Streit unter KlimaschützernWindkraftbranche will gegen Nabu NRW demonstrieren
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Düsseldorf – Die politische Distanz zwischen Windkraft-Freud und Windkraft-Leid in Nordrhein-Westfalen hat ein exaktes Maß: 1000 Meter. Näher darf nach aktueller Gesetzeslage ein Windrad an Wohnbebauung nicht heranrücken – ein heißer Streitpunkt, wenn es um den Ausbau der Erneuerbaren Energien geht, ohne die kein Klimaziel zu erreichen ist: nicht das im Pariser Abkommen festgeschriebene von der Klimaerwärmungsgrenze deutlich unter 2 Grad; und nicht das von der schwarz-gelben Landesregierung in ihrer Energieversorgungsstrategie formulierte, den Strombedarf bis 2030 zu 50 Prozent aus Erneuerbaren Energien zu decken.
Doch je öfter die (Mindest-)-Abstandsregelung zitiert wird, je mehr wirkt sie wie ein Fetisch: um schnelles Handeln durch ihre Abschaffung zu suggerieren, während die vielen zusätzlichen Bremsmomente der komplexen Gemengelage rund um das Thema „Windkraft ja, aber bitte woanders“ viel schwieriger zu lösen sind. Klar ist aber allen: Wenn die Windkraft nicht stärker ausgebaut wird, verfehlt NRW die Klimaziele.
Nabu NRW soll Energiewende blockiert haben
Einen erstaunlichen Höhepunkt erfährt die Debatte mit der „Anti-Nabu-NRW-Demo", die der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE) angekündigt hat. Haben beide Verbände nicht die gleichen Ziele –nämlich den Klimawandel aufzuhalten? Beide kritisieren das pauschale Abstandsgebot. Aber Umweltschutz steht dem LEE zu oft im Weg, wenn es ums Tempo beim Ausbau geht – und der wird als allgemein zu langsam angesehen. So hat sich die Branche jetzt zu einem ungewöhnlichen bis befremdlichen Schritt entschlossen und will exemplarisch gegen ein aus ihrer Sicht Dauerhemmnis - nämlich den Wald- und Artenschutz - demonstrieren.
Am Mittwoch will sich der LEE in der Nähe der Geschäftsstelle des Landesverbandes des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) in Düsseldorf zum Protest einfinden. „Die Demonstration richtet sich gezielt gegen eine Energiewende-Blockade-Politik des Nabu NRW“, sagt LEE-Vorstand Reiner Priggen. Seinen Angaben zufolge habe der Nabu in den vergangenen Jahren in NRW „mehr als 100 Windenergieanlagen mit über 500 Megawatt Leistung ausgebremst“.
Nabu widerspricht dem Vorwurf vehement
Heide Naderer widerspricht dem vehement. „Das ist bewusst falsch formuliert“, kommentiert die Nabu-Landesvorsitzenden die LEE-Aussage gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Es ist absolut unzutreffend, den Nabu als Verhinderer darzustellen. Wir haben konkret in den vergangenen beiden Jahren zwei Projekte beklagt, weil die Befunde zur Umweltverträglichkeit nicht ausreichend waren. Es ist rechtlich ausdrücklich möglich und vorgesehen, dass es diese Einspruchsmöglichkeit durch den Naturschutz gibt. Zumal, wenn im Vorfeld nicht korrekt gearbeitet wurde.“
Reiner Priggen, der die Interessen von Industrie und Investoren vertritt, kritisiert die Haltung des Umweltverbands bei Wäldern. „Fährt man von Köln nach Gummersbach, sieht man Wälder, wo der Borkenkäfer katastrophale Schäden angerichtet hat. Wäre es denn nicht sinnvoll, hier den Waldbauern durch Windenergie eine neue Einkommensmöglichkeit zu schaffen?“ Und gleich weiter richtet sich Priggens Blick auf die großen Wälder von Sauer- und Siegerland. Hier steht die grundsätzliche Frage im Raum: Wie viel Umweltschutz verträgt die Energiewende? Und Antworten drängen.
Wie viel Windenergie im Wald?
Es stimmt, in einem Positionspapier legen die Umweltschützer dezidiert dar, was bei Windenergie und Wald für sie zusammen geht und was nicht. Heide Naderer fasst für Schutz und Entwicklungsraum zusammen: „Wir möchten für diese geschädigten Flächen eine natürliche Waldentwicklung; aber wir sind durchaus dafür, dass in Fichtenforsten und Monokulturen Windenergieanlagen möglich sind.“ Es gebe keine grundsätzliche Abwehr in Forsten, aber man müsse auch im Auge haben, was ein Windrad dort bedeutet: Bodenverdichtung, jede Menge Zement, Lärm und Gefahr für Vögel durch die Rotatoren.
