Die Länderchefs haben sich auf einen Migrationskompromiss geeinigt – doch die Meinungen über das Ergebnis gehen in der NRW-Politik weit auseinander.
Zu wenig Geld für FlüchtlingeWüst enttäuscht über mageres Ergebnis beim Bund-Länder-Gipfel
In der Kommunalpolitik von NRW sind die Ergebnisse des Bund-Länder-Gipfels in Berlin auf ein überwiegend skeptisches Echo gestoßen. Erst am Dienstagmorgen war der Durchbruch bei den Beratungen im Bundeskanzleramt gelungen. Insgesamt solle „die Zahl der im Wege der Fluchtmigration nach Deutschland Kommenden“ deutlich und nachhaltig gesenkt werden, heißt es in der Vereinbarung.
Nach monatelangem Streit einigten sich die Länderchefs mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) darauf, dass der Bund pro Asylbewerber und Jahr eine Pauschale von 7500 Euro zahlen soll. Ursprünglich wollte der Bund nur 5000 Euro geben, die Länder hatten 10.500 gefordert.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst von Einigung enttäuscht
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), der den Beschluss selber mitgetragen hatte, zeigte sich bei einer Analyse am Dienstag enttäuscht über die erzielte Einigung. Es handele sich um einen ersten Schritt, „aber kein ausreichendes Ergebnis schon gar nicht für einen Deutschlandpakt für Migration“, sagte der CDU-Politiker in Berlin. Eine Pro-Kopf-Pauschale von 7500 Euro decke die Kosten von Ländern und Kommunen nicht annähernd ab. Wüst bemängelte auch fehlende Vereinbarungen zur Missbrauchsbekämpfung bei Asylanträgen.
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Thomas Kufen ist der Vorsitzende des Städtetags in NRW und Oberbürgermeister der Stadt Essen. „Die verabredeten Maßnahmen zu Rückführungen und schnelleren Asylverfahren gehen in die richtige Richtung“, sagte der CDU-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Wie erfolgreich sie am Ende seien, häng maßgeblich davon ab, mit wieviel Engagement und zusätzlichem Personal Bund und Länder die Beschlüsse umsetzen würden. „Für die geplante Bezahlkarte brauchen wir eine unbürokratische Lösung, die bundesweit einheitlich ist und eng mit den Kommunen abgestimmt wird. Bezahlkarten machen nur Sinn, wenn für die Städte am Ende der Aufwand wirklich sinkt und zusätzliche Kosten von Bund und Ländern getragen werden“, fügte Kufen hinzu.
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker zeigte sich am Dienstag mit den Beschlüssen unzufrieden und forderte mehr Geld für die Kommunen, um Geflüchtete unterzubringen. „Ich begrüße, dass sich Bund und Länder auf ein ‚atmendes System‘ geeinigt haben“, sagte Reker. Die Finanzierung der Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten sei damit auf neue Füße gestellt. Der vorgesehene Betrag von 7500 Euro verschaffe der Stadt Köln allerdings nicht die notwendige Luft und bleibe weit hinter der Forderung der Kommunen zurück. „Als Millionenmetropole leistet Köln einen erheblichen Beitrag für die Integration von Geflüchteten in unsere Gesellschaft und den Arbeitsmarkt“, sagte Reker. Diese Integrationsleistung müsse durch deutlich höhere Mittel unterstützt werden.
