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Debatte über solares GeoengineeringUnd was, wenn wir einfach die Sonne dimmen …?

Lesezeit 10 Minuten
dpatopbilder - 23.10.2024, Nordrhein-Westfalen, Köln: Die Abendsonne geht zwischen den Türmen am Dom unter, während ein Paar den Abend genießt. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Solares Geoengineering ist ein künstlicher Eingriff ins Erdsystem, um die Sonneneinstrahlung zu minimieren. (Symbolbild)

Die Sonne dimmen, um die Klimakrise zu stoppen – was nach Science-Fiction klingt, wird in den USA tatsächlich erforscht. Das sogenannte solare Geoengineering ist jedoch umstritten.

In ein paar Minuten wird Luke Iseman zum ersten Mal die Sonne dimmen. Es ist Anfang Februar 2022. Der Gründer des Start‑ups Make Sunsets – schwarzer Irokesenschnitt, schmale schwarze Brille – steht auf einer eingezäunten Weidefläche inmitten einer kargen, hügeligen Landschaft, irgendwo in den USA. Zu seinen Füßen liegt eine große Heliumflasche.

„Seid ihr bereit?“, fragt er seinen Make Sunsets-Mitgründer Andrew Song und die Kameracrew, die ihn filmt. „Ja“, kommt es einstimmig zurück. Also lässt Iseman den weißen Wetterballon, den er die ganze Zeit in der rechten Hand gehalten hat, los. Der Ballon schwebt immer höher, bis er im Dunkelblau des Abendhimmels verschwindet.

Zu sehen ist die Aktion in einem Video, das die Firma beim Videoportal Youtube hochgeladen hat. Es soll den historischen Moment festhalten, als die Erde erstmals mithilfe eines Wetterballons gekühlt wurde. Denn in dem Ballon steckt neben Helium auch Schwefeldioxid. Sobald der Ballon die Stratosphäre erreicht, platzt er und das gasförmige Schwefeldioxid breitet sich aus. Es bilden sich künstliche Wolken, die die Sonnenstrahlen reflektieren sollen, sodass sich die Erde nicht weiter erwärmt.

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Aus Science-Fiction wird Wirklichkeit

Das, was Iseman und Song machen, trägt in der Wissenschaft den Namen: solares Geoengineering. Ein künstlicher Eingriff ins Erdsystem, um die Sonneneinstrahlung zu minimieren und die globale Erwärmung zu stoppen.

„Ich habe es buchstäblich aus der Science-Fiction übernommen“
Luke Iseman

„Ich habe es buchstäblich aus der Science-Fiction übernommen“, erzählt Iseman im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Neal Stephensons Roman „Termination Shock“, in dem ein texanischer Milliardär den Klimawandel mithilfe einer Schwefelkanone stoppen will, ist es, was den Start‑up-Gründer inspirierte. „Je mehr ich darüber recherchierte, desto faszinierter wurde ich.“

90 Wetterballons hat Make Sunsets bisher aufsteigen lassen – der größte enthielt drei Kilogramm Schwefeldioxid. Was mit einem Ballon anfing, ist inzwischen ein eigenes Geschäftsmodell geworden: Menschen können für 10 US‑Dollar sogenannte Cooling Credits erwerben. Ein Cooling Credit – also eine Art Gutschein – steht für mindestens ein Gramm Schwefeldioxid, das eine Tonne Kohlenstoffdioxid-(CO₂-)Emissionen ein Jahr lang ausgleichen soll, rechnet Iseman vor.

So die Theorie. Den genauen Kühlungseffekt kennen die Make-Sunsets-Gründer nicht. Trotzdem sagt Iseman ganz selbstbewusst: „Wir schaffen in diesem Jahr mehr Abkühlung als fast jede Umweltinitiative.“

Wie man noch die Sonne dimmen könnte

Diese sogenannte Stratosphärische Aerosolinjektion ist nur eine Form des solaren Geoengineerings. Ein anderer Ansatz, der diskutiert wird, ist, ein großes Sonnensegel im All aufzuspannen, das Sonnenstrahlen reflektiert. Das wird zurzeit aber tatsächlich als Science-Fiction gehandelt.

