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Terrorismus290 Kompanien zu je 250 Mann – Die Militärpläne der Reichsbürger-Putschisten

Lesezeit 8 Minuten
Dezember 2022: Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten, Heinrich XIII. Prinz Reuß zu einem Polizeifahrzeug.

Dezember 2022: Bei einer Razzia gegen sogenannte „Reichsbürger“ führen vermummte Polizisten, Heinrich XIII. Prinz Reuß zu einem Polizeifahrzeug.

Die Anklagen gegen Beschuldigte der „Reichsbürger“-Truppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß stehen bevor. Verhandelt wird an zumindest einem besonderen Ort.

Die größte Razzia gegen rechtsextremen Terror der vergangenen Jahrzehnte ist schon wieder fast ein Jahr her: Am frühen Morgen des 7. Dezember 2022 wurden die mutmaßlichen Verschwörer um den Frankfurter Unternehmer und Adelsspross Heinrich XIII. Prinz Reuß festgenommen, 27 Personen sitzen seitdem in Untersuchungshaft.

Gegen mittlerweile 69 Beschuldigte wird ermittelt, unter ihnen eine Richterin und Ex-AfD-Bundestagsabgeordnete, frühere Elitesoldaten, mehrere Polizistinnen und Polizisten und eine Ärztin. Die mutmaßliche Putschistengruppe ist so groß, dass die Strafverfolger den Komplex wohl vor drei, wenn nicht gar vier Oberlandesgerichten anklagen müssen.

Die Anklagen will der Generalbundesanwalt noch vor dem Jahrestag der Razzia am 7. Dezember zustellen. Als erstes soll nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland („Kölner Stadt-Anzeiger“) gegen den militärischen Arm der „Patriotischen Union“ verhandelt werden, im Hochsicherheits-Prozessgebäude von Stuttgart-Stammheim.

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In der Gruppe um den Adligen und „Reichsbürger“ Reuß versammelten sich Verschwörungsgläubige aller Couleur: Die einen hingen den Ideen von „QAnon“ an, andere waren in esoterische Pfade abgeglitten, auch Außerirdische spielten in den Überlegungen eine Rolle. An einem noch zu benennenden „Tag X“ sollte es zu einem gewaltsamen Umsturz der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik kommen. Ein ihrer Meinung nach überlegenes Netzwerk, die „Allianz“, würde die Institutionen des Staates lahmlegen. Dann stünde der „Rat“, bereit, dem Heinrich XIII. als künftiges Staatsoberhaupt vorstehen sollte.

Wemding in Bayern, am 18. November 2023: Nach Einschätzung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz gab es am Wochenende eines „der größten Treffen“ von sogenannten „Reichsbürgern“ in Deutschland.

Wemding in Bayern, am 18. November 2023: Nach Einschätzung des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz gab es am Wochenende eines „der größten Treffen“ von sogenannten „Reichsbürgern“ in Deutschland.

Die Berliner Richterin und Ex-AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann sollte „Justizministerin“ werden, die niedersächsische Ärztin Melanie R. „Gesundheitsministerin“. Der „Rat“ soll sich seit November 2021 regelmäßig heimlich auf dem Jagdschloss Waidmannsheil in Thüringen getroffen haben, „um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“, wie die Bundesanwaltschaft schreibt.

Wie aber sollte die neue Ordnung aufrechterhalten werden? Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) bekam nun Einblick in die militärische Struktur der Putschtruppe, die sogenannten „Heimatschutzkompanien“.

290 Kompanien zu 250 Mann – die Militärpläne der Reichsbürger-Putschisten

Die Rechnung der Verschwörer war demnach ebenso einfach wie krude: Jeder Tausendste der deutschen Bevölkerung würde den Putsch und die militärischen Verbände der neuen Ordnung unterstützen. Das gäbe den Heimatschutzkompanien ein Potenzial von bis zu 84.000 Kämpfern. Etwas konservativer kalkulierte der Planer der militärischen Einheiten der „Patriotischen Union“, der sächsische Ex-AfD-Kommunalpolitiker Christian W., mit 286 bis 290 Kompanien von jeweils 250 Mann. Mehr als 70.000 Bewaffnete also, die nach dem Zusammenbruch des alten Systems, nach dem Ende von Polizei und Bundeswehr, die neue Ordnung schützen sollten.

Dezember 2022: Polizisten führen eine Person aus einem Hubschrauber, die im Zuge der Razzia gegen Prinz Reuß festgenommen worden war.

Dezember 2022: Polizisten führen eine Person aus einem Hubschrauber, die im Zuge der Razzia gegen Prinz Reuß festgenommen worden war.