„Wir brauche die Windkraft, um die Klimaziele zu erreichen“, sagt LEE-Mann Reiner Priggen, „der Nabu NRW blockiert vielfältig.“ „Arten- und Klimakrise müssen zusammengedacht werden“, sagt Heide Naderer, „der LEE betreibt eine Spaltung innerhalb der Umweltbewegung. Das finde ich sehr schwierig.“
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Der LEE nutzt den Nabu, der wiederum seinen rechtlichen Spielraum nutzt, als Steilvorlage für Bürokratie-Bashing. „Diese endlosen Genehmigungsverfahren behindern das Fortkommen bei den Erneuerbaren Energien; dafür sind diese Vorgänge exemplarisch. Das wollen wir bei der Demonstration herausstellen – allgemein.“
Die viele Zeit, die vergehen muss bis zur echten Energieerzeugung ist vielfach dokumentiert. Die Fachagentur für Windenergie bescheinigt NRW in der Sache einen traurigen Fortschritt. Mit acht, neun Jahren muss jeder Anlagenbetreiber rechnen. Daran ist aber nicht nur der Umweltschutz Schuld, das weiß auch Priggen.
Der erste Schritt – schon schwer gehemmt. „Die Planung und Ausweisung von Windkonzentrationszonen ist für die Kommunen sehr aufwändig, zeitintensiv und mit Rechtsunsicherheiten verbunden“, sagt Anja Kruse, Fachbereichsleiterin der Koordinierungsstelle Klimaschutz und Klimawandel beim Landesumweltamt (LANUV). Das LANUV erstellt fortlaufend Potenzialstudien für die Erneuerbaren Energien in NRW. Generell sei die Akzeptanz für Windkraftanlagen gestiegen, aber: „es gibt natürlich Gemeinden, die für die Windenergie im Zweifel auch eher möglichst wenig Fläche ausweisen möchten.“
Klare Regen und einheitliche Standards bei Artenschutzfragen geboten
Hier liegen für den Nabu weitere Stolpersteine. „Viele Kommunen sind überfordert bei den Verfahren, deshalb muss die Planung auf die regionale Ebene gehoben werden. Zudem benötigen die Genehmigungsbehörden ausreichendes und fachkundiges Personal“, sagt Heide Naderer. Sie regt auf dieser Ebene auch runde Tische an, um alle Seiten zu beteiligen. Zudem schlägt der Umweltverband vor, für Gutachten zertifizierte und unabhängige Experten heranzuziehen, so könne man endlich vom „Gutachten-Pingpong“ wegkommen. „Sicher, man muss sich die Planungs- und Genehmigungsverfahren genau anschauen. Aber pauschal zu sagen: Wenn wir alles beschleunigen, wird auch alles besser, ist so nicht richtig.“
In der grünen Landes- und Bundespolitik geht die Tendenz bei Umweltschutz und Bürokratie in Richtung Vereinheitlichung: „Damit nicht bei jedem Projekt die Artenschutzfragen vor Gericht landen, brauchen wir dringend klare Regeln und einheitliche Standards. Schwerpunktvorkommen sollten strenger geschützt werden, im Gegenzug an anderer Stelle rechtssichere Ausnahmen möglich sein“, sagt Wibke Brems, Energie- und Klimaexpertin der Grünen im NRW-Landtag, auf Anfrage des Kölner Stadt-Anzeiger.
Im Entwurf des Landtagswahlprogramms formuliert die Partei ein Ziel, das indirekt aber unmittelbar auf mit Vereinfachung zusammen gedacht werden muss: „Wir werden die Grundlagen dafür legen, dass jedes Jahr mindestens 200 neue Anlagen gebaut werden können“, heißt es da. Zudem widerspräche ein faktisches Verbot von Wind auf Forstflächen und ein 1000-Meter-Mindestabstand zu fast jeder Hofstelle dem Ziel, ökologisch hochwertige Flächen freizuhalten“, sagt Brems.
