Ekrem Imamoglu ist Präsident Erdogans wichtigster Gegner. Nun geht die türkische Justiz gegen ihn vor. In Istanbul gibt es Straßensperrungen und Festnahmen.
Proteste in IstanbulErdogan lässt Kontrahenten verhaften – „Der türkische Präsident eifert Putin nach“

Ekrem Imamoglu gilt als vielleicht wichtigster Gegenspieler von Staatschef Erdogan in der Türkei. (Archivbild)
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Dutzende Festnahmen, Demonstrationsverbote, Straßensperren sowie Beschränkungen bei Online-Medien: Wenige Tage vor seiner geplanten Ernennung zum Präsidentschaftskandidaten ist der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu bei einer groß angelegten Razzia verhaftet worden. Er gilt als aussichtsreicher Herausforderer des autoritären Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die Partei des Bürgermeisters von Istanbul warnte vor dem Versuch eines Staatsstreichs – und rief landesweit zu Protesten auf.
Imamoglu wird unter anderem die Führung einer kriminellen Organisation und Korruption vorgeworfen, wie aus dem Haftbefehl der Staatsanwaltschaft hervorgeht. Außerdem gibt es Terrorismusvorwürfe: Der 53-Jährige soll die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete.
Imamoglu veröffentlichte am Morgen auf der Plattform X ein Video, in dem er davon sprach, dass Hunderte Polizisten vor seiner Haustür stünden. „Wir befinden uns im Angesicht einer großen Tyrannei“, schrieb er dazu. Er werde aber nicht aufgeben.
Demonstrationsverbot und Straßensperrungen in Istanbul
Neben Imamoglu wird gegen 99 weitere Beschuldigte ermittelt. Am Morgen wurden laut Anadolu 79 Menschen festgenommen, darunter auch die Bürgermeister zweier Istanbuler Gemeinden und ein bekannter Sänger.
Das Büro des Gouverneurs der Provinz Istanbul verhängte zudem eine viertägige Demonstrations-, Versammlungs- und Nachrichtensperre bis Sonntag. In der Millionenmetropole wurden auch mehrere Straßen gesperrt. Ausgewählte Straßen sind unpassierbar, zudem wurden Bahnstationen geschlossen.
Trotzdem versammeln sich Menschen, vor allem Studierende, um gegen die Vorgänge zu protestieren. Am Dienstag war bekanntgeworden, dass die Universität Imamoglu den Hochschulabschluss aberkannt hat. Dieser ist aber Voraussetzung zur Kandidatur für das Präsidentenamt. Nach Augenzeugenberichten antwortet die türkische Polizei mit Tränengas und Plastikgeschossen.
Etliche soziale Netzwerke sowie Kurznachrichtendienste waren nur eingeschränkt nutzbar. Viele Türken beschrieben Drosselungen und Beschränkungen unter anderem auf X, Youtube, Instagram, Tiktok, Whatsapp sowie Signal und Telegram.
Kritiker sprechen von einem Putsch, der Aktienmarkt bricht ein
Imamoglus Partei CHP sprach von einem „Putschversuch“. Die größte Oppositionspartei wollte Imamoglu eigentlich am Sonntag offiziell zu ihrem Kandidaten für die nächste reguläre Präsidentschaftswahl im Jahr 2028 ernennen.
Die Festnahmen erschütterten auch die Finanzmärkte. Die Landeswährung Lira sackte zum US-Dollar auf ein Rekordtief ab, der Aktienmarkt brach ein und am Anleihenmarkt zogen die Renditen deutlich an.
Der türkische Exiljournalist Can Dündar sieht in der Festnahme des Istanbuler Bürgermeisters einen Putsch von Präsident Recep Tayyip Erdogan. „Erdogan hat heute den Putsch durchgeführt, den er lange geplant und vorbereitet hat und ließ seinen engsten Rivalen ins Gefängnis stecken“, teilte Dündar mit.
„Der türkische Präsident eifert Putin nach und versucht, mit dessen Taktiken an der Macht zu bleiben“, so Dündar mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Kölner OB Reker kritisiert „Methoden einer Autokratie“
Imamoglu erklärte, er wolle gegen die Entscheidung der Universität Istanbul vor Gericht ziehen, habe aber das Vertrauen in faire Urteile verloren. Ihm drohen in einer Reihe weiterer Verfahren Haftstrafen und Politikverbote.
Indes meldete sich die Oberbürgermeisterin von Istanbuls Partnerstadt Köln auf der Plattform X zu Wort. Henriette Reker schrieb, es wirke, als wolle Erdogan seinen schärfsten Konkurrenten mit den Methoden einer Autokratie ausschalten. Köln stünde solidarisch hinter Imamoglu, so Reker weiter.
Auch die Bundesregierung hat die Festnahme des prominenten türkischen Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu in Istanbul scharf verurteilt. Dies sei „ein schwerer Rückschlag für die Demokratie in dem Land am Bosporus“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch in Berlin.
Der Oppositionspolitiker soll die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK unterstützt haben. Hintergrund sei eine Kooperation zwischen seiner sozialdemokratischen CHP und der prokurdischen Partei DEM bei den Kommunalwahlen, so die Nachrichtenagentur Anadolu. Dabei hatten beide Parteien zusammengearbeitet, um in Gemeinden die Mehrheit zu gewinnen.
Die türkische Regierung sieht die DEM als politischen Arm der PKK. Die Partei streitet das vehement ab. Imamoglu wurde am Morgen zusammen mit Dutzenden weiteren Menschen festgenommen. In der Türkei wurden schon oft Bürgermeister, gegen die Terrorermittlungen laufen, durch regierungsnahe Zwangsverwalter ersetzt.
Sein Anwalt Kemal Polat hatte der Deutschen Presse-Agentur vor Bekanntwerden des Haftbefehls gesagt, Imamoglu könne erst als Präsidentschaftskandidat antreten, wenn alle Rechtswege gegen die Entscheidung ausgeschöpft seien. Der Vorsitzende der CHP, Özgür Özel, sprach von einer politischen Entscheidung. (dpa/afp)