Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden sollen massiv ausgeweitet werden. Darauf hat sich die schwarz-grüne Koalition jetzt verständigt.
Nach Solingen-AnschlagSicherheitspaket vorgestellt – Wüst will Online-Durchsuchung von Handys erlauben
Verena Schäffer hat ihre Rede gerade beendet, da erheben sich NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und NRW-Innenminister Herbert Reul (beide CDU) von ihren Plätzen auf der Regierungsbank im Düsseldorfer Landtag. Sie gehen zur Fraktionsvorsitzenden der Grünen und schütteln ihr die Hand. Schäffer hatte sich bedingungslos hinter das Sicherheitspaket der Regierung gestellt: „Der IS will uns gesellschaftspolitisch in die Steinzeit zurückkatapultieren, dafür bedient er sich aber der neuesten Technik von TikTok bis Telegram. Deshalb müssen wir die Sicherheitsbehörden auf die Höhe der Zeit bringen.“
So hatte Schäffer gerade gesprochen – und Wüst und Reul zollen ihr dafür Respekt. Das Maßnahmenpaket, das die Landesregierung nach dem Terroranschlag von Solinger erarbeitet hat, ist für viele Grüne schwer verdaulich. Viele Basisgrüne engagieren sich in Bündnisse gegen Abschiebung, das Eintreten für einen humanen Umgang mit politisch Verfolgten gehört zur DNA der Partei. Nachdem man sich in einer Nachsitzung am Sonntagabend koalitionsintern auf ein Papier verständigt hat, bangten manche in der CDU darum, ob die Beschlüsse wohl von der Grünen Landtagsfraktion so mitgetragen würden.
Innenminister Reul mit grüner Krawatte
Tatsächlich soll es bei den Fachpolitikern für Migration und Flucht in der Fraktionssitzung am Dienstag „erhebliche Bauschmerzen“ gegeben haben. Aber am Ende brachte Schäffer die Fraktion auf Linie. Sie selbst hatte das Sicherheitspaket gemeinsam mit Reul und ihrem Parteifreund, Justizminister Benjamin Limbach, ausgehandelt.
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Reul trug bei der Landtagssitzung eine grüne Krawatte. Es ist makaber, aber der Anschlag von Solingen hat ihm den wohl größten Erfolg seiner Amtszeit beschert. Der Terrorakt hatte das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit des Staates schwer erschüttert. „Die Belastungsgrenze unserer Gesellschaft ist an vielen Stellen erreicht“, erklärte Wüst. „Wenn wir einen weiteren Vertrauensverlust der Menschen in unseren demokratischen Staat abwenden wollen, muss sich jetzt substanziell etwas verändern“, so der Politiker aus dem Münsterland. In seiner Rede stellte er die bis dahin streng geheim gehaltenen Pläne vor.
Diese Maßnahmen sind konkret geplant:
Der Verfassungsschutz darf künftig die Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) nutzen
Dabei wird heimlich eine Schadsoftware auf private Computer, Laptops, Handys und Tablets installiert – so können die Ermittler die laufende Kommunikation überwachen. Bei der Online-Durchsuchung können auch sämtliche gespeicherten Inhalte erfasst werden.
„Sicherheitsrelevante Personen nutzen bestimmte Messenger-Dienste oft ganz bewusst wegen der Kommunikationsverschlüsselung für die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen“, sagte Wüst. Technologischer Fortschritt dürfe keinen Rückschritt bei der Inneren Sicherheit bedeuten. „Wir wollen den technologischen Fortschritt für mehr Sicherheit nutzen“, so der Ministerpräsident.
Virtuelle Ermittler „bestreifen“ mit Hilfe von künstlicher Intelligenz das Internet
Damit soll die Wahrnehmung der Sicherheitsbehörden im digitalen Raum erhöht werden. Bislang fehlte es oft an Dolmetschern, um verdächtige Beiträge zu übersetzen. „NRW will eine KI entwickeln, die in der Lage ist, seltene Sprachen und Dialekte zu verstehen.
Neue Register für abschiebepflichtige Personen und Hassprediger
Diese organisatorische Trennung der für Abschiebung zuständigen Behörden blockiert oft die Handlungsfähigkeit und den Informationsfluss. Künftig soll es eine zentrale Übersicht aller Personen geben, die abgeschoben werden sollen. Zudem wird es eine „Islamistischen Prediger-/Influencer-Datei“ geben, in der neue Erkenntnisse gesammelt werden. Sie soll Erkenntnislücken schließen.
Gesichtserkennungssoftware soll öffentlich zugängliche Datenbanken durchsuchen
Damit sollen Personen, die im Internet als sicherheitsrelevante Person aufgefallen sind, aufgespürt werden können. Mit der Technik war es kürzlich gelungen, die gesuchte RAF-Terroristin Daniela Klette aufzuspüren.
