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„Das ist der Super-GAU“Scharfe Kritik am Erzbistum Köln aus Düsseldorfer Gemeinde

Lesezeit 9 Minuten

Pfarrer Ansgar Steinke

  1. Pfarrer Ansgar Steinke aus Düsseldorf und zwei Gemeinde-Vertreterinnen äußern sich kritisch zu den Vorgängen im Erzbistum Köln.
  2. Ein Gespräch.

Düsseldorf/KölnHerr Pfarrer Steinke, Frau Fieger, Frau Kaffka, Ihre Pfarrgemeinde hat sich zuletzt kritisch zum Reformprozess im Erzbistum Köln geäußert. Was stört Sie?

ANSGAR STEINKE: Insgesamt? Ich habe in 35 Berufsjahren noch keine solche Erosion im Kern der Gemeinde erlebt - mit einer Kumulation von Krisen, für deren Entstehung und für deren Bewältigung jetzt unser Bischof größte Verantwortung trägt.

Welche Krisen meinen Sie?

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STEINKE: Aktuell den Umgang mit dem Missbrauchsskandal, dann aber auch die kirchlichen Reformprozesse im Bistum und auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz. Wie Kardinal Woelki und seine Weihbischöfe beim „Synodalen Weg“ die Kirche von Köln repräsentieren, das ist vielen Gemeindemitgliedern zu einseitig und spiegelt weder die Weite des Katholischen in unserem Bistum wider noch die Breite und Tiefe der katholischen Theologie. Kardinal Woelki nimmt da eine Außenseiterposition ein.

Warum erhebt sich dann dagegen bislang nur eher vereinzelt Protest?

STEINKE: Soweit es mich als Pfarrer betrifft: Ich sage in diesem Interview nichts, was ich nicht auch im Beisein des Kardinals sage. Und auch Kollegen machen inzwischen sehr deutlich, wie unzufrieden wir sind. Aber, und das muss ich schon auch sagen: Es gibt in der Priesterschaft sehr unterschiedliche Stimmen. Ob zum Beispiel wirklich eine Mehrheit für Frauen im Priesteramt wäre oder für eine Lockerung des Zölibats? Ich würde darauf nicht wetten. Aber ich erwarte trotzdem, dass unser Bischof hier das ganze Spektrum repräsentiert, wie das andere deutsche Bischöfe ja auch tun.

LYDIA KAFFKA: Das Bistum sperrt unliebsame Webseiten. Wenn die Frauen-Initiative Maria 2.0 Unterschriften beim Kardinal abgeben will, empfängt er sie nicht. Man gibt sich in Köln überhaupt keine Mühe mehr und versucht noch nicht einmal, das zu verschleiern. Und besonders bitter ist: In anderen Bistümern geht es anders.

Das Schimpfen auf „die da oben in Köln“ hat im Erzbistum lange Tradition. Was ist heute anders als früher?

EDITH FIEGER: Unter Kardinal Joachim Meisner, sagen viele, war es auch nicht toll. Aber in seiner autoritären Art war er irgendwie berechenbar. Und aufs Ganze gesehen, war die Not damals noch nicht so groß. Heute verheddern sich die Oberen in Köln mehr und mehr in den Wirren des Missbrauchsskandals. Aber keiner macht den Befreiungsschlag, steht zu seiner Schuld und tritt zurück. Stattdessen die immer tiefere Verstrickung in Unwahrhaftigkeit – bis sie am Ende stürzen. Das stößt mir am meisten auf. Sollen sie doch einfach mal tun, was sie predigen!

KAFFKA: Mit dem Stopp des Missbrauchsgutachtens haben der Kardinal und seine Leute jede Glaubwürdigkeit verloren.

Wollen Sie nicht erst abwarten, was das neue Gutachten bringen wird, das im März …

KAFFKA: Entschuldigung, dass ich unterbreche! Bis März warten? Das ist keine Option. Welche Gewähr haben wir denn, dass dann nicht neue Bedenken und Ausreden gefunden werden? Ich finde: Jetzt oder gar nicht!

