Düsseldorf – Die Chatgruppe trug den Namen „Kunta Kinte“. Darin tauschten Polizisten der Polizeiwache Mülheim/Ruhr rechtsextreme, menschenfeindliche und rassistische Inhalte aus. „Kunta Kinte“ ist der Name eines schwarzafrikanischen Sklaven aus dem Roman „Roots“. In einem Post ging es beispielsweise um den Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch, bei dem ein Rechtsextremer 51 Menschen tötete. „Zu viele Fehlschüsse“, lautete der Kommentar. Auf einem Gruppenfoto ließen sich die Polizisten der „Dienstgruppe A“ vor einem Hakenkreuz ablichten. Die Frage, die danach laut wurde: Wie stark sind die rechtsextremen Tendenzen bei der Polizei? NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat dazu am Donnerstag ein erstes Lagebild vorgestellt.
Nachdem vor einem halben Jahr in Mülheim/Ruhr eine Gruppe von Polizisten aufgeflogen war, die Chatnachrichten mit schwer erträglichen Inhalten verschickt hatten, hatte Reul das Thema zur Chefsache gemacht und einen Sonderbeauftragten installiert. Der frühere Verfassungsschützer Uwe Reichel-Offermann leitet eine Stabsstelle mit fünf Mitarbeitern. Sie sollen aufdecken, wie verbreitet rechte Parolen, Ausländerhetze und die Glorifizierung des NS-Regimes in den Wachen und Amtstuben tatsächlich ist.
Bislang gingen bei den Beamten 251 Hinweise auf Polizisten mit diesbezüglich auffälligem Gebaren ein. In dem Lagebild, das den Zeitraum bis Ende 2020 erfasst, werden 170 verdächtige Polizisten genannt. Mehr als 80 Prozent von ihnen sind Männer, viele sind jünger als 30 Jahre alt. Besonders verbreitet sind rechte Haltungen im Bereich Gefahrenabwehr und im Streifendienst, auch „24-Stunden-Polizei“ genannt. 59 Prozent der Hinweise beziehen sich auf Polizisten, die im Streifendienst, Einsatztrupps oder im Bezirksdienst unterwegs sind. Elf Prozent der Fälle betreffen Kriminalbeamte. Laut Lagebild handelt es sich bei den Verdachtsfällen ganz überwiegend um Beamte, die keine Führungsaufgaben wahrnehmen.
Am häufigsten verbreitet ist Rassismus
Bei den untersuchten Vergehen und Straftaten steht der Vorwurf des Rassismus mit 125 Fällen an Platz eins. Es folgen die Verherrlichung des Nationalsozialismus (95 Fälle), Antisemitismus (66 Fälle) und Gewaltverherrlichung (62 Fälle). Eine Nähe zu Reichsbürgern sollen 13 Beamte haben. Die Haltungen wurden ganz überwiegend nicht im persönlichen Umgang, sondern digital geäußert. Nach der Polizeibehörde Essen, zu der Mülheim/Ruhr gehört, wurde eine Häufung von Fällen in weiteren Großbehörden registriert.
Vier Polizisten hatten Kontakt zu rechtsextremen Organisationen
Bei den untersuchten Rassismusvorwürfen steht Essen (47 Fälle) auf Platz eins, es folgen Aachen (19 Fälle), Köln (12 Fälle) und Dortmund (10 Fälle). Die Mehrzahl der insgesamt Betroffenen verfüge aber nicht über ein „in sich geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild“, heißt es. Bei den Chatgruppen handele es sich vielmehr um „innerdienstliche Gesinnungsgemeinschaften.“ „Konspirative und handlungsorientierte“ rechtsextremistische Netzwerke seien nicht nachgewiesen worden, hieß es. Bei den Ermittlungen waren allerdings auch vier Mitarbeiter von NRW-Sicherheitsbehörden mit Kontakten zu rechtsextremen Organisationen entdeckt worden. Ein weiterer war Mitglied einer rechtsextremen Gruppe.
Die „Dienstgruppe A" war auch schwulenfeindlich
Ein Bericht über die Sonderinspektion der Polizeibehörde Essen, der jetzt ebenfalls veröffentlicht wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Aktivitäten der „Dienstgruppe A“ in ihrem Umfeld hätten auffallen müssen. Gemeldet wurde allerdings nichts. In den Chats waren auch sexistische und homophobe Inhalte entdeckt worden.
Polizisten, die schon lange im Dienst sind, kommen oft mit Verwarnungen und anderen Disziplinarmaßnahmen davon. Anders sieht das bei den Kommissaranwärtern aus, die noch in der Ausbildung stecken. Von ihnen wurden sechs entlassen. Es würden noch eine Reihe weiterer Verfahren gegen Polizeibeamte geführt mit dem Ziel, sie aus dem Dienst zu entfernen, sagte Reichel-Offermann.
Reul: Insgesamt ist die Lage „nicht so schlimm wie befürchtet"
Innenminister Reul zeigte sich mit den vorläufigen Ergebnissen des Lagebilds relativ zufrieden. Jeder einzelne Fall sei „ein Drama“, aber insgesamt sei die Lage „eigentlich nicht so schlimm“, wie er ursprünglich befürchtet habe. Die Dimension sei „zu groß, aber nicht so groß, dass man von einem Problem in der ganzen Polizei“ reden müsse.
Das NRW-Innenministerium will den Abschlussbericht zum Rechtsextremismus bei der Polizei im September vorstellen. Im Kampf gegen rechte Tendenzen setzt das Innenministerium jetzt auf einen stärkeren Dialog und eine verbesserte Reflektion von problematischen Einsatzlagen. Supervisionen sollen den Polizisten die Möglichkeit eröffnen, „berufliche Belastungen, Haltungen und Verhaltensweisen zu erörtern und zu reflektieren“, hieß es im NRW-Innenministerium.