Der Kremlchef hat sich zur Hetzjagd in Dagestan geäußert – und erneut für Spekulationen über seine Gesundheit gesorgt.
„Amerika ist eine Spinne“Putin reagiert mit „Paranoia“ auf Judenhass in Russland – Kadyrow gibt Schießbefehl
Kremlchef Wladimir Putin hat die antijüdischen Ausschreitungen in der russischen Teilrepublik Dagestan für Vorwürfe gegen den Westen genutzt. Die Ereignisse in Dagestans Hauptstadt Machatschkala seien nicht zuletzt von ukrainischem Gebiet aus inspiriert worden, „durch die Hände westlicher Geheimdienste“, sagte Putin am Montagabend bei einer Sitzung zur Sicherheitslage Russlands, die in Ausschnitten im Staatsfernsehen übertragen wurde. Belege für die Behauptung einer angeblich ausländischen Steuerung des Vorfalls im muslimisch geprägten Nordkaukasus legte er nicht vor.
Einmal mehr hingegen rechtfertigte der 71-Jährige in diesem Zusammenhang seinen eigenen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Wer gerade wirklich für Wahrheit und Gerechtigkeit kämpfe, seien Russlands Soldaten, sagte Putin, gegen den wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine bereits ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs erlassen wurde.
Ob Ukraine-Krieg oder Judenhass: Wladimir Putin sieht in den USA die „Wurzel des Bösen“
Erneut attackierte der Kremlchef die Vereinigten Staaten mit scharfen Worten. Die USA seien die „Wurzel des Bösen“ und eine „Spinne, die versucht, den gesamten Planeten in ihr Netz einzuhüllen und unsere strategische Niederlage auf dem Schlachtfeld herbeizuführen“, erklärte Putin.
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Vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs war es in Machatschkala am Sonntagabend zu beispiellosen antisemitischen Gewaltexzessen gekommen, bei denen etwa 20 Menschen verletzt wurden. Eine aufgebrachte Menge stürmte den Flughafen der Stadt, als dort ein Flugzeug aus Israel ankam. Passagiere berichteten, sie seien mit Steinen beworfen worden. Die Polizei gab Warnschüsse ab. Die Übergriffe lösten international Bestürzung aus.
„Jede Krise führt dazu, dass Putin sich immer stärker in Paranoia hineinsteigert“
Die Hetzjagd auf Juden in Dagestan sei „durch nichts zu rechtfertigen“ erklärte Putin, die Verantwortung dafür liege aber in Washington und Kiew, unterstrich der Kremlchef. Die Ukraine versuche „unter der Führung ihrer westlichen Gönner, Pogrome in Russland anzuzetteln“, behauptete Putin – erneut ohne Belege vorzulegen – und bezeichnete die ukrainischen Geheimdienste als „Abschaum“.
„Jede Krise führt dazu, dass Putin sich immer stärker in Paranoia und Verschwörungstheorien hineinsteigert“, kommentierte der Historiker Matthäus Wehowski die Worte des Kremlchefs im sozialen Netzwerk X (vormals Twitter).
Spekulationen über Putins Gesundheitszustand: „Noch nie so schwach gesehen“
Auch der Russland-Experte Ian Garner kritisierte den Auftritt Putins. „Es ist noch keine zwei Monate her, dass Wladimir Putin in der Öffentlichkeit antisemitische Galle verbreitet hat“, schrieb Garner bei X. „Dagestan ist Teil Russlands und kein weit entfernter Ort ohne Verbindung zu Moskau.“ Putin hatte sich im August antisemitisch über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geäußert.
Der schwedische Osteuropa-Experte Anders Åslund sprach unterdessen von einer „absurden Behauptung“ Putins – und nährte erneut Spekulationen über den Gesundheitszustand des Kremlchefs. „Ich habe Putin – oder seinen Doppelgänger – noch nie so schwach wie heute gesehen“, schrieb Åslund. Der russische Präsident habe „erhebliche Probleme“ gehabt, von seinem Manuskript abzulesen und habe „verloren“ gewirkt. Zuletzt hatte es Wirbel um einen Bericht über eine angebliche Herzerkrankung des Kremlchefs gegeben. Moskau hat diesen umgehend zurückgewiesen.