Umsetzbarer wäre das Cirrus Cloud Thinning: Die Idee ist, Zirruswolken, die die Erdstrahlung absorbieren und dadurch einen erwärmenden Effekt auf das Klima haben, aufzulösen oder auszudünnen. So könnte mehr Wärme in den Weltraum entweichen. „Wie und ob das funktionieren würde, ist schwierig zu sagen“, sagt Blaz Gasparini, der am Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Wien zu Geoengineering-Maßnahmen forscht. Zumindest in einigen Computermodellen habe das Cirrus Cloud Thinning einen Kühlungseffekt gezeigt – wenn auch nur einen geringfügigen.

24.10.2024, Niedersachsen, Hannover: Die aufgehende Sonne illuminiert eine Bank in den Herrenhäuser Gärten. Foto: Alicia Windzio/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bisher ist die Anzahl der Menschen, die zu solarem Geoengineering forschen, noch sehr gering. Ein Großteil der Forschung findet derzeit in den USA statt.

Ein anderer Ansatz wäre das Marine Cloud Brightening. Das heißt, Wolken über den Meeren werden künstlich erzeugt beziehungsweise aufgehellt, damit sie mehr Sonnenstrahlen reflektieren. Hierzu gab es bereits kleine Freilandexperimente, zum Beispiel über australischen Korallenriffen. „Das sollte funktionieren“, sagt Gasparini. „Allerdings ist der Abkühlungseffekt noch ungewiss.“

Vulkanausbrüche machen es vor

Bisher ist die Anzahl der Menschen, die zu solarem Geoengineering forschen, noch sehr gering. Ein Großteil der Forschung findet derzeit in den USA statt. Dort fokussiert man sich vor allem darauf, die Sonne mithilfe von Schwefeldioxid zu dimmen. „Man versucht, das nachzuahmen, was manchmal bei großen Vulkaneruptionen passiert“, sagt Gasparini.

Einer dieser Vulkanausbrüche, der die Geoengineering-Forschung inspirierte, ereignete sich 1991 auf den Philippinen. Als der Pinatubo damals ausbrach, schleuderte er Unmengen an Schwefeldioxid bis in 40 Kilometer Höhe, mitten in die Stratosphäre. Dort bildete sich ein Dunstschleier aus Schwebeteilchen, der um die Erde zog und dafür sorgte, dass ein Jahr nach dem Ausbruch die globale Durchschnittstemperatur um 0,5 Grad Celsius sank.

„Den größten Abkühlungseffekt hätte diese Methode, wenn wir sie in den Tropen durchführen würden.“
Blaz Gasparini

Um diesen Effekt zu imitieren, dürften Wetterballons nicht ausreichen. Es bräuchte Flugzeuge, die rund um die Uhr in die Stratosphäre fliegen, um dort das Schwefeldioxid zu verteilen, erklärt Gasparini. „Den größten Abkühlungseffekt hätte diese Methode, wenn wir sie in den Tropen durchführen würden.“ Winde, die dort vorherrschen, könnten das Gas gleichmäßig in der Stratosphäre verteilen.

Zeit für CO₂‑Emissionssenkungen schaffen

Das solare Geoengineering ist deshalb für einige Forschende so interessant, weil es einen schnellen Effekt hätte. In der Theorie sieht der ideale Einsatz wie folgt aus: Man bringt zunächst kleine, dann immer größer werdende Mengen an Schwefeldioxid in die Stratosphäre ein. Dort bildet sich ein Schleier aus kleinen Partikeln – den Schwefelaerosolen –, die Sonnenstrahlen reflektieren. Das verhindert, dass sich die Erde weiter erwärmt.

