Was ist typisch deutsch?Endlich nur normal sein

Bunte Mülltonnen werben vor dem Museum für Angewandte Kunst in Köln für die Ausstellung „typisch deutsch?“ von Rolf Sachs.
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Aggressive Autobahndrängler, Besserwisser, Auftrumpfer, Nörgler, Pedanten. Menschen, die sich im Ton vergreifen. Die im Urlaub morgens um 5 Uhr die Strandliege reservieren. Bürokratisch, belehrend, humorlos. Wer fragt, was typisch deutsch ist, bekommt viele Antworten – und wenn wir Deutsche sie selber geben, kommen wir nicht sonderlich gut weg. Unsere Leser jedenfalls haben mit „typisch deutsch“ eine Vielzahl kritischer Assoziationen und Bemerkungen verbunden.
Häufig wird das Ausland als schöner empfunden. Da ist es wärmer, entspannter, freundlicher, großzügiger. Und selbst der Stau ist halb so schlimm. Kunststück – man sieht alles im milden Licht der Urlaubsstimmung. Anders ist es für den, der längere Zeit im Ausland gelebt hat. Dann ist die Fremde zur Heimat und die ursprüngliche Heimat eher zur Fremde geworden. Der Blick auf Deutschland ist dann eher der Blick des Ausländers. Und plötzlich kann man nachvollziehen, warum Deutschland erst kürzlich aus einer internationalen Umfrage als beliebtestes Land der Welt hervorging. Deutschland ist grün. Es ist von Vorteil, dass Züge meist pünktlich fahren, Hotel- oder Mietwagenreservierungen tatsächlich vorliegen und man in der Regel eine nette Antwort bekommt, wenn man nach dem Weg fragt. Deutschland ist geprägt von Kultur und Städten mit klarem Selbstbild, und das ehedem preußisch strenge Berlin gilt sogar unter jungen Israelis als cool, sexy und international.
Was stimmt denn nun? Oder besser: Was stimmt nicht mit uns? Warum klaffen Eigen- und Fremdbild der Deutschen so auseinander? Es gibt Auffälligkeiten und Mutmaßungen. Eine davon geht davon aus, dass die deutsche Vergangenheit und hier der millionenfache Judenmord das Nachdenken und das Gefühl für uns selbst immer noch überschatten. Das ist nur eine Annahme, doch sie erscheint plausibel. Auffällig ist, dass meist nur die anderen „typisch deutsch“ sind. Nicht generös, nicht tolerant, nicht gut gelaunt. Man selber eigentlich nie.
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Von Stamm zu Stamm
Deutschland ist vielfältig. Stadt und Land, Meer und Gebirge und Mentalitäten über Mentalitäten. Den Bayern verbindet mit dem Holsteiner nicht einmal die Sprache. Läge Deutschland in Afrika, wir würden eine Vielzahl von Stämmen beobachten und darüber lachen, wie jeder dieser Stämme in der Politik mitredet. Im eigenen Dialekt, möglichst laut und mit maximalem Selbstbewusstsein.
Mangels eigener Worte hat das Englische Wörter von uns übernommen. „Angst“, „Blitzkrieg“, „Kindergarten“, „Energiewende“ etwa, vielleicht noch „zack, zack“. Das ergibt einen kleinen Kosmos. Aber taugt er, das typisch Deutsche zu erfassen?
Deutsche sind Menschen, die einen Handelnden eher an seiner Absicht und seiner Weltsicht messen denn am Erfolg seiner Taten. Genau deshalb hadern Deutsche – Stichwort „Angst“ – so oft mit der vermaledeiten Wirklichkeit, weil diese sich den guten Absichten ständig in den Weg stellt. Andererseits gilt Angela Merkel als die Person (und Erfolg) gewordene Abkehr von jedem weltanschaulichen Prinzip. Unideologisch, geschmeidig, behutsam einen Fuß vor den anderen setzend. Repräsentantin eines Staates, der die Interessen seiner Bürger bestmöglich zu managen versucht. Politik als Bürger-Service, Politiker als Dienstleister, nicht mehr als Beherrscher der Bürger.
Was ist typisch deutsch? Vielleicht kann das Ausland, vor dem manche sich so fürchten – Stichwort „Sozialtourismus“ –, uns Rat geben? Die anderen mögen uns ja offenbar lieber als wir uns selbst. Ein Detail aus den Fremdwahrnehmungen hilft, zum Ganzen vorzustoßen: Typisch deutsch, sagen viele ausländische Gäste bisweilen überfordert, typisch deutsch sei die Fülle unserer Brotsorten. Wenn aber das Brot als unser besonderes Merkmal gilt, dann sind wir am Ende dort, wo wir uns – verunsichert durch die Vergangenheit – immer hingewünscht haben: in einer Welt, wo das Schlichte am wichtigsten ist, das wir täglich brauchen. Wir befinden uns in der unaufgeregten Brot-und-Butter-Normalität. Typisch deutsch? Ja! Und endlich normal! Eigentlich.