STEINKE: Wie der Kardinal die Sache mit dem Gutachten gehandhabt hat, ist der Super-GAU. Aachen, Essen, Münster machen es uns vor, dass man Gutachten veröffentlichen und Namen nennen kann. Auch sehe ich den Gewinn eines neuen Auftrags an sicherlich kluge Rechtsanwälte nicht. Die erzählen uns jetzt, was an dem ersten Gutachten alles schlecht war. Aber niemand kann in diesem Juristenstreit fairerweise auch einmal die Gegenseite hören. Und die Namen der Verantwortlichen für Vertuschung und Verschleierung von Missbrauch, die kennen wir doch alle: Es sind Bischöfe, Generalvikare, Personalchefs. Ich finde es schockierend, dass keiner zu dem in der Lage ist, was man zum Beispiel aus der Politik kennt: ein klares Zeichen für die Übernahme persönlicher oder politischer Verantwortung. So wie beim früheren Innenminister Rudolf Seiters oder – in einem vergleichsweise doch banalen Fall – bei der früheren Bischöfin Margot Käßmann nach ihrer Fahrt mit Alkohol am Steuer.

Sie meinen, es sollten Bischöfe zurücktreten?

STEINKE: Ich weiß nicht, wie ich selbst vor Jahr und Tag gehandelt hätte. Aber eines weiß ich genau: Ohne ein solches Zeichen der Verantwortlichen wird es keine Befriedung geben – und zwar nicht erst, wenn externe Gutachter Schuld nachweisen, sondern aus eigener Einsicht. Dieses ganze Herumgedruckse verschlimmert nur die Misere, auch für uns als Seelsorger. Wir stehen nicht nur in Generalverdacht wegen verbrecherischer Priester, sondern auch in der Generalhaftung für das Versagen unserer Leitung.

FIEGER: Der Kardinal sollte mal sehen, was ein Pastor wie unserer alles auffangen und abpuffern muss, was da von oben kommt. Unser Pfarrer gibt uns das Gefühl, dass er versteht, warum wir an dieser Kirche irre werden, und dass er zu retten versucht, was noch zu retten ist.

Aber warum bleiben Sie denn noch? Schließlich zwingt Sie ja niemand, in einer Kirche mitzutun, an der Sie so viel auszusetzen haben.

FIEGER: Ich habe durch mein ehrenamtliches Engagement immer versucht, an dem dranzubleiben, was mir an der Kirche wichtig ist. Ich habe die Kirche für meine Kinder als einen wichtigen Lebensort erfahren. Das wollte ich auch anderen ermöglichen. Und es ist nicht meine Art, aus Ärger die Brocken hinzuschmeißen. Ich habe mich immer gefragt: „Wie ginge es dir wohl am Morgen, nachdem du gesagt hast, macht euren Kram allein? Würdest du dich wohler fühlen damit?“ Ich glaube, nein. Und nur wenn ich bleibe, habe ich wenigstens die minimale Chance, etwas zum Guten zu verändern.

KAFFKA: Bei mir steht es auf der Kippe. Ich habe mir jetzt noch ein Jahr gegeben. Wenn sich dann nichts bewegt hat in dieser Kirche, dann war es das für mich. Zufällig endet dann auch meine Amtszeit im Pfarrgemeinderat. Und ich frage mich längst: Wo ist die Grenze, ab der ich an Missständen mitschuldig werde, wenn ich bleibe und weiter mitmache. Und das gilt nicht nur für mein Ehrenamt, sondern für meine Mitgliedschaft in der Kirche überhaupt.

STEINKE: Da sehen Sie, was ich vorhin mit „Erosion im Kern“ meinte! Die Vorsitzende unseres Pfarrgemeinderats sagt, sie ist auf dem Absprung. Das ist ja kein Theater, was sie hier vor Ihnen aufführt. Ich höre das heute übrigens so zum ersten Mal von ihr. Und Sie ahnen vielleicht, wie betroffen mich das macht. Ich könnte heulen, ehrlich. Der innerste Zirkel sagt mir: „Wir haben die Nase voll!“ Das frisst mich an, glauben Sie mir! Dass ich mich dafür entschuldigen muss, „bei der Kirche“ zu sein; dass ich in Geiselhaft genommen werde für Missmanagement, Reformverweigerung oder Vertuschung in der Bistumsspitze - all das kenne ich schon lange. Aber jetzt hat es die Mitte der Gemeinde erreicht.

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Die Zukunft der Gemeinden ist das Thema eines Reformprozesses auf Bistumsebene. Was stört Sie hier?

KAFFKA: Kardinal Woelki redet auf dem sogenannten pastoralen Zukunftsweg von Beteiligung. Was wir aber erleben, ist eine Simulation von Beteiligung. Es gab allerlei Befragungen und viele kritische Rückmeldungen. Von denen ist keine Rede mehr, und man weiß nicht: Landen unsere Voten eigentlich erst nach der Lektüre im Papierkorb – oder direkt?