Nahost-Konflikt: Wladimir Putin fordert „unabhängigen palästinensischen Staat“
Putin äußerte sich am Montagabend unterdessen auch zum Konflikt in Gaza. Die Lösung des Konflikts in Nahost liege in der Schaffung eines „souveränen, unabhängigen und vollwertigen palästinensischen Staates“, erklärte Putin.
Analysen westlicher Geheimdienste zufolge versucht Russland seit dem Terrorangriff der Hamas aus Israel Profit aus dem Konflikt zu schlagen. So erhoffe man sich in Moskau, dass die Eskalation in Nahost von der Ukraine ablenke und die Unterstützung für Kiew dadurch verringert wird, berichteten die Analysten des amerikanischen Thinktanks „Institute for the Study of War“. Auch über eine direkte Anstiftung der Hamas zum Überfall auf Israel wurde zuletzt immer wieder spekuliert. Noch in diesem Jahr waren Hamas-Vertreter zu Gesprächen in Moskau.
Krieg gegen die Ukraine, Terror gegen Israel: „Diese beiden Angriffe hängen unmittelbar zusammen“
Dass die Hamas für ihren Terrorangriff auf Israel das Datum von Putins Geburtstag gewählt habe, sei „kein Zufall“, hatte zuletzt auch die Vorsitzendes des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) im Gespräch mit dem ZDF erklärt. „Diese beiden Angriffe hängen unmittelbar zusammen“, so die FDP-Politikerin. „Putin hofft, dass wir jetzt wegschauen“, das dürfte man nicht tun, erklärte Strack-Zimmermann.
Im geheimen Teil der Sitzung am Montagabend in Moskau seien „verstärke Maßnahmen gegen Einmischungen von außen“ diskutiert worden, erklärte Putin-Sprecher Dmitri Peskow zudem. Laut der staatlichen Agentur Ria nahmen die Sicherheitsratschefs Nikolai Patruschew und Dmitri Medwedew sowie Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu an der Sitzung teil.
„Putins Bluthund“ Ramsan Kadyrow gibt Schießbefehl: „Auf den Kopf!“
Auch Ramsan Kadyrow, Machthaber in der wie Dagestan überwiegend muslimischen russischen Teilrepublik Tschetschenien, reagierte auf die antijüdischen Ausschreitungen. Wer sich an Unruhen beteilige, werde festgenommen und eingesperrt, sagte Kadyrow Ria zufolge bei einer Sitzung der Regionalregierung in Grosny.
Wenn sich jemand widersetze, sollten die Beamten drei Warnschüsse abgeben. „Danach, wenn der Mensch immer noch gegen das Gesetz verstößt, gebt den vierten Schuss auf den Kopf ab! Der macht das nicht wieder. Das ist mein Befehl“, sagte Kadyrow nach Angaben vom Dienstag. Der Tschetschenen-Führer gilt als einer der treusten Unterstützer des Kremlchefs und ist auch als „Putins Bluthund“ bekannt.
Ukraine verweist auf tief in Russland verwurzelten Antisemitismus
Die Ukraine, die sich seit mehr als 20 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg verteidigt, hat die Vorwürfe aus Moskau über eine angebliche Verwicklung in die Gewalttaten in Dagestan unterdessen zurückgewiesen. Kiew wies vielmehr auf einen tief in Russland verwurzelten Antisemitismus hin, der ein Nährboden für solche Gewaltexzesse sei.
In den vergangenen Monaten sind Vertreter der russischen Führung – darunter auch Putin selbst, wie Russland-Experte Garner noch einmal bekräftigte – immer wieder mit antisemitischen Aussagen aufgefallen, gerichtet unter anderem gegen den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der selbst jüdischer Abstammung ist. (mit dpa)