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„Es geht um Minuten“Neue Atomdrohung, alter Hinweis – Kreml bleibt auf Kriegskurs

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Kremlchef Wladimir Putin bei einer Zeremonie mit Militärpersonal. Aus Moskau kommen derzeit erneut Drohungen in Richtung Europa. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin bei einer Zeremonie mit Militärpersonal. Aus Moskau kommen derzeit erneut Drohungen in Richtung Europa. (Archivbild)

Bei einem Raketen-Angriff bleiben Europa „nur Minuten“, heißt es aus Moskau. Russland-Kenner warnen eindringlich vor Putins Kurs.

Die Signale aus Moskau sind deutlich in diesen Tagen: Der Kreml will keine Verhandlungen, solange nicht alle Bedingungen Russlands dabei erfüllt werden. Das unterstrich Kremlchef Wladimir Putin zuletzt mit der erneuten Eskalation als Reaktion auf ukrainische Raketenangriffe mit westlichen Waffen und seiner geplanten Gegenoffensive in der Grenzregion Kursk, bei der bis zu 60.000 Soldaten – auch aus Nordkorea – zum Einsatz kommen sollen.

Nach dem erstmaligen Einsatz der neuartigen Mittelstreckenrakete „Oreschnik“ in der vergangenen Woche, der international für Entsetzen gesorgt hatte, drohten in den letzten Tagen nicht nur die russischen Staatsmedien mit ähnlichen Angriffen auf Europa.

Putins Staatsmedien drohen Europa: „Keiner ihrer Politiker ist sicher“

„Wir müssen es den Europäern so deutlich wie möglich sagen: Keiner ihrer Politiker ist sicher“, drohte ein populärer Moskauer Propagandist zuletzt im Staats-TV. Dass „Oreschnik“ auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden könnte, wird dabei stets hervorgehoben. „In diesem Fall“ sei die Mittelstreckenrakete „ohne nukleare Sprengladung“ getestet worden, betonten die Kreml-Sprachrohre in den TV-Studios.

Eine Rolle rückwärts von der Rolle rückwärts lieferte unterdessen der Moskauer Lautsprecher Dmitri Medwedew am Wochenende. Erst verkündete der ehemalige Kremlchef entgegen all seiner vorherigen Warnungen, dass Russland „nicht verrückt“ sei und deshalb auch keine Atomwaffen einsetzen werde. Nur zwei Tage später drohte Medwedew dann erneut mit den russischen Nuklearwaffen.

Moskaus Botschaft: „Besser, den Krieg nicht weiter zu unterstützen“

„Europa fragt sich, wie viel Schaden das System anrichten könnte, wenn die Sprengköpfe nuklear wären, ob diese Raketen noch abgeschossen werden könnten und wie schnell die Raketen die Hauptstädte der Alten Welt erreichen würden“, behauptete Medwedew am Sonntag. „Die Antwort: Der Schaden ist inakzeptabel, sie ist mit modernen Mitteln nicht abzuschießen, und es geht um Minuten“, führte der Vertraute von Putin aus. „Es ist also besser, den Krieg nicht weiter zu unterstützen.“

Medwedew drohte außerdem damit, dass Russland „den Feinden der USA unsere Atomtechnologie möglicherweise weitergeben könnte“. Zuletzt hatte es immer wieder Berichte gegeben, dass Nordkoreas Diktator Kim Jong-un sich von der Kooperation mit Russland auch Hilfe beim eigenen Atomprogramm erhofft.

„Dem Kreml ging es stets um das russische Imperium“

Nicht nur die gegenwärtigen Entwicklungen in der Ukraine deuten unterdessen auf einen unnachgiebigen Kurs des Kremls hin. So erklärte die ehemalige Botschafterin Estlands in Russland, Marina Kaljurand, nun in einem Interview mit Ippen.Media, dass die wahren Absichten des Kremls bereits vor Jahren offensichtlich gewesen seien.

Schon während ihrer Amtszeit von 2005 bis 2008 sei die Ideologie in Moskau deutlich sichtbar gewesen. „Dem Kreml ging es stets um die Wiederherstellung des russischen Imperiums“, sagte Kalujrand. An erfolgreiche Verhandlungen mit Putin glaubt die Ex-Botschafterin nicht.

Bei Sieg für Russland: „Einfluss auf die gesamte Weltordnung“

„Können Sie sich vorstellen, dass jemand nach dem Zweiten Weltkrieg mit Hitler verhandelt hätte? Die Situation ist heute dieselbe“, sagt die 62-Jährige: „Jemand, der einen Krieg begonnen hat, kann nicht am Verhandlungstisch sitzen, wenn über einen nachhaltigen Frieden verhandelt wird.“ Frieden sei dennoch denkbar – mit akzeptablen Bedingungen für die Ukraine und Russland.