„Bei vielen Kommunen ist es fünf nach zwölf“
Kai Abruszat, Bürgermeister der Gemeinde Stemwede (13 000 Einwohner) und als Bundesvorsitzender der Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker (VLK), sieht das ähnlich: „Eine Bezahlkarte für Leistungen zu Gunsten von Asylbewerbern muss ohne bürokratischen Aufwand erfolgen. Sonst ist das vor Ort keine Hilfe. Wenn die Anzahl der Geflüchteten nicht deutlich zurück geht, müssen Bund und Länder noch einmal dringend nachsteuern. Alle Kommunen arbeiten am Limit. Bei einigen ist es auch schon fünf nach zwölf.“
Tim Kähler, Bürgermeister der Stadt Herford, sagt unserer Zeitung, es sei „gut“, dass der Bund weitere 3,5 Milliarden Euro bereitstelle. Die Mittelmüssten vom Land aber auch sofort an die Kommunen auch sofort weitergereicht werden. „Eine weitere Hängepartie oder klebrige Finger darf es nicht geben“, sagte der SPD-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die von der Landesregierung geplante Aufstockung der Unterbringungskapazitäten um 3000 Plätze sei „viel zu gering“. Es sollte der Aufenthaltsstatus „schnell und konsequent geklärt“ sein, „bevor die Menschen in die Kommunen geschickt werden, damit wir sofort mit der Integration, auch durch Arbeit, beginnen können.“
Landrat fordert „wohlüberlegte Steuerung“ der Zuwanderungszahlen
Der Landrat der Rhein-Erft-Kreises, Frank Rock, erklärte, es wichtig, dass sich angesichts der zentralen Herausforderungen „wieder alle Beteiligten an einen Tisch“ setzen würden: „Diese Praxis wurde zu lange vernachlässigt, und es ist ein positives Zeichen, dass die Bundesregierung nun wieder die Bereitschaft zeigt, diesen Austausch zu pflegen“, sagt der CDU-Politiker unserer Zeitung. Eine „wohlüberlegte Steuerung“ der Zuwanderungszahlen sei unerlässlich, um eine gedeihliche Integration zu ermöglichen und zugleich „eine Überforderung der Gesellschaft zu verhindern“.
In der Landespolitik stießen die Beschlüsse auf ein geteiltes Echo. Henning Höne, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion NRW, erklärte, es müsse jetzt Schluss sein „mit den Trippelschritten“. Die Leistungseinschränkungen für Asylbewerber seien ein wichtiger Schritt, um Asylmissbrauch zu bekämpfen. „Die bisherige Flüchtlingspolitik ist eine Politik des Verzögerns und Versagens“, so Höne. Neben schnelleren Asylgerichtsverfahren müsse Schwarz-Grün die landeseigenen Flüchtlingsunterkünfte dringend ausbauen: „Mit dem neuen finanziellen Spielraum „Bund muss auch der Automatismus, die politische Verantwortung nur nach Berlin zu verlagern, endlich enden, sagte der FDP-Politiker.
SPD-Chef spricht von „Durchbruch“
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag, Jochen Ott, sprach hingegen von einem „Durchbruch“. In der Migrationsfrage müsse es eine parteiübergreifende Zusammenarbeit geben. „Die Bevölkerung erwartet von uns, dass wir hier liefern." Die SPD werde darauf schauen, ob NRW in der Lage sei, die umzusetzen, sagte Ott. „Jedenfalls muss das Gefeilsche aufhören." Tim Achtermeyer, Landeschef der Grünen, kritisierte die Entscheidung, die Grundleistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz nun von 18 auf 36 Monate zu verlängern: „Integration kann nur gelingen, wenn wir Menschen befähigen, am Leben in Deutschland teilzunehmen.“
Bei dem Gipfel war auch über die künftige Finanzierung des Deutschland-Tickets verhandelt worden. Um etwaige Mehrkosten zu decken, sollen nicht ausgegebene Mittel aus 2023 im kommenden Jahr verwendet werden können. „Das Deutschlandticket bleibt und es bleibt vorerst erschwinglich“, sagte Sven Lehmann, Staatsekretär und Bundestagsabgeordneter der Grünen aus Köln.
Der Beschluss gebe Menschen und Unternehmen vorerst Planungssicherheit. Der Finanzierungsstreit müsse aber dauerhaft gelöst werden. „Wir Grüne fordern ein bezahlbares Deutschlandticket, das deutschlandweite Semesterticket und die kostenfreie Kindermitnahme. Zudem brauchen wir dringend einen Deutschlandtakt mit mehr Bus- und Bahnverbindungen.“