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„Hier bleiben wir nicht lange“Wie sich das Trauma der Vertreibung in Familien vererbt

Lesezeit 12 Minuten
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Mit dem letzten Hab und Gut die Heimat verlassen. Flüchtlinge aus Schlesien. 

Köln – Unter meinem Bett liegt ein Koffer. Er ist aus hellbraunem Leder und hat zwei Schnappschlösser, die schwer zu öffnen sind. In diesem Koffer bewahre ich die Fotoalben meiner Eltern auf und ein kleines Holzkreuz, das meiner Großmutter Josefa gehörte, Landkarten von einem Deutschland, das es in dieser Form nicht mehr gibt, und eine Kladde meines Großvaters Paul mit vergilbten Zeitungsausschnitten: „Geschichtliches und Dokumentarisches von Schlesien“.

Erinnerungen an eine Heimat, die nie die meine war, und aus der ich bei meinem ersten Besuch vor vielen Jahren nach nur drei Tagen wieder abreiste. Dorthin zurückgekehrt bin ich bislang nicht.

Unsere Autorin

Petra Pluwatsch über die Weiberfastnacht

Petra Pluwatsch wurde 1955 in Düren geboren, wo sie auch aufwuchs. Ihre Eltern stammten aus Schlesien und kamen erst Anfang der 1950er Jahre ins Rheinland. Der Rest der Familie folgte wenige Jahre später. Sie selber besuchte die Heimat ihrer Familie Anfang der 2000er-Jahre nur einmal. Petra Pluwatsch studierte in Köln Germanistik und Geschichte und begann 1981 für den Kölner Stadt-Anzeiger zu arbeiten.

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Meine Eltern, meine beiden Großmütter, ein Großvater, meine Tante und ein Onkel verließen Schlesien, bevor ich geboren wurde. Und doch war auch ich ein Pimock, eine Heimatlose aus dem Osten. Eine, die zu Hause Potschen statt Hausschuhe trug und mit einem Nachnamen geschlagen war, den sie bis heute buchstabieren muss. Mein Großvater war Mitglied in der Landsmannschaft Schlesien. Meine Großmutter Josefa buk Mohnkuchen, den sie Mobabe nannte, und schenkte mir zum Geburtstag die Geschichten von Rübezahl, dem Waldgeist aus dem Riesengebirge. Und bei uns in der Diele, über dem Tischchen mit dem cremefarbenen Telefon, hing viele Jahre eine Landkarte von Schlesien, die ich erst kürzlich, nach einem Wasserschaden im Keller, mit schlechtem Gewissen entsorgte. Schon als Kind wusste ich, wo Ratibor (heute Racibórz) und Neiße (Nysa) liegen, und dass auch ich jenseits der Neiße zu Hause war und nicht etwa im rheinischen Düren, wo ich geboren wurde.

Viele Vertriebene sahen ihre Heimat nie wieder

Zwölf bis 14 Millionen Menschen verließen zwischen 1944 und 1950 die Ostgebiete des ehemaligen Deutschen Reiches und die alten Siedlungsgebiete in Ost- und Südosteuropa – Geflüchtete, Vertriebene und Heimatvertriebene, von denen ein Großteil ihre Heimatstädte und -dörfer nie wiedersehen sollte. Sie kamen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Böhmen und Mähren, aus Czernowitz, aus der Batschka, dem Banat und dem Gottscheer Land. Im Gepäck hatten sie neben der Erinnerung an ihr verlorenes Zuhause die Traumata der Wurzellosen. Manche hielten nach Kriegsende noch einige Jahre in der fremd gewordenen Heimat aus, wie meine Eltern, die erst Anfang der 50er Jahre aus dem ehemaligen Oberschlesien ins Rheinland zogen. Der Rest der Familie folgte wenig später. Ihre Trauer um das Verlorene teilten sie mit denen, die schon früher hatten gehen müssen.

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Zwölf bis 14 Millionen Menschen verließen zwischen 1944 und 1950 die Ostgebiete des ehemaligen Deutschen Reiches und die alten Siedlungsgebiete in Ost- und Südosteuropa.