Viele dieser Einheiten existierten nur auf dem Papier, teils in detaillierten Organigrammen von Dienstgraden und Befehlsketten, hinter denen aber noch keine realen Menschen standen. Es gab Stempel, Din-A-4-Schreibblöcke und teils sogar Autokennzeichen. Einigen waren konkrete Aufgaben zugedacht. Und eine Handvoll dieser Putschtruppen hatte wohl bereits einen realen Grundstock von überzeugten und bewaffneten Mitstreitern – davon ist zumindest der Generalbundesanwalt überzeugt.

Nur nach welchem System die Nummern der quer über die Republik verteilten Kompanien verteilt werden sollten, bleibt auch den Ermittlern unklar. 31 „Heimatschutzregimenter“ sollten je neun Kompanien umfassen, einige aber auch 12 oder 11.

Eine „Heimatschutzkompanie“ soll bereits gegründet gewesen sein

Im württembergischen Horb am Neckar durchsuchten die Ermittler am 7. Dezember vergangenen Jahres das Unternehmen von Ralf S.. Der Dachdecker war in der 25.000-Einwohner-Stadt als „Querdenker“ und Anmelder von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen aufgefallen: Dass er auch ein „Reichsbürger“ war, überraschte dennoch einige. Bei ihm soll sich laut „Zeit“ mehrfach der militärische Arm der Putschplaner getroffen haben, hier soll sich mit der Nummer 221 eine der ersten „Heimatschutzkompanien“ gegründet haben, zuständig auch für das 25 Kilometer westlich gelegene Freudenstadt und die 40 Kilometer nordöstlich gelegene Universitätsstadt Tübingen. Für Horb und Tübingen könne S. 150 Leute in Bereitschaft halten, gab er an.

Für den Großraum Hannover in Niedersachsen waren gleich vier Kompanien eingeplant, sie trugen die Nummern 366 bis 369. Für die 366 war höchstwahrscheinlich ein pensionierter SEK-Polizist aus Springe vorgesehen, dessen Hof im März 2023 von den Ermittlern durchsucht worden war.

Auch er hatte sich in den Corona-Protesten exponiert: Ein örtlicher Kirchenvertreter berichtet von Zetteln am Fenster des Wohnhauses, die unter anderem auf Verschwörungsfantasien, auf Querdenker und Impfgegner hindeuteten. Er ist nach den Erkenntnissen aus Karlsruhe nicht der einzige Polizist, der eine bewaffnete Einheit befehligen sollte.

Für die Leitung der Kompanie 378, zuständig für den Kreis Minden-Lübbecke in Westfalen, war eine Kriminalkommissarin vorgesehen. Sie ist seit der Razzia vom Dienst suspendiert.

Mitmachen durften nur Ungeimpfte – damit waren Feuerwehrleute praktisch ausgeschlossen

Auch Feuerwehrleute wurden in einigen Regionen wie etwa dem Erzgebirge (Heimatschutzkompanie 139) gezielt für den Dienst am imaginären neuen Staat angesprochen. Es gab aber auch Vorbehalte in den Kreisen der Verschwörer: Feuerwehrleute seien sehr oft gegen das Coronavirus geimpft, mitmachen aber dürften nur Ungeimpfte, hieß es.

Die Kompanie 139 hatte bereits einen Busfahrer angeworben - dies sei aus Sicht der Verschwörer praktisch für das Fahren des Gefangenentransporters im Erzgebirge, wie in den Überwachungsprotokollen vermerkt ist. Mit welchen Gefangenen rechneten die Verschwörer? Was sollte mit ihnen geschehen? Und für welche Einsätze waren die Kompanien überhaupt gedacht?

Zwei Männer waren für die militärische Planung der Putschtruppe zuständig. In Olbernhau im Erzgebirge wohnte der Ex-AfD-Stadtrat Christian W., der ein Landschaftspflege-Unternehmen betrieb. Er ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft der Planer der Heimatschutz-Einheiten.

Im April 2022 war die Polizei schon einmal bei ihm, da ging es um seine Beteiligung an einem anderen „Reichsbürger“-Umsturzplan. Die Verschwörer um den brandenburgischen Buchhalter Sven B. und die im sächsischen Flöha wohnhafte Theologin Elisabeth R. sollen Anschläge auf Stromnetze und die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant haben. Seit dem Frühjahr wird ihnen in Koblenz der Prozess gemacht.

Ermittler suchten auf Bundeswehrgelände nach versteckten Waffen

Christian W. verlor nach der ersten Razzia seinen Vorsitz im Schützenverein. Auch nach der zweiten Razzia sollen bei ihm Waffen gefunden worden sein.

Über W. in der Hierarchie steht der frühere Bundeswehr-Kommandeur Rüdiger von P. Der Ex-Oberstleutnant kommandierte von 1993 bis 1996 ein Fallschirmjägerbataillon in Süddeutschland, wo heute das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr stationiert ist. Auf dem KSK-Übungsgelände gruben Ermittler nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) mehrmals nach möglicherweise versteckten Waffen – ohne fündig zu werden. Eine Sprecherin des Generalbundesanwalts bestätigte auf SZ-Anfrage nur allgemein, dass es in dem Verfahren zu Grabungen auf Bundeswehrgelände gekommen sei.