Das aktuelle Kreml-Regime könne dabei aber nicht am Tisch sitzen, erklärte Kaljurand. Sonst werde man „in einem Europa leben, in dem wir jederzeit auf Attacken auf Nachbarländer vorbereitet sein müssen“, warnte die ehemalige Diplomatin. „Das hätte Einfluss auf die gesamte Weltordnung.“

Wladimir Putins Plan für die „neue Weltordnung“

Kremlchef Putin hat seit Kriegsbeginn immer wieder davon gesprochen, eine „neue Weltordnung“ schaffen zu wollen. Der Ukraine hatte der russische Präsident unterdessen bereits vor Jahren in einem Essay das Existenzrecht weitestgehend abgesprochen.

Kremlchef Wladimir Putin: Laut Russland-Kenner Karl Schlögel will der russische Präsident die EU „zerlegen“. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin: Laut Russland-Kenner Karl Schlögel will der russische Präsident die EU „zerlegen“. (Archivbild)

Immer wieder kommen zudem eindeutig faschistische Botschaften aus Moskau in Richtung der Ukraine, oftmals ist von einer notwendigen „Säuberung“ die Rede. Der Kreml rechtfertigt seinen Vernichtungskrieg derweil mit einem herbei fantasierten „Nazi-Regime“ in der Ukraine und einer angeblichen Bedrohung durch die Nato.

Karl Schlögel: Historiker warnt vor Putins Zielen

Russland versuche nicht nur die Ukraine zu erobern, sondern auch die „EU zu zerlegen“ und Fluchtbewegungen auszulösen, warnte zuletzt auch der deutsche Historiker Karl Schlögel. Der 76-Jährige gilt als einer der besten deutschen Russland-Kenner.

„Es gibt fortwährend Versuche der Einmischung, Sabotageakte, Versuche, die politischen Parteien zu instrumentalisieren, also die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht“, sagte Schlögel auch mit Blick auf den Wahlkampf in Deutschland. „Russland testet, wie weit es gehen kann.“

Kritik an Telefonat mit Putin von Bundeskanzler Olaf Scholz

In Deutschland sei der Ernst der Lage und der Zeitenwende noch gar nicht ins öffentliche Bewusstsein gekommen, warnte der Historiker. „Man glaubt immer noch, man könnte dieser Auseinandersetzung irgendwie entgehen“, erklärte Schlögel, der klarstellte, dass Russland auch für Deutschland „der Feind“ sei.

Schlögel hält auch das Telefonat von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Putin für einen Fehler. Scholz habe es „aus wahltaktischen Gründen geführt, um sich als Friedenskanzler aufzustellen“, sagte Schlögel. „Er ist damit Putin entgegengekommen, der zwei Tage später den größten Raketenangriff auf die ukrainischen Städte niedergehen lässt.“

Wladimir Putin kennt „keine festen Grenzen der russischen Welt“

Aggressionen gegen andere Staaten könne man derweil ebenfalls nicht ausschließen, warnte der Historiker. „Ich glaube nicht, dass er einen festen Plan hat, aber er hat immer wieder gesagt, dass es keine festen Grenzen der russischen Welt gibt.“

Dennoch werde es „irgendwann“ Verhandlungen geben, prognostizierte Schlögel. Die Frage sei, ob diese unter Bedingungen eines Diktatfriedens stattfänden oder unter Bedingungen, die das Überleben und die Sicherheit der Ukraine gewährleisteten. Nun müsse die Ukraine jedoch erst einmal vor der totalen Zerstörung geschützt werden.

Russland-Kenner unterstützt grünes Licht für Ukraine

„Deswegen finde ich die Lieferung von Waffen, die auf die Ausgangspunkte diese Aggressionen abzielen, längst überfällig und dringend notwendig“, erklärte der Russland-Experte mit Blick auf die Freigabe für den Einsatz westlicher Raketen durch die USA, Großbritannien und Frankreich. Auch damit übte er Kritik am Kanzler.

Scholz lehnt die Lieferung des reichweitenstarken deutschen Marschflugkörpers Taurus derweil weiterhin vehement ab. Im Westen gab es für diese Haltung immer wieder scharfe Kritik an der Bundesregierung. Ein Lob für den Verzicht auf eine Taurus-Lieferung bekam Scholz zuletzt derweil aus Moskau.