FIEGER: Der ganze Prozess ist eine „Black Box“. Jetzt ist von nur mehr 50 Pfarreien im Erzbistum die Rede. Niemand von uns weiß, wie es zu den Vorlagen kam. Keine weiß, auf welcher Grundlage das entschieden wurde. Als Gestalter treten pastorale Mitarbeiter auf, die wir in den Gemeinden vor Ort vorher noch ganz anders erlebt haben. Die kommen einem – hart gesagt – wie nach einer Gehirnwäsche vor, als ob sie vom Kardinal und seinen Leuten stramm auf Kurs gebracht worden wären. Wir haben keinen Beweis, wohl aber langjährige Erfahrung mit dem Erzbistum. Deshalb befürchten wir, dass der Kardinal das genau so durchziehen wird, wie er es vorhat.

STEINKE: Ich erlebe es genauso, und zwar ziemlich einhellig in allen Gruppen und Gremien, auf allen Ebenen des Bistums: Die angebliche Partizipation ist nicht echt.

Was sind denn inhaltlich Ihre Bedenken?

FIEGER: Die Kapazitäten der Laien werden vom Bistum völlig überschätzt. Wo sollen denn die Laien herkommen, die plötzlich ganze Gemeinden leiten sollen? Da stehen bestimmt keine Hundertschaften am Pfarrbüro Schlange.

KAFFKA: Es hat uns verletzt, wie verächtlich mit allem umgegangen wird, was bisher in den Gemeinden lief und in weiten Teilen ja immer noch ganz gut funktioniert. Es wird einfach alles niedergemacht und abgesägt.

FIEGER: Und wir erleben eine reine Mangelwirtschaft: Geldmangel, Priestermangel. Gerade der Priestermangel aber wird als gottgegeben hingenommen. Warum es an Nachwuchs fehlt und was man dagegen tun könnte, das wird überhaupt nicht thematisiert. Stattdessen schraubt man an den Symptomen herum. Und die Ehrenamtlichen sollen jetzt das Missmanagement auffangen und das Versagen der Bistumsleitung ausbügeln. Das ist eine Zumutung, solange von denen keiner gewillt ist, überhaupt nur auf die Ursachen für all die Probleme zu schauen.

Zu den Personen

Lydia Kaffka, geb. 1960, ist seit 2009 Mitglied des Pfarrgemeinderats Flingern/Düsseltal in Düsseldorf und hat 2017 die Leitung des Gremiums übernommen. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter und ist Vollzeit berufstätig.

Edith Fieger, geb. 1949, ist seit 1995 im Kirchenvorstand der Pfarrei und seit 2000 dessen stellvertretende Vorsitzende. Seit 2002 gehört sie dem Vorstand bzw. Vereinsrat des SKFM Düsseldorf und seit 2012 dem Katholikenrat Düsseldorf an. Sie ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und arbeitet noch ehrenamtlich.

Ansgar Steinke, geb. 1960 in Kiel, ist seit 1997 Pfarrer im Seelsorgebereich Flingern/ Düsseltal in Düsseldorf. Vorher war er acht Jahre lang in der Priesterausbildung im Collegium Albertinum in Bonn tätig.

Ständig rufen die Laien in der Kirche nach mehr Verantwortung. Jetzt will man sie Ihnen geben, und da sagen Sie: "Können wir nicht, wollen wir nicht."

FIEGER: Wir kommen uns einfach nur als willkommene Lückenbüßer vor. Die Arbeit sollen wir machen, aber Ziele bestimmen und Entscheidungen für die Zukunft treffen, das geschieht in Köln ohne unsere Beteiligung. So läuft das nicht.

STEINKE: Verantwortung und Mitentscheidung ist etwas ganz anderes, als einfach nur Arbeitsbelastungen verschieben. Jetzt, da die Zahl der Priester immer weiter sinkt, fallen der Bistumsleitung plötzlich „die Getauften und Gefirmten“ ein. Sie stilisiert die Rolle der Laien hoch und tut so, als würde von den engagierten Laien das Überleben der Gemeinden abhängig gemacht. Das empfinden aber viele als unredlich, weil man einerseits am überkommenen Bild des Klerikers festhält und andererseits überhaupt kein Gespür dafür zeigt, wie modernes Ehrenamt aussieht für Menschen mit all ihren Aufgaben in Familie und Beruf.

Das Gespräch führte Joachim Frank