Lange wurde in Ost und West über den Schmerz der Flüchtlinge und Vertriebenen geschwiegen, gehörten doch auch sie zum Tätervolk, auf dessen Schultern die Ermordung von Millionen Menschen lastete. Allein einige wenige regionale Einrichtungen wie das Dokumentations- und Informationszentrum im Haus Schlesien in Heisterbacherrott und rund 1500 – meist westdeutsche – Vertriebenendenkdenkmäler erinnerten an das Schicksal der Betroffenen. „Unsere Haltung zum Leid der Deutschen war und blieb verknüpft mit unserer Haltung gegenüber der Schuld der Deutschen“, fasst der damalige Bundespräsident Joachim Gauck am 20. Juni 2015 das Dilemma der deutschen Erinnerungskultur zusammen. An diesem Tag fand zum ersten Mal ein bundesweiter „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“ statt. „Heimatverlust wurde weitgehend akzeptiert als vermeintlich zwangsläufige Strafe für die Verbrechen von Deutschen“, so Gauck weiter.

Erinnerung an die Nachkriegszeit endlich möglich

Es habe Jahrzehnte gedauert, bis man wieder an das Leid der Deutschen habe erinnern können, eben weil man ihre Schuld nicht länger ausblende. „Endlich ein tieferes Verständnis der Nachgeborenen für das Trauma ihrer vertriebenen Mütter und Väter, endlich ein tieferes Verständnis von Einheimischen für ihre Nachbarn und Freunde, die einst als Flüchtlinge und Vertriebene gekommen sind. Und endlich eine umfassende Erinnerung an Krieg und Nachkrieg, in der Platz ist für Trauer, Schuld und Scham.“

Als sichtbares Zeichen für den erweiterten Blick Deutschlands auf seine jüngste Vergangenheit wurde am 23. Juni 2021 – nach jahrelangen, erbittert geführten Diskussionen – am Anhalter Bahnhof in Berlin das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung eröffnet. Auf rund 1500 Quadratmetern, verteilt auf zwei Etagen, wird erstmals umfassend die Geschichte der Vertreibung der Deutschen dokumentiert und analysiert, wie es zur größten Zwangsumsiedlung in der Geschichte Europas kommen konnte. Das Zentrum schließe eine Lücke in der deutschen Geschichtsaufarbeitung und markiere ein neues Kapitel in unserer Erinnerungspolitik, betont Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Eröffnungsrede die Notwendigkeit, Vergangenes aufzuarbeiten. „Um die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen und um eine gute Zukunft gestalten zu können, müssen wir die Erinnerung an vergangenes Leid wachhalten.“

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Eindruck aus dem Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin

Auch Bernd Fabritius, seit 2014 Präsident des Bundes der Vertriebenen (BdV) und Mitglied im Stiftungsrat des Zentrums, zeigt sich erfreut über den Paradigmenwechsel im Umgang mit dem einstigen Tabuthema. „Es war uns von Anfang an ein Anliegen, die Thematik der Vertreibung der Deutschen in die Gesellschaft zu tragen“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Das Zentrum solle ein Erinnerungsort nicht nur für die Betroffenen selber, sondern für die gesamtdeutsche Gesellschaft sein.

Viele Besucher im Dokumentationszentrum

Am Anhalter Bahnhof ist man zwei Monate nach der Eröffnung hochzufrieden mit der Publikumsresonanz. Man rechne mit 10 000 Besucherinnen und Besuchern pro Monat, sagt Pressesprecherin Sandra Köhler und zieht eine erste Bilanz: Trotz Pandemie und den darauf resultierenden Beschränkungen sei man in den ersten Wochen nur knapp unter dem avisierten Ziel geblieben. Besonders erfreulich: „Unter den Besuchern sind auch viele junge Leute, die sich aus familiären Gründen für das Thema interessieren.“

Bereits im Oktober 1944 begann der große Exodus aus Ostpreußen, Pommern, Brandenburg und Schlesien. Zu Tausenden flohen die Menschen vor den heranrückenden Truppen der Roten Armee über verstopfte Landstraßen und die vereiste Ostsee in die vermeintliche Sicherheit des Westens.