Gleichzeitig verschafft man den Ländern Zeit, damit sie ihre CO₂‑Emissionen reduzieren können. Sobald das Ziel netto null erreicht ist – also alle Treibhausgas-Emissionen so weit wie möglich reduziert und restliche Emissionen aus der Atmosphäre entfernt wurden –, kann der Schwefeldioxid-Eintrag beendet werden. Die Klimakrise ist vorbei.

Es klingt zu schön, um wahr zu sein. Dass solares Geoengineering wirksam gegen den Temperaturanstieg wäre, zu diesem Ergebnis kommt auch der Weltklimarat. Allerdings würde solares Geoengineering nicht allen Auswirkungen des Klimawandels entgegenwirken. Dass die Ozeane durch hohe CO₂‑Emissionen saurer werden, kann ein Dunstschleier im Weltraum zum Beispiel nicht verhindern.

Wenn Aspirin zu Morphium wird

„Solares Geoengineering ist keine Lösung für das Klimaproblem“, stellt Gasparini klar. „Wir verschieben das Problem dadurch in die Zukunft. Das ist wie mehr Aspirin nehmen, wenn man erkältet ist. Dann fühlt man sich zwar kurzzeitig besser, aber die Erkältung, also das eigentliche Problem, bleibt bestehen.“ Solares Geoengineering allein, ohne die Treibhausgas-Emissionen zu senken, werde nicht funktionieren.

Doch genau das ist eins der großen Bedenken: Dass einige Länder solares Geoengineering als Ausrede nutzen, um ihre Treibhausgas-Emissionen nicht zu reduzieren. „Dann wird aus dem Aspirin schnell ein Morphium“, führt Gasparini weiter aus. Denn mehr Treibhausgas-Emissionen würden mehr Schwefeldioxideintrag bedeuten – und somit vielleicht mehr unerwartete Nebeneffekte.

Welche Risiken diskutiert werden

„Es gibt eine Menge, was wir noch nicht über solares Geoengineering wissen“, sagt Joshua Horton. Er leitet das Solar Geoengineering Research Program an der US‑amerikanischen Universität Harvard. Das Forschungsprogramm hat sich zum Ziel gesetzt, Wissen über solares Geoengineering zu generieren und Unsicherheiten abzubauen. Horton und sein Team simulieren zum Beispiel den Effekt von solaren Geoengineering-Maßnahmen in Computermodellen.

„Solares Geoengineering heute einzusetzen, wäre töricht und unklug“, mahnt Horton. „Es braucht einfach mehr Forschung dazu.“ So sei zum Beispiel noch unklar, inwiefern sich solares Geoengineering auf regionale Niederschlagsmuster und Klimata, insbesondere den Monsun, auswirken würde. Das könnte Folgen für Ökosysteme und die Landwirtschaft haben.

Auch deuten Studien darauf hin, dass Schwefeldioxid mit Ozon reagiert. Die Ozonschicht könnte Schaden nehmen und mehr UV‑Strahlung zur Erde gelangen – was zum Beispiel das Hautkrebsrisiko erhöht. Zudem habe solares Geoengineering nur einen „begrenzten Wirkungsraum“, gibt das Umweltbundesamt (Uba) zu bedenken. Es wirke nur auf der Seite der Erde, auf der gerade Tag ist. Und der Kühlungseffekt würde nicht gleichmäßig auftreten: „In einer Region würde die Erwärmung weitergehen, während es andernorts zur Überkühlung käme.“

Und noch etwas gilt es zu berücksichtigen: Solares Geoengineering dürfte nicht beendet werden, solange die CO₂‑Konzentration in der Luft noch hoch ist. Denn sonst droht ein sogenannter Termination Shock. Die Erderwärmung würde sprunghaft zunehmen, was „eine Anpassung von Menschen, Tieren und Pflanzen schwer bis unmöglich machen könnte“, erklärt das Uba. Deshalb müssten die Geoengineering-Maßnahmen viele Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar eher Jahrhunderte aufrechterhalten werden. Was das kosten würde, ist noch unklar.

Was ist schlimmer: Geoengineering oder der Klimawandel?

