Berlin – Der Bundestag hat den Weg für das 100 Milliarden Euro schwere Sonderprogramm zur Ausrüstung einer einsatzfähigen Bundeswehr frei gemacht.
Mit den Stimmen der Ampel-Koalition und der Union votierte das Parlament am Freitag für eine Änderung des Grundgesetzes und richtete dann einen kreditfinanzierten Topf für Waffen und Materialbeschaffungen ein. SPD-Chef Lars Klingbeil verwies - wie andere Redner - auf den am 24. Februar von Russland begonnenen Angriffskrieg in der Ukraine, der auch Ängste in Deutschland auslöse. Er sagte: „Und deswegen sind diese 100 Milliarden auch ein klares Versprechen an unsere eigene Bevölkerung: Wir werden dafür sorgen, dass unser Land jederzeit verteidigt werden kann.” Gegen das Programm argumentierten Politiker der Linken scharf, während die AfD vor allem den Weg über eine Änderung des Grundgesetzes kritisierte.
Mit dem Geld soll in den nächsten Jahren eine bessere Ausrüstung für die Streitkräfte angeschafft werden. Dabei geht es um Flugzeuge, Panzer und Munition, aber auch um persönliche Ausrüstung der Soldaten wie etwa Nachtsichtgeräte oder Funkgeräte. Einige Rüstungsprojekte sind schon angeschoben: Darunter ist der geplante Kauf von F-35-Tarnkappenflugzeugen sowie die Entscheidung für die Beschaffung von 60 schweren Transporthubschraubern des Modells CH-47F für den Lufttransport von Soldaten und Material.
Zwei-Prozent-Ziel der Nato
Das Paket ist eine Reaktion auf die erschütterte europäische Friedensordnung durch den russischen Angriffskrieg. Die Bundeswehr soll eine vollständig einsatzfähige Armee werden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die massive Aufrüstung wenige Tage nach Russlands Einmarsch selbst angekündigt. Die zusätzlichen Investitionen sollen auch dafür sorgen, dass Deutschland zumindest im Durchschnitt mehrerer Jahre das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllt, also mindestens zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiert.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte im Bundestag Vereinfachungen im Vergaberecht und eine beschleunigte Beschaffung an. „Über Jahrzehnte wurde die Bundeswehr vernachlässigt und heruntergewirtschaftet, und es hat große Lücken, insbesondere in der Ausrüstung gerissen”, sagte sie. Deutschland müsse sich der Tatsache stellen, „dass Sicherheit ihren Preis hat und dass wir auch in der Lage sein müssen, unsere Werte militärisch zu verteidigen”. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte: „Die Defizite bei der Bundeswehr sind keine Sekunde länger tragbar.” Finanzminister Christian Lindner (FDP) verteidigte die Aufnahme hoher Schulden für die Bundeswehr. „Die Alternativen wären wirtschaftlich in dieser kritischen Phase schlechter”, sagte er.
Die Union stimmte nach einem wochenlangen Ringen und einer Einigung mit den Ampel-Parteien im Bundestag zu, verteidigte sich aber gegen Vorwürfe, wesentliche Schuld am Zustand der Bundeswehr zu haben. Der Haushaltspolitiker der Union, Mathias Middelberg, sagte, es sei ein notwendiger und wichtiger Schritt, die Verteidigungsfähigkeit des Landes und in Europa wieder herzustellen und die Bundeswehr stark zu machen. „Wir stellen 100 Milliarden extra für die Bundeswehr zur Verfügung in einer Sonderschuld. Das muss man auch ehrlich sagen”, forderte er.
Bartsch: „Aufrüstung ist der Wahnsinn”
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, die Bundeswehr sei nicht vernachlässigt worden. Vielmehr sei der Wehretat gestiegen wie kein anderer. „Es gab kein Kaputtsparen, wenn man derartige Steigerungen hatte”, betonte Bartsch. „Das einzige, was Ihnen einfällt, ist militärisch, und das ist der Wahnsinn. Aufrüstung ist der Wahnsinn.” Der AfD-Haushaltspolitiker Peter Boehringer sagte: „Die vorgelegten Gesetze zur Ausrüstung der Bundeswehr sind natürlich in der materiellen Absicht begrüßenswert. Doch dieser Weg über die Grundgesetzänderung ist der Falsche.”
Weil das sogenannte Sondervermögen über Kredite finanziert werden und an der Schuldenbremse vorbei laufen soll, musste das Grundgesetz geändert werden. Die Abgeordneten stimmten mit breiter Mehrheit dafür, einen neuen Absatz 87a in die deutsche Verfassung aufzunehmen. Es gab 567 Ja-Stimmen - 491 wären bereits ausreichend gewesen. In der Abstimmung über das Gesetz zu dem Sondervermögen gab es 593 Ja-Stimmen (Nein: 80, Enthaltung: 7). Damit die Grundgesetzänderung in Kraft treten kann, muss noch der Bundesrat zustimmen.
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