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Inzidenz, Impfung und MutationenWie gefährlich wird die Corona-Winterwelle?

Lesezeit 6 Minuten
corona symbol

Eine Covid-Intensivstation (Symbolbild).

Die Temperaturen sinken, die Infektionszahlen steigen und Deutschland geht in den dritten Corona-Winter. Experten rechnen damit, dass eine neue Corona-Welle auf Deutschland zukommt. Doch wie gefährlich ist das Virus noch? Fünf Fragen und Antworten zur aktuellen Situation, zu Impfungen und Mutationen.

Wie sieht die Corona-Lage aus?

In den letzten Wochen sind die Infektionszahlen stark angestiegen. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz liegt laut Robert-Koch-Institut (RKI) am Montag bei 598,1, und damit deutlich höher als noch vor einer Woche (471,1). In seinem letzten Wochenbericht vom Donnerstag bezifferte das RKI den Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz im Wochenvergleich auf 54 Prozent. Die stärkste Zunahme sei in Bayern zu beobachten, wo die Inzidenz um 86 Prozent höher im Vergleich zur Vorwoche liege. Doch auch in Nordrhein-Westfalen steigen die Zahlen – um 45 Prozent sind die Zahlen mit bevölkerungsstärksten Bundesland im Vergleich zur Vorwoche gestiegen, heißt es in dem Bericht.

Wie ist die Lage in den Krankenhäusern?

Auch die Zahl der Intensivpatienten in deutschen Krankenhäusern steigt stark an. Waren es am vorvergangenen Mittwoch noch 860 Patienten gewesen, stieg die Zahl auf rund 1310 am Mittwoch. Das RKI verweist allerdings auf die schwierige Interpretation der Daten. Zwar würden die Zahlen steigen, allerdings würden „hier auch Fälle mit aufgeführt werden, die aufgrund einer anderen Erkrankung ins Krankenhaus kommen oder intensivmedizinisch behandelt werden müssen und bei denen die Sars-CoV-2-Diagnose nicht im Vordergrund der Erkrankung bzw. Behandlung steht“, schränken die Autorinnen und Autoren ein. Das Problem ist lange bekannt. Doch obwohl seit Monaten Verbesserungen angekündigt werden, besteht es noch immer.

Auch NRW-Gesundheitsminister Laumann verwies mit Blick auf die Zahlen in seinem Bundesland am Donnerstag auf das Problem. „Wir haben 3549 Menschen mit Corona in den Kliniken. Das heißt aber nicht, dass sie wegen Corona dort sind.“ Auf den Intensivstationen liegen 262 Menschen. Von den 6400 Intensivbetten in NRW sind derzeit knapp vier Prozent mit Corona-Patienten belegt.

Wie gefährlich ist das Virus noch?

Fest steht: Die Ausgangslage vor dem dritten Corona-Winter ist eine völlig andere im Vergleich zu den letzten Jahren. Das hat drei Gründe: Erstens steht mit den Impfstoffen ein starkes Werkzeug zur Verfügung. Zweitens ist die Bevölkerungsimmunität durch die vielen Infektionen mittlerweile hoch. Drittens ist die aktuell dominierende Omikron-Variante zwar ansteckender als seine Vorgänger, allerdings weniger tödlich.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach blickt deswegen zuversichtlich auf den Winter. Ende September versicherte er: „Wir werden die Welle im Griff haben, wir werden das besser machen als im vergangenen Herbst", sagte der Minister: „Wir sind besser vorbereitet.“

Er forderte die Länder allerdings dazu auf, die neuen Möglichkeiten des aktualisierten Infektionsschutzgesetzes zu nutzen. Das Gesetz, das seit Oktober in Kraft ist, sieht etwa das Tragen von FFP2-Masken in Bussen und Bahnen, in Kliniken und in Pflegeeinrichtungen vor. Die Länder können aber selbst entscheiden, etwa eine Maskenpflicht in Innenräumen zu beschließen.

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Karl-Josef Laumann sieht vorerst keinen Grund für Verschärfungen. „Wir setzen auf die Eigenverantwortung der Menschen. Sie haben inzwischen sehr viel Erfahrung mit dem Coronavirus. Wenn man positiv ist, sollte man sich zurückhalten und zu Hause bleiben“, sagte er am Donnerstag.

Der Virologe Christian Drosten rechnet derweil mit einer „starken Inzidenzwelle“, wie er im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ sagte. Diese könnte auch dazu führen, dass neue Maßnahmen erlassen werden müssen: „Bevor so viele krank werden, dass man nichts mehr einkaufen kann, dass die Krankenhäuser nicht mehr funktionieren oder kein Polizeibeamter auf der Wache sitzt, muss man Maßnahmen ergreifen.“ Die Politik müsse schon jetzt einen Konsens erarbeiten, „bei welchen Signalen man wie handeln will“.