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Seit Oktober 1944  rückte die Rote Armee immer weiter vor. Die Menschen in den Ostgebieten flohen zu Tausenden vor den sich nähernden Truppen.

Der ungeordneten Massenflucht folgte 1945 die gezielte Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung aus den Ostgebieten. Auf der Potsdamer Konferenz im August 1945 wurden von den Siegermächten Großbritannien, der UdSSR und den USA die neuen Staatsgrenzen festgeschrieben und „die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei oder Ungarn zurückgeblieben sind“, beschlossen. Die Ausweisung der Deutschen, so hieß es im Protokoll, sollte in „ordnungsgemäßer und humaner Weise“ erfolgen. „Der sogenannte Bevölkerungstransfer“, kommentiert Joachim Gauck das Abkommen 70 Jahre später mit einem Unterton von Bitterkeit, „erschien auch den alliierten Regierungschefs Churchill, Truman und Stalin als adäquate Antwort auf den Tod und Terror, mit dem Nazi-Deutschland den Kontinent überzogen hatte.“

Aus den Erinnerungen der Mutter

Die Verunsicherung der Deutschen in den betroffenen Gebieten war groß. „Immer wieder ging das Gerücht um, das alle sehr beunruhigte und ängstigte“, schrieb meine Mutter in ihren Erinnerungen, die sie 1985 mit der Schreibmaschine auf festes Büttenpapier tippte. Sie war mit den Eltern und ihrer kleinen Schwester Anfang 1945 vor der näher rückenden Sowjetarmee nach Heinrichsdorf im Sudetenland geflüchtet und nach Kriegsende zurückgekehrt in das zerstörte Neiße. „Wir sollten ausgesiedelt werden. Schlesien verlassen und alles zurücklassen. Eines Tages sahen wir Wagenkolonnen auf der Hauptstraße entlang ziehen, beladen mit Gepäck und weinenden Menschen, eskortiert von polnischer Miliz. Auf unsere Fragen erhielten wir die Antwort, dass man sie innerhalb von Stunden oder noch weniger Zeit aus ihren Häusern und Anwesen gejagt hätte, um sie in Lager zu bringen.“

Auf dem Bahnhof, so die Schilderung meiner Mutter, hätten lange Güterzüge bereitgestanden. „In diese wurden die Deutschen getrieben. Von ihrem Gepäck behielten sie kaum etwas. Es wurde ihnen auf brutalste Art und Weise weggenommen. Diese Züge gingen mit unbekanntem Ziel nach Deutschland. Die Aussiedlung hatte begonnen. Allein diejenigen, die die Polen zum Arbeiten brauchen konnten, durften bleiben.“

Deutsche Familien in Polen nur geduldet

Auch die Familie meiner Mutter wurde in Nysa geduldet, das sich vor ihren Augen in eine polnische Stadt verwandelte. „In der nachfolgenden Zeit wurden alle Straßenschilder, alles und jedes, was in deutscher Sprache beschriftet war, entfernt.“ Meine Mutter wurde mit anderen Deutschen abkommandiert, die ausrangierten Straßenschilder neu zu beschriften. „Ein deutscher Mann schnitt Bleche zurecht, strich sie mit weißer Farbe an, und dann bekam ich sie. Nach einer Aufstellung der polnischen Straßennamen schrieb ich sie säuberlich vor, und die anderen pinselten mit schwarzer Farbe die Schrift aus.“

Eine polnische, ehemals deutsche Firma stellte Großvater Paul und meine Mutter als Ingenieur und technische Zeichnerin ein. Abends besuchten Vater und Tochter Sprachkurse, um sich mit den neuen Kolleginnen und Kollegen verständigen zu können. Meine Tante ging auf eine polnische Schule, wo die Niemka, das deutsche Mädchen, bespuckt und beschimpft wurde. Allein meine Großmutter Charlotte weigerte sich, die Sprache der „Besatzer“ zu lernen.