„Solares Geoengineering bringt viele Dilemmata mit sich“, räumt Harvard-Forscher Horton ein. Für ihn sind die Risiken jedoch kein Grund, solares Geoengineering zu verwerfen. „Es wird auch Risiken und Nachteile geben, aber es würde mehr Vorteile bringen, wenn man die schlimmsten Folgen des Klimawandels vermeiden möchte.“

Es ist eine Risiko-Risiko-Abwägung: Was verursacht mehr Schaden? Der Klimawandel, der wohl unzählige Menschen heimatlos und arm machen wird, sie sogar tötet? Oder das noch so gut wie unerforschte und wenig verstandene solare Geoengineering?

Um das herauszufinden, gibt es eigentlich nur eine Option: Man müsste solare Geoengineering-Maßnahmen in großem Stil anwenden. Doch genau das will Aarti Gupta unbedingt verhindern. Sie ist Professorin für globale Umweltgovernance an der niederländischen Universität Wageningen. 2022 hat sie zusammen mit anderen Forschenden eine Publikation im Fachmagazin „Wires Climate Change“ veröffentlicht, in der sie sich für ein internationales „Non-Use Agreement“ für solares Geoengineering ausspricht – also ein Nichtverwendungsabkommen.

„Wir wissen, dass eine Technologie, die einmal entwickelt ist, auch eingesetzt wird“, sagt Gupta. „Wir wollen nicht, dass es so weit kommt.“ Deshalb plädieren die Fachleute in ihrem Aufsatz dafür, erst gar nicht die Forschung zu solarem Geoengineering, die mit der Technologieentwicklung verbunden ist, voranzutreiben, geschweige denn finanziell zu fördern. Denn dann sei das Risiko größer, dass solares Geoengineering irgendwann als künftige politische Option normalisiert werde.

Governance-Strukturen fehlen

Gar nicht mehr zum solaren Geoengineering zu forschen, hält Gasparini für den falschen Weg. „Wenn wir jetzt sagen, wir machen keine Forschung mehr, nimmt uns das vielleicht jemand aus der Industrie weg und setzt es rücksichtlos um“, gibt er zu bedenken. Dann könnten zum Beispiel immer mehr Unternehmen wie Make Sunsets solares Geoengineering monetarisieren. „Das dürfen wir nicht erlauben.“

Der Forscher appelliert deshalb, klare Regeln zu schaffen. Zum Beispiel in Form eines Moratoriums, also einer Vereinbarung darüber, dass der Einsatz von solarem Geoengineering für eine gewisse Zeit aufgeschoben wird. Doch wer entscheidet über ein solches Moratorium?

Bisher gibt es keine Governance-Strukturen für solares Geoengineering. Es gibt niemanden, der darüber entscheiden könnte, wann diese Technik eingesetzt wird. Niemanden, der bestimmen könnte, wie viel Schwefeldioxid man nimmt, um die Erde langfristig zu kühlen, wann man mit dem Eintrag aufhört und was passiert, wenn doch Schäden auftreten.

„Wenn diese Technologie entwickelt werden sollte, ist unsere Sorge, dass sie niemals global auf faire und integrative Weise geregelt werden könnte“, warnt Gupta. „Wir glauben auch nicht, dass eine solche globale Steuerung überhaupt möglich ist. Schließlich leben wir in einer Welt voller geopolitischer Spannungen und Ungleichheiten. Wir werden nicht in der Lage sein, vernünftig zusammenzukommen und Entscheidungen zu treffen.“ Im schlechtesten Fall könnte das solare Geoengineering sogar weitere Konflikte verursachen.

Geoengineering stößt auf Widerstand

Für Gupta steht fest: „Die einzige Möglichkeit, künftig Klimaauswirkungen zu verringern, besteht darin, die Emissionen zu reduzieren. Das ist der einzige Weg, der sicher ist. Alles, was dies hinauszögert, verschlimmert die Klimaauswirkungen in der Zukunft und überlässt die Bewältigung dieser Auswirkungen den künftigen Generationen.“

Dass die Weltgemeinschaft in