Rüdiger von P. wurde 1999 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er Waffen aus Beständen der früheren Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR unterschlagen hatte. 165 funktionsfähige Waffen aus diesem Bestand gelten bis heute als vermisst.

Das Übungsgelände liegt nur rund 50 Kilometer von Horb entfernt, wo Ralf S. seine Heimatschutzkompanie 221 aufbaute. Württemberg kristallisierte sich bei den Razzien als ein regionaler Schwerpunkt der Reußen-Bande heraus – das Erzgebirge und das südliche Thüringen sind weitere

Vorbereitungen für den „Tag X“

Hauptquartier der Heimatschutzkompanie 148 soll der Weiler Heberndorf sein, ein Ortsteil von Wurzbach, nur zwanzig Autominuten vom Jagdschloss Waidmannsheil entfernt, wo Heinrich XIII. den neuen Staat geplant haben soll. Die Einheit war anscheinend eine der wenigen, die nicht nur auf dem Papier existierte: Berichtet wird von regelmäßigen Treffen und ausführlicher Kommunikation des Kompanieanführers Norbert G. mit Rüdiger von P. Immer drängender wurde dort nach den versprochenen Funkgeräten gefragt.

Dass diese erst am „Tag X“ geliefert werden sollten, beruhigte den Thüringer Kommandeur nur kurz. Am 15. November schrieb er: Man warte nur noch auf den Startschuss und wolle loslegen. Rüdiger von P. gab die Weisung, ein Auge auf den Prinzen zu haben. Gemeint ist Heinrich XIII. Aber war das als Schutz gemeint ist – oder als Überwachung?

Welche Spannungen es innerhalb der Gruppe gab, auch welche Auseinandersetzungen über das Vorgehen – das werden wahrscheinlich die Prozesse ans Licht bringen, die sich vermutlich über Jahre hinziehen werden. Allein die Ex-AfD-Politikerin Malsack-Winkemann soll gegenüber den Ermittlern geredet haben wie ein Wasserfall – mehrere Hundert Seiten Aussagen voller Verschwörungserzählungen liegen vor.

Schicht für Schicht müssen die Gerichte die zentrale Frage klären: Wie gefährlich waren die verhinderten Putschisten wirklich? Und was einte sie eigentlich?

Interesse nach Verschwörungestheorien jedweder Art

„Sie teilen ein ideologisches Grundgerüst, ein verschwörungsideologisches, das diese Menschen dazu bewegt hat anzunehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland und ihre Regierung gestürzt werden müssten“, sagt der Politikwissenschaftler und „Reichsbürger“-Experte Jan Rathje vom CeMAS, dem Center für Monitoring, Analyse und Strategie. „Das Leitmotiv ist, dass die Bundesrepublik Deutschland von einer fremden Macht gesteuert wird, die im Hintergrund die Fäden ziehen würde und die es zu bekämpfen gilt.“

Ob jemand an das Deutsche Reich, an QAnon oder an Außerirdische glaube, sei letztlich zweitrangig: „Was Personen aus diesem Milieu stark eint, ist, dass sie nach einem sogenannten stigmatisierten Wissen suchen, also Wissen, das von den gängigen ‚Mainstream‘-Institutionen verworfen, ignoriert oder abgelehnt wird“, erläutert Rathje. „Als solches gilt Esoterisches, aber auch Wissen über Aliens, Verschwörungsideologien bis hin zu Antisemitismus und Holocaustleugnung.“ Heinrich XIII. habe es geschafft, diese Personen aus unterschiedlichen Milieus für seine Sache zu rekrutieren. „Ihm kommt in dieser Hinsicht eine entscheidende Position zu.“

Man dürfe „sich trotz realsatirischer Momente nicht davon ablenken lassen, dass ein reales Gewalt- und Gefahrenpotenzial von dieser Gruppe ausgegangen ist“, warnt der Experte.

Dafür spreche schon der hohe Anteil von Ex-Kommandosoldaten und Polizisten. „Man hatte ein großes Waffenarsenal, eine erhebliche Menge Munition und Finanzmittel angehäuft. Und man hatte mit Frau Malsack-Winkemann eine Person in der Gruppe, die einem Kommando von entschlossenen ehemaligen und aktiven Elitesoldaten Zugang zum Bundestag hätte verschaffen können.“

Falls der Tag X jemals gekommen wäre, hätte es auf jeden Fall Tote gegeben. „Natürlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Gruppe auf diese Weise erfolgreichen Putsch hätte durchführen können“, meint Rathje. „Aber die Auswirkungen, die eine solche terroristische Tat gehabt hätte, wären durchaus verheerend gewesen.“ (RND)