Nicht willkommen in Westdeutschland

Etwa 3,2 Millionen Menschen verließen Schlesien bis Ende der 40er Jahre. Rund drei Millionen wurden aus dem Sudetenland vertrieben, weitere sieben Millionen aus Ostbrandenburg und Ostpreußen, aus Pommern, Posen, Westpreußen, Danzig und dem Baltikum, aus Jugoslawien, Rumänien und Ungarn. Sie alle trafen auf eine von gänzlich anderen Kriegserfahrungen geprägte Bevölkerung, denen die abgerissenen, von Flucht und Vertreibung gezeichneten Landsleute aus dem Osten alles andere als willkommen waren.

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Aufnahmequoten regelten, wie viele Menschen den einzelnen Besatzungszonen zugewiesen werden durften – mehr als 1,3 Millionen waren es auf dem Gebiet des heutigen NRW, knapp zwei Millionen in Bayern. Dort wurden viele zunächst in Baracken wie zum Beispiel im Wohnlager Allach-Ost untergebracht.

Aufnahmequoten regelten, wie viele Menschen den einzelnen Besatzungszonen zugewiesen werden durften – mehr als 1,3 Millionen waren es allein auf dem Gebiet des heutigen NRW, knapp zwei Millionen in Bayern. Zwangseinquartierungen der „Polacken“, wie man „die aus dem Osten“ abfällig nannte, sorgten bei den Einheimischen für böses Blut. „Freiwillig wurden Flüchtlinge und Vertriebene selten aufgenommen“, erinnert sich der Schriftsteller Günter Grass in seinem autobiografischen Roman „Beim Häuten der Zwiebel“. „Besonders dort, wo keine Schäden sichtbar waren, Haus, Stall und Scheune wie unbekümmert auf Erbrecht fußten, zudem keinem Bauernschädel ein Haar gekrümmt worden war, verweigerte man die Einsicht, den siegreich bejubelten Krieg gemeinsam mit den Geschädigten verloren zu haben.“

Die Integration gelang doch

Und dennoch: Die Integration der Neuankömmlinge in ein geteiltes und kriegswundes Deutschland gelang. In der Bundesrepublik half der wirtschaftliche Aufschwung der 50er Jahre, die materiellen Folgen von Flucht und Vertreibung zu reduzieren. Über die seelischen Wunden sprach man im Familienkreis oder bei den Heimattreffen. In der DDR war jedwede Erinnerung an die verlorenen Ostgebiete, die in den sozialistischen Bruderländern lagen, hingegen tabu. Die Vertriebenen hießen schlicht „Umsiedler“. Bereits 1950 erkannte Ost-Berlin die „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ an.

Die Zugezogenen indes mussten emotionale Schwerstarbeit leisten, um in einem Umfeld, das wenig Verständnis für ihre psychische Befindlichkeit hatte, den Verlust ihres Zuhauses, ihrer Kultur, ihrer Bräuche und Sprache zu verarbeiten. Nicht jeder Mensch kann das. Meine Großmutter Charlotte starb nur wenige Wochen nach ihrem Wegzug aus Neiße, das Nysa zu nennen sie sich bis zuletzt geweigert hatte.

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Weitere Eindruck aus dem Wohnlager Allach-Ost, wo viele Flüchtlinge untergebracht wurden.

„Vertreibung“, definiert BdV-Präsident Bernd Fabritius das Trauma von Millionen Betroffenen, „ist ein brutaler Bruch in der Individualbiografie“. Was hinzukomme – sie belaste auch die Nachfolgegeneration. „Die Kindheit der zweiten Generation wurde entscheidend von dem Verlustempfinden der Eltern und Großeltern und dem abrupten Bruch einer Jahrhunderte alten Familiengeschichte geprägt.“