Viola Priesemann, Physikerin und Mitglied des Corona-Expertenrates der Bundesregierung, veröffentlichte letzte Woche mit anderen Forscherinnen und Forschern eine Modellierung zum Infektionsgeschehen. Auf dieser Grundlage blickt Priesemann „relativ optimistisch“ auf den Winter. Ausschlaggebend sei demnach, welche Virusvariante sich in den kommenden Monaten durchsetzen würde. Die Forscherinnen und Forscher stellten drei Szenarien vor. Im ersten Modell wird vorausgesetzt, dass keine neue Virusvariante dominant wird. Zwar sei dann mit einer Infektionswelle zu rechnen, diese führe aber „wahrscheinlich zu keiner übermäßigen Belastung der Krankenhäuser“.

Im zweiten Szenario nehmen die Forscherinnen und Forscher an, dass sich eine neue Variante durchsetzt, die den Immunschutz teilweise umgeht, aber keine schwereren Krankheitsverläufe auslöst. Bei einer solchen Variante sei mit einer Belastung des Gesundheitssystems zu rechnen, wie bei der Omikron-Welle Anfang 2022.

Im dritten Szenario setzt sich eine Variante durch, die den Immunschutz umgeht und zusätzlich schwerere Krankheitsverläufe verursacht. Die Forscherinnen und Forscher verglichen die Krankheitsschwere mit der Delta-Variante. „In diesem Fall könnten die bisher erreichten Spitzenwerte der Krankenhausbelastung in der Pandemie deutlich überschritten werden.“

Wie wahrscheinlich ist eine neue Mutation?

Viel hängt also davon ab, welche Variante sich in diesem Winter durchsetzt. Wahrscheinlichkeiten für neue Virusvarianten könne man nicht geben, heißt es von den Forscherinnen und Forschern um Viola Priesemann. Noch befinde sich Deutschland aber in Szenario eins. „Aber das kann sich jederzeit ändern. Es gibt genug Virusvarianten-Kandidatinnen.“

Laut Wochenbericht des RKI macht die Omikron-Sublinie BA.5. noch immer 95 bis 97 Prozent der Infektionen in Deutschland aus. Sollte sich eine neue Virusvariante durchsetzen, halten es Expertinnen und Experten für am wahrscheinlichsten, dass sich ein weiterer Subtyp der Omikron-Linie durchsetzen würde.

Immunflucht von BQ1.1 groß

Ein Kandidat könnte die Sublinie BQ1.1 sein. Cornelius Römer, Forscher am Biozentrum der Universität Basel, gab auf Twitter die Einschätzung ab, dass diese Variante bis Ende November in Europa und Nordamerika eine Infektionswelle verursachen würde. Er stützt sich dabei auf die schnelle Zunahme der Sequenzen in kurzer Zeit. Auch Lauterbach folgt dieser Einschätzung.

Die Immunflucht der Mutation sei so groß, dass auch eine Impfung eine Infektion kaum verhindern könne. „Da hat eine Impfung aller Voraussicht nach wenig Erfolg. Ich bin aber bereits mit den Impfstoffherstellern in Kontakt, um eine weitere Impfstoff-Anpassung in Auftrag zu geben“, so Lauterbach.

Für wen ist eine Impfung jetzt sinnvoll?

Im September haben drei weitere Corona-Impfstoffe in der EU die Zulassung erhalten: zwei Impfstoffe, die an die Subvariante BA.1 angepasst sind, sowie ein weiterer Omikron-Booster der gegen die dominierenden Subvarianten BA.4 und BA.5 schützen soll.

Laut RKI hat mittlerweile jeder zehnte Deutsche eine vierte Impfung erhalten. Es scheint aber, dass die Impfbereitschaft nicht so stark ausgeprägt ist, wie noch in den letzten Jahren. Das stellt etwa der Kölner Impfarzt Jürgen Zastrow fest: „Früher hätten wir gedacht: neuer Impfstoff, super.“ In der Realität sei es derzeit so, dass die Ärzte in Köln Probleme hätten, überhaupt sieben bis zehn Menschen zu einem Termin innerhalb von fünf Stunden zusammenzubringen, um eine Ampulle zu verimpfen, sagte er dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt bei Auffrischungsimpfungen auf die neuen Vakzine zurückzugreifen, dabei soll ein Mindestabstand von sechs Monaten eingehalten werden. Eine vierte Impfung empfiehlt die Stiko Menschen ab 60 Jahren, medizinischem Personal, Pflegeheimbewohnern, und Menschen unter 60, die eine Immunschwäche haben. Lauterbach empfahl zuletzt allen Menschen, sich eine zweite Auffrischungsimpfung zu holen. Davon sei der Gesundheitsminister mittlerweile allerdings abgerückt, sagte Stiko-Chef Thomas Mertens Ende letzter Woche. Das Argument, es könne nicht schaden, sei keine ausreichende Indikation.