangenen Jahren nur Sport-, Musik- oder Kunststudierenden vorbehalten waren – all das macht aktuell immer mehr Studienanwärterinnen und -anwärtern das Leben schwer, für die der Numerus Clausus eigentlich keine Hürde darstellen sollte. Der Grund ist nicht zuletzt eine Zunahme überdurchschnittlich guter Abiturnoten. Seit 2007, als das Zentralabitur eingeführt wurde, ist diese Verbesserung messbar, mit Corona erhielt sie einen weiteren Schub. Wird einem das Abitur hinterhergeworfen?

Statistik für das Zentralabitur in NRW

Die Kultusministerkonferenz legt regelmäßig eine Statistik für das Zentralabitur vor. Nach den vorläufigen Zahlen für 2022 machten in NRW im vergangenen Jahr 2.436 Schülerinnen und Schüler ein Abitur mit der Bestnote 1,0. Das entspricht 3,2 Prozent aller Abiturientinnen und Abiturienten. 2019, also vor der Corona-Pandemie, waren es noch 1,9 Prozent. Das ergibt ein Wachstum von rund 68 Prozent.

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Natürlich freue man sich über jede Schülerin und jeden Schüler, die ihre Schullaufbahn mit einer guten oder sehr guten Abiturnote beendeten, sagt Sabine Mistler, Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Philologenverbands. Doch gerade ihr Verband, der für die Gymnasien und damit für die Abiturientinnen und Abiturienten spricht, kritisiert die Entwicklung, die Mistler als eine „beinah inflationäre Vergabe der Noten Eins und Zwei“ charakterisiert. „Denn es ist nicht so, dass alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger in NRW in den vergangenen 15 Jahren schlauer geworden wären.“

Bessere Vorbereitung auf die Prüfungen

Vielmehr habe sich beispielsweise bei der Bewertungsvorgaben für Klausuren einiges verändert, sodass die Prüflinge mit Leistungen, die fachlich eher auf niedrigem Niveau anzusiedeln sind, dennoch relativ viele Punkte erzielen könnten, sagt Mistler. „Wir führen dies zurück auf den stärkeren Fokus auf die Kompetenzorientierung. Das wird aber dem fachlich-inhaltlichen Können der Schüler/-innen nicht immer gerecht und kann dazu führen, dass die jungen Menschen beim Übergang auf eine Universität feststellen müssen, dass sie den dortigen Anforderungen, trotz guten Abiturdurchschnitts, nicht genügen.“

Martin Herdering, Lehrer am Remigianum in Borken, verknüpft die Notensteigerung mit einer Verbesserung der Lehrkräfteausbildung, standardisierten Lehrplänen, vor allem aber der Einführung des Zentralabiturs im Jahr 2007. Die Abituraufgaben, die vom Landesinstitut Qua-Lis in Soest an die Schulen verschickt werden, gestatteten eine sehr viel genauere Vorbereitung auf die Abi-Prüfung als früher: „Training to the test“, nennt Herdering das. „Deshalb brauchen wir bei dieser Gruppe von Bestnoten auch keine Qualitätsdebatte“, pflichtet ihm die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in NRW, Ayla Celik, bei. Eine gute Vorbereitung bedeute halt auch gute Ergebnisse.

„BaPsy" testet die Eignung für Psychologie

„Sie möchten Psychologie studieren und Ihre Chancen auf einen Studienplatz vergrößern? Sie wissen, dass Psychologie ein hartes NC-Fach ist?“ So werden junge Menschen auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Psychologie auf ihr mögliches Studienfach eingestimmt. Seit kurzem bietet die Gesellschaft den Eignungstest BaPsy an – das Kürzel steht für Bachelor Psychologie: Eine Vielzahl von Universitäten – Köln, Bonn und Aachen mit ihrem Einser-NC zählen bislang nicht dazu – rechnet diesen Test in andere Vergabedaten wie die Wartezeit und eben die Abiturnote hinein.

Auch in Fächern wie Pharmazie, Medizin, Zahnmedizin und Tiermedizin werden zusätzlich zur schulischen Hochschulbefähigung Eignungstests genutzt, um naturwissenschaftliches und logisches Denken, Mathematik und Textverständnis zu prüfen. Die Hochschulen versprechen sich davon eine fachspezifische Differenzierung, wie sie die Abiturnote oftmals nicht mehr liefere. Die Teilnahme am neuen BaPsy ist freiwillig, erhöht aber die Chance auf einen Studienplatz.

In Nordrhein-Westfalen legen die Hochschulen selbst die Anzahl der Plätze fest, die vergeben werden können. „Die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber für zulassungsbeschränkte Studienplätze erfolgt nach unterschiedlichen Kriterien: neben schulnotenunabhängigen Kriterien, etwa fachspezifische Eignungstests, kann auch die Abiturnote eine Rolle spielen“, so ein Sprecher des Wissenschaftsministeriums in Düsseldorf. In NRW greift etwa die Universität Siegen auf die Möglichkeit zurück, den Eignungstest BaPsy in die Bewertung der Studienkandidatinnen und Kandidaten einzubeziehen. „In Nordrhein-Westfalen ist der Anteil der NC-Studiengänge übrigens seit vielen Jahren rückläufig“, heißt es aus dem Wissenschaftsministerium.

Dass die Abiturnoten zwischen 2019 und 2021/22 einen Spitzenwert im Einser-Bereich erzielten, ist auch eine Folge von Corona. Die Kultusministerkonferenz wollte unter allen Umständen vermeiden, dass der ohnehin belasteten Schülerschaft weitere Nachteile durch die Pandemie entstünden, also gab es eine verlängerte Vorbereitungszeit und andere Erleichterungen – möglicherweise wurde auch weniger streng benotet.

Auf einen anderen Aspekt macht unterdessen Gewerkschafterin Ayse Celik aufmerksam, und auch dieser ist eine Langzeitfolge von Corona. Die Pandemie hat viele Schülerinnen und Schüler so stark belastet, dass sie mit der Schule nicht mehr klarkamen – das betrifft auch das Abitur. Auf fünf Prozent ist die Zahl derer angestiegen, die den Abschluss nicht schafften. Solche Spitzen am oberen und unteren Ende der Skala müssten die Bildungspolitik verstärkt in Aktionsbereitschaft versetzen.


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