Auch Minderjährige geraten ins Visier
Die bislang in NRW bestehende Altersgrenze von in der Regel 16 Jahren ist mit Blick auf die jüngsten Straftaten nicht mehr praxisnah. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen soll zukünftig regelmäßig Daten Minderjähriger ab 14 Jahren verarbeiten können.
Bau einer zweiten Abschiebehaft und Stärkung der Justiz
Um die Kapazitäten in der Abschiebehaft zu erhöhen, soll es eine zweite Abschiebehafteinrichtung – wahrscheinlich in der Nähe des Düsseldorfer Flughafens geben. Bei den Verwaltungsgerichten sollen zusätzlich drei weitere Asylkammern eingerichtet werden.
Menschen, aus einem sicheren Herkunftsland sollen bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag unbefristet in Aufnahmeeinrichtungen wohnen und nicht Kommunen zugewiesen werden.
Prävention und wissenschaftliche Begleitung
Die Präventionsprogramme sollen weiter ausgeweitet werden. „Wir wollen Jugendlichen Wege zeigen, die aus dem Labyrinth von Hass und Ideologie herausführen“, sagte Wüst. Am besten bekämpfe man den Islamismus, wenn man verhindere, dass er neue Anhänger gewinne.
Wissenschaftliche Erkenntnisse über verfassungsfeindliche und demokratiegefährdende Bestrebungen sollen stärker eingebunden werden. „Dafür schaffen wir eine Koordinierungsstelle Radikalisierungsforschung.“
Schwarz-Grün demonstriert Geschlossenheit
Der letzte Punkt war offenbar ein Zugeständnis an die Grünen. Es sei nicht die Zeit, „Preise“ für die Zustimmung für strengere Sicherheitsgesetze zu fordern, hieß es in Parteikreisen. Zumal es derzeit ohnehin nicht optimal läuft für die Grünen Minister. Justizminister Limbach steht wegen der fragwürdigen Umstände bei der Besetzung eines Spitzenpostens in der Kritik, die jetzt durch einen Untersuchungsausschuss unter die Lupe genommen werden sollen.
NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul wird vorgeworfen, nach dem Anschlag nicht schnell genug mit der Aufklärung begonnen zu haben, weil sie bei einem Termin in Frankreich nicht auf die Rückrufbitte des Innenministers reagiert hatte. In Düsseldorf waren Zweifel laut geworden, ob die Grüne ihrem Amt gewachsen ist.
Die interne Kritik dürfte nun leiser werden. Denn Schwarz-Grün demonstriert mit der Verabschiedung des Sicherheitspakets Geschlossenheit. „Mit dem Maßnahmenpaket leistet die schwarz-grüne Koalition einen konkreten Beitrag für mehr Sicherheit, um den islamistischen Terror zu bekämpfen“, betont CDU-Fraktionschef Thorsten Schick. NRW habe „schnell, entschlossen und gründlich“ gehandelt.
Die Landesregierung will nun auch prüfen, wie die Rahmenbedingungen bei Abschiebungen nach dem Dublin-Abkommen verbessert werden können. So soll nach einer gescheiterten Abschiebung ein zweiter Versuch unternommen werden. Im Fall des Attentäters von Solingen hatten sich die Ausländerbehörden damit abgefunden, den Syrer am Tag der Abschiebung nicht in seinem Zimmer in der Unterkunft angetroffen zu haben. Er blieb unbehelligt. Die Unterkunft in Paderborn hielt es nicht für nötig zu melden, dass er schon am Mittag nach dem Abschiebeversuche wieder greifbar gewesen wäre.
SPD-Frakitionschef Ott: „Mit heißer Nadel gestricktes Sammelsurium“
Die Opposition im Düsseldorfer Landtag kritisierte das Maßnahmenpaket. SPD-Fraktionschef Jochen Ott erklärte, dabei handele es sich um ein „mit heißer Nadel gestricktes Sammelsurium“. Denn „in weiten Teilen“ würden die Pläne höchst unglaubwürdig wirken. „Den gemachten Ankündigungen stehen die geplanten Haushaltskürzungen im Bereich der Sicherheit, der Integration und der Prävention diametral entgegen“, so Ott.
Das Maßnahmenpaket zeige, dass NRW seiner Verantwortung gerecht werde, betonte hingegen Ministerpräsident Hendrik Wüst. Die „Belastungsgrenze“ der Gesellschaft sei an vielen Stellen erreicht. Auch mit Blick auf den Erfolg der AfD in Thüringen und Sachsen müssten Freiheit und Sicherheit verteidigt werden: „Wir müssen jetzt alle Verantwortung übernehmen und Extremisten und Populisten etwas entgegensetzen.“