In seiner Regierungserklärung schiebt Hendrik Wüst (CDU), neuer Ministerpräsident von NRW, die Verantwortung für den Windkraftausbau nach Berlin ab. Er erwarte „Klarheit von der neuen Bundesregierung „für einen forcierten Ausbau der Erneuerbaren Energien“ und „für einen forcierten Ausbau der Netze“. Die 1000-Meter-Regelung sei „ein Baustein der Gesamt-Regulatorik“, ergänzt Wüst in einem Interview mit dem WDR-Magazin „Westpol“. „Es gibt viele Praktiker, die mir sagen, zwei Prozent der Landesfläche schaffen wir auch, wenn wir dieses befriedende Element beibehalten. Die Menschen im Dorf finden das gar nicht witzig, wenn die Windräder ihnen direkt ans Haus ran gebaut werden.“
SPD: Wüst wollte Ausbau Erneuerbarer Energien weiter behindern
Für die SPD-Opposition im Landtag ist der Fall nach diesen Aussagen klar. „Hendrik Wüst will den Ausbau Erneuerbarer Energien weiter behindern. Anders ist sein Festhalten an der Abstandsregelung nicht zu erklären“, sagt Fraktionsvize André Stinka. Dabei stoße die Windkraft auf eine breite Akzeptanz. 78 Prozent der Menschen sind laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der Fachagentur „Windenergie an Land“ vom 29. Oktober mit den Anlagen in ihrer Wohnumgebung einverstanden. 74 Prozent hätten auch keine großen Bedenken, falls in ihrer Wohnumgebung erstmals Windräder errichtet würden. Die Forsa-Umfrage kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass sich bei der Projektumsetzung vor Ort „Diskrepanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ zeigen. Stinka sagt: „Für uns ist klar: Wir müssen Windkraft mit enger Beteiligung der Menschen vor Ort stärken.“ Rot-Grün in NRW, so scheint es, segelt vor der Landtagswahl im Mai 2022 bei der Windkraft auf einem gemeinsamen Kurs.
Die Abstandsregelung – man verspricht sich viel von ihr, obgleich der LANUV das tatsächliche Flächen-Plus noch nicht einmal errechnet hat. Dass es trotz allem große Distanzen geben muss, liegt auf der Hand. Auch wenn die aktuell gültige Abstandsregelung gelockert würde, müsste trotzdem für jede Anlage geprüft werden, wie weit sie tatsächlich von der Wohnbebauung entfernt stehen muss, etwa um optisch keine bedrängende Wirkung auszuüben und wegen des Schallschutzes. „In jedem Fall bliebe es bei 660 Metern bis sogar 720 Metern Mindestabstand. Diese für die Genehmigung von Windenergieanlagen erforderlichen Abstände ergeben sich aus der dreifachen Höhe der Anlage. Ist eine Anlage 240 Meter hoch – das ist bei den modernsten und größten Modellen in NRW derzeit der Fall – muss sie drei Mal so weit von allen Wohngebäuden entfernt stehen, also 720 Meter“, rechnet Anja Kruse vom LANUV vor.
„Kölsche Posse“ verhindert Windrad in Stadtnähe
Und da hat Reiner Priggen noch nicht einmal alles aufgezählt, was den Windradbauern abstandsmäßig den Schlaf raubt: Erdbebenüberwachungsstationen gerade im Rheinland wollen ihren üppigen Schutzradius von 15 Kilometern genauso wie Flughäfen. Gepaart mit bockigen Kommunen, zu denen Priggen durchaus auch Köln mit einer erfolgreichen Verhinderungsstrategie zählt, kommt so viel zusammen, dass es an Wunder zu grenzen scheint, dass es überhaupt schon das ein oder andere Windrad in den Betrieb geschafft hat.
„Die kölsche Posse geht so“, sagt Priggen: „Köln hat vor 15 Jahren eine Windkonzentrationszone an eine Stelle gelegt, wo nicht gebaut werden kann. Damit wird seither verhindert, dass an anderen Stellen der Stadt gebaut wird. Erfolgreich.“ In ganz NRW sind dieses Jahr immerhin schon 50 Windkraftanlagen entstanden, trotz der Hürden. „Wir haben nach Bayern in NRW die härteste Abstandsregelung – und Herr Wüst äußert sich kryptisch“, sagt der LEE-Vorstand. Wer die Ziele immer höher setzt, müsse auch die Möglichkeiten schaffen sie zu erreichen; derzeit herrsche im Land „Doppelzüngigkeit“.
Auch der Nabu NRW spricht sich für eine Verringerung pauschaler Mindestabstandsregelungen zur Wohnbebauungen aus, betont Naderer. Allerdings nicht, um mehr Profit zu generieren. Sie steigerten das Risiko, dass sich der Nutzungsdruck auf Waldflächen oder bisher unzerschnittene Landschaftsräume erhöht. Vielleicht trifft man sich am Mittwoch bei oder nach der Demo und bespricht nochmal Details – und wie man das gemeinsame Ziel erreicht: den Klimawandel aufzuhalten.