Auch in meiner Familie wurde oft von einem Zuhause gesprochen, das ich nie kennengelernt hatte und das doch das meine sein sollte. „Hier bleiben wir nicht lange“, pflegte mein Großvater Paul noch Jahre nach dem Umzug ins Rheinland zu sagen. „Das sind hier alle Halbfranzosen. Unsere Heimat ist Neiße.“ Mit uns Enkelinnen sang er das Rübezahl-Lied – „Hohe Tannen weisen die Sterne / An der Isar in schäumender Flut. / Liegt die Heimat auch in weiter Ferne, / Doch du, Rübezahl, hütest sie gut.“ Er nahm uns mit zu den Heimattreffen, wo man uns als „kleine Schlesierinnen“ willkommen hieß, und ließ uns jedes Jahr unter dem Tannenbaum das Weihnachtsgedicht des schlesischen Dichters Joseph von Eichendorff aufsagen: „Markt und Straßen stehn verlassen.“ Bewältigungsstrategien eines Heimatlosen, dessen Herz und Seele in Neiße geblieben waren.

Die Familie passte sich an

Und doch feierten auch wir Karneval, weil man das in der neuen Heimat halt so machte. Der Großvater setzte sich eine Karnevalskappe auf und hob uns für den Fotografen auf seine Knie. Meine Cousine war als Indianerin verkleidet (was damals noch nicht als kulturelle Übergriffigkeit oder gar als Unwort angesehen wurde). Ich trug eine Hawaii-Kette aus künstlichen Blumen um den Hals und in der Hand ein Schirmchen aus Papier. Wir aßen Berliner Ballen mit Marmeladenfüllung, lernten, dass ein Plätzchen etwas zu essen ist, und unser Tonfall nahm, anders als der des Großvaters, nach und nach den Singsang des Rheinischen an. Wohl kein Satz in den Aufzeichnungen meiner Mutter hat mich mehr erstaunt als der, dass Düren ihr eine liebe neue Heimat geworden sei.

Inzwischen sind zwei weitere Generationen nachgewachsen: Rund 27 Millionen Deutsche stammen aus Familien, die damals aus den Ostgebieten flüchteten oder vertrieben wurden – und sie zeigen zur Freude von Bernd Fabritius zunehmend Interesse an der Geschichte und Kultur ihrer Großeltern und Urgroßeltern. Schlesische, ostpreußische oder siebenbürgische Vorfahren zu haben, so der Präsident des BdV, sei ein positives Identitätsmerkmal. Gerade die TikTok-Generation finde es aufregend, in die Trachten der Altvorderen zu schlüpfen und deren Heimat kennenzulernen. „Sie wollen ihre Wurzeln wiederentdecken und sind fasziniert davon, endlich die Höfe zu sehen, die sie nur von Fotos aus dem Familienalbum oder von alten Zeichnungen kannten.“

Aus Fabritius’ Sicht eine große Chance, Vorurteile abzubauen und Brücken zu schlagen in einem Europa, das zunehmend eine Nationalisierung erlebe. Das gelte gerade für Polen. „Ich bin dankbar, dass die heute dort lebenden Deutschen und die aus dem Gebiet der heutigen Republik Polen vertriebenen Deutschen eine sehr gute und freundschaftliche Beziehung auch zu den heute dort lebenden Menschen haben.“

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Nicola Remig, Leiterin des Dokumentations- und Informationszentrums im Haus Schlesien, sieht das ähnlich. Auch sie beobachtet ein wachsendes Interesse der Nachfolgegenerationen am Schicksal der vertriebenen Familienangehörigen (siehe Interview). Unter dem Titel „Oma kommt aus Schlesien“ bietet das Zentrum regelmäßig Seminare „für die Kinder und Enkel der Vertriebenen und alle Interessierten“ an. Die Nachfrage, so Nicola Remig, sei groß, die Resonanz positiv. „Spurensuche ist immer ein Thema. Dann die Frage, wieso bin ich so, wie ich bin. Hängt das vielleicht mit der Familienerfahrung, mit der Entwurzelung der Familie vor vielen Jahrzehnten zusammen?“

Meine Großeltern, meine Eltern, der Onkel und die Tante sind schon vor vielen Jahren gestorben. Geblieben ist ein Koffer unter dem Bett, vollgestopft mit Erinnerungen an eine Kindheit als Pimock. Herr Pimock übrigens ist auch der Name eines Kölner Restaurants mit europäischer Küche. Bisher bin ich noch nicht dort gewesen.