Rund 60 Stroke-Units in NRW versorgen Schlaganfall-Patienten auf weltweit führendem Niveau. Bei der Nachsorge allerdings hakt es noch. Ein Interview.
Bonner Chefarzt warnt„Wir haben immer mehr Schlaganfälle – und ein soziales Problem“
Herr Professor Dohmen, in der Notfallversorgung nach Schlaganfall gilt Deutschland mit 320 Stroke-Units als weltweit führend. Wie gut ist NRW aufgestellt?
Christian Dohmen: Sehr gut. In NRW gibt es rund 60 Stroke-Units. Wir haben hier kaum strukturarme Gegenden, die meisten Menschen können innerhalb von einer halben Stunde eine Stroke-Unit erreichen. Kritisch wird es nur, wenn in einer Region mehrere der Kliniken mit Stroke-Unit voll belegt sind. Dann müssen auch mal internistische Kliniken zur Erstversorgung angefahren werden.
Wird die Krankenhausreform das Angebot verschlechtern?
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Das sehe ich nicht kommen. Im Gegenteil. Der politische Wille ist ja, dass zertifizierte Spezialzentren gestärkt werden. Und genau solche sind Stroke-Units. Allerdings müssten die bestehenden Zentren dann vielerorts erweitert werden, damit künftig auch tatsächlich alle Schlaganfall-Patienten auf einer Stroke-Unit behandelt werden können.
Akutversorgung von Menschen mit Schlaganfall hat sich verbessert
Hat sich in der Akutversorgung der Patienten in den vergangenen Jahren und Monaten etwa verbessert?
Auf jeden Fall. Wenn ein Patient zu uns kommt, ist die erste Maßnahme die Lyse. Dabei wird ein Medikament gespritzt, das die Gerinnung auflösen soll. Früher konnten wir das innerhalb von viereinhalb Stunden erfolgreich tun. Heute erlauben spezielle bildgebende Verfahren, dass wir noch rettbares Hirngewebe auch bis zu neun Stunden nach dem Schlaganfall noch ausfindig machen und durch die Lyse wieder zugänglich machen können. Die Thrombektomie, bei der man mittels Katheter über die Leiste ins Gehirn gelangt und dort das Gerinnsel entfernt, ist sogar bis zu 24 Stunden lang aussichtsreich möglich.
Schlaganfall ist ein Notfall, in der Folge aber auch eine chronische Erkrankung. Wie sieht es in der Nachsorge aus?
Da hakt es leider etwas. Wenn der Patient nach der Reha nach Hause kommt, hat er oft zu wenige Informationen, wo er Hilfe bekommt, an wen er sich wenden kann, welche Angebote es bei ihm vor Ort gibt. Auf einen Termin bei einem niedergelassenen Neurologen muss man häufig lange warten. Eine Lösung könnten ehrenamtliche Schlaganfalllotsen sein, die in diesen Fällen die Erstinformation und Vermittlung übernehmen. Die gibt es in NRW bislang aber kaum. Sie müssen erst ausgebildet werden. Die Idee ist, dass Träger wie Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz aber auch Vereine auf Anregung der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe die Ausbildung und solcher Lotsen bezahlen.
Chefarzt: Krankenkassen könnten Motivation zu gesunder Lebensführung erhöhen
Gibt es neue Therapiemöglichkeiten?
Spannend ist die Entwicklung, bei der das Gehirn nach einem Schlaganfall zur Verbesserung der Rehabilitation mittels Gleichstrom oder Magnet stimuliert wird. Die Forschung hierzu ist vielversprechend, für einen standardisierten Einsatz dieser Therapien ist es aber noch zu früh.
90 Prozent aller Schlaganfälle gehen auf behandelbare Vorerkrankungen zurück. Läuft die Prävention da gut?
Insgesamt sind die Leute fitter geworden. Sie rauchen weniger und treiben mehr Sport. Das ist gut. Die Motivation dazu könnte von den Krankenkassen aber durch Prämien noch deutlich erhöht werden. Wer Schlaganfälle verhindert, verhindert viel Leid. Er handelt aber auch im Sinne der Volkswirtschaft. Ein Schlaganfall kostet die Krankenkassen schon in Krankenhaus und Reha zigtausend Euro, die dauerhaften Pflegekosten noch nicht eingerechnet. Da würde sich ein Präventionsprojekt lohnen.
Sinkt denn die Zahl derer, die einen Schlaganfall haben?
Insgesamt leider nicht. Da die Menschen immer älter werden, gibt auch immer mehr Schlaganfälle. Außerdem haben wir auch beim Schlaganfall ein soziales Problem. Gerade Menschen mit wenig Geld leben zuweilen ungesünder, zum Teil können sie sich das gesunde Leben gar nicht leisten. Studien haben zum Beispiel auch belegt, dass die Feinstaubbelastung das Schlaganfallrisiko erhöht. Menschen in ungünstigen Wohngegenden an Hauptstraßen sind also gefährdeter.
Im Bonner Aphasie-Zentrum gibt es einen Chor für Menschen mit neurologischen und insbesondere sprachlichen Beeinträchtigungen. Wie sinnvoll ist Singen für Betroffene?
Das Sprachzentrum sitzt bei den meisten Menschen in der linken Gehirnhälfte. Musische Fähigkeiten sind eher rechts verankert. Deshalb können auch Menschen mit einer Aphasie häufig noch gut singen. Neben dem Übungseffekt macht Singen in der Gruppe und gerade mit anderen Betroffenen aber auch einfach Spaß und stellt ein Stück Normalität her.
Christian Dohmen ist Professor und Chefarzt der Abteilung Neurologie und neurologische Intensivmedizin an der LVR-Klinik Bonn und Beauftragter der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe.