Düsseldorf – „Alle Getauften sind die Kirche", stand auf einem Zettel, und auf anderen war zu lesen: „Kein Foulspiel mit der Gemeinde." Diese und andere Botschaften hingen am Donnerstagabend am Bauzaun vor dem Eingang zur Kirche Sankt Maria vom Frieden im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim. Aufgehängt hatten sie einige der mehr als 100 Menschen, die gegen Kardinal Rainer Woelki demonstrierten. Die Initiative ging von der katholischen Reformbewegung Maria 2.0 aus. Als Symbol der Protests hatten die Teilnehmer rote Karten mitgebracht.Anlass der Kundgebung war das Gespräch, das Woelki unter anderen mit Vertretern der Gemeinde Sankt Margareta führte, zu der die Kirche gehört. Wenige Tage zuvor hatten 140 Mitglieder dieser Gemeinde den Kölner Erzbischof in einem offenen Brief aufgefordert, der für den 9. Juni geplanten Firmung fernzubleiben und mit der Spendung des Sakraments einen anderen Priester zu beauftragen.
Die Firmung – eines der sieben Sakramente der katholischen Kirche - könne nur jemand vollziehen, „der als Christ in seinem Amt und in seinem Handeln glaubwürdig ist. Sie sind das leider für uns nicht mehr“, heißt es in dem Schreiben. In der Missbrauchskrise hätten die Unterzeichner „das Vertrauen in Sie als Bischof verloren“. Nachdem Woelki um 20 Uhr an der Kirche angekommen war, musste er an den Demonstranten vorbeigehen. Beim Anblick all der roten Karten sagte er: „Da kann man ja gar nicht mehr miteinander reden." Als eine Journalistin ihm zurief: „Was haben Sie mitgebracht?", entgegnete er: „Mich selber." Im Übrigen befand er: „Alles wird gut."
Es geht bei Kritik an Woelki um Fall des Pfarrers O.
In der Pfarrei in Gerresheim waren zwei Priester tätig, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wird. Einer von ihnen ist der inzwischen verstorbene Pfarrer O., dem der Missbrauch eines Kindergartenjungen Ende der 1970er Jahre zur Last gelegt wird. Woelki, der mit O. gut befreundet war, hatte von dem Verdacht Kenntnis, leitete 2015 aber keine kirchenrechtliche Voruntersuchung ein und unterließ es, den Fall an den Apostolischen Stuhl in Rom zu melden. Er begründete dies später damit, O. sei wegen einer fortgeschrittenen Demenz „nicht vernehmungsfähig“ gewesen.
Bei dem zweiten Geistlichen handelt es sich um Pfarrer D., der von 1995 bis 2000 Kaplan der Gemeinde Sankt Margareta war. Trotz einschlägiger Vorwürfe – unter anderem soll D. Sex mit einem minderjährigen Strichjungen gehabt haben - ernannte ihn Woelki 2017 zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten; mittlerweile ist der Priester beurlaubt.
Im April verteidigte Generalvikar Markus Hofmann die Beförderung: Die Dienste des Prostituierten in Anspruch zu nehmen sei weder nach kirchlichem noch nach weltlichem Recht eine Straftat gewesen; die Bistumsleitung habe ihm eine zweite Chance gewährt. In dem Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch, das die Kölner Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger erarbeitet hat und das im März veröffentlicht wurde, wird Woelki in beiden Fällen entlastet. Hier und auch sonst habe der Erzbischof sich keiner Pflichtverletzung schuldig gemacht. Die Unterzeichner des Briefs stehen auf dem Standpunkt, die juristische Aufarbeitung reiche nicht aus, und fordern eine „systemische, moralische und theologische Aufarbeitung“.
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Trotz der Bitte vom Gemeindeleitung und -mitgliedern, die Firmung nicht vorzunehmen, halte der Kardinal an dieser Absicht fest, heißt es in dem Brief. „Wir fühlen uns dadurch ein zweites Mal missachtet.“ Das von Woelki angebotene Gespräch mit Vertretern der Gemeinde sei wegen der Bedingungen untauglich: „Medienvertreter sind dazu von Ihnen nicht erwünscht. Einen offenen Dialog auf Augenhöhe stellen wir uns anders vor.“ Man empfange den Kardinal „gerne zu einem späteren Zeitpunkt nach dem Tag der Firmung in unserer Gemeinde zum Gespräch – auf Augenhöhe, ohne Vorbedingungen und öffentlich“.
Doch es blieb bei dem Termin am Donnerstag. Als teilnehmende Fachleute hatte das Erzbistum Malwine Mazotko, Leiterin der Stabsstelle Intervention, und Hans-Karl Krey, Leiter der Diözesanstelle pastorale Begleitung, angekündigt.
„Woelki muss endlich Verantwortung übernehmen“
Mit seinem Ansinnen, die Firmung vorzunehmen, habe Woelki „eine rote Linie überschritten", sagte Birgit Osthege, die zu den Demonstranten zählte. Sie singt im Basilikachor Sankt Margareta mit und engagiert sich bei Maria 2.0. „Viele in der Gemeinde fühlen sich verletzt und missachtet." „Wir stehen hier, weil wir entsetzt sind, wie Kardinal Woelki mit uns umgeht", sagte Alfons Föster, dessen Frau Hilde als eine von drei Maria-2.0-Vertreterinnen am Gespräch in der Kirche teilnahm.
Neben ihm stand Wolfgang Schüller, der wie er ehrenamtlich in der Gemeinde tätig ist. Woelki wolle Kritiker „mundtot" machen, sagte er.„ Wenn alle austreten, hat er kein Problem mehr." Für ihn komme dies nicht in Frage. Die katholische Kirche sei seine Heimat, die Wurzeln ließen sich nicht einfach kappen. Auch Franziska Lennartz, Messdienerin und Chorsängerin, hielt ein rote Karte in der Hand. „Er muss endlich Verantwortung übernehmen", sagte sie über den Erzbischof; in der Konsequenz bedeute dies zurückzutreten.
Woelki lässt offen, ob er zur Firmung erscheint
Am Dienstag hatte Woelki die Wogen mit einer öffentlichen Stellungnahme zu glätten versucht. „Auch wenn wir entgegengesetzte Positionen haben, so werbe ich dafür, dass wir zusammen im offenen Gespräch bleiben und den Weg gemeinsam gehen“, schrieb er. „Wir haben große Herausforderungen vor uns, die wir nur gemeinsam als Christen bewältigen können.“ Bei allen Konflikten, vor denen Christen nicht gefeit seien, „sollten wir aber daran denken, dass wir einen gemeinsamen Grund haben, Christus.“ Ob er der Aufforderung, nicht zur Firmfeier zu erscheinen, Folge leisten würde, ließ er offen.
Am selben Tag äußerte sich auch Oliver Boss, Pfarrer der Gemeinde Sankt Margareta, zur Auseinandersetzung um die Firmung, und beschwor die christliche Gemeinsamkeit. „Mir liegt am Herzen, dass wir als Gemeinde zusammenbleiben. Seit über drei Jahren arbeiten wir gut miteinander. Stimmen aus unserer Gemeinde haben sich jetzt in dem Brief öffentlich geäußert. Jetzt stehen sich gerade unterschiedliche Positionen gegenüber. Doch wir haben einen gemeinsamen Grund, unsere Glauben“, erklärte er auf der Webseite der Gemeinde. Die große öffentliche Aufmerksamkeit für die Firmfeier bringe die Gefahr mit sich, „die Firmlinge aus dem Blick zu verlieren“ Für sie soll es „eine intensive Feier werden, die nicht durch kircheninternen Streit beeinträchtigt ist.“
Anzeige gegen Woelki in Münster
Unterdessen hat den Münsteraner Bischof Felix Genn einem Bericht des Portals kirche-und-leben.de zufolge erneut eine Anzeige gegen Woelki erreicht. Darin werde dem Erzbischof vorgeworfen, in einem Fall von sexuellen Missbrauch durch einen Geistlichen gegen das Kirchenrecht verstoßen zu haben.
Offen bleibe, um welchen Fall es sich handelt und wer die Anzeige gestellt hat. Als dienstältestem Bischof in der Kölner Kirchenprovinz obliegt es Glenn, bei einem Vertuschungsvorwurf gegen einen Bischof die kirchenrechtliche Untersuchung zu übernehmen. Zuvor muss bei ihm oder beim Heiligen Stuhl eine entsprechende Anzeige eingegangen sein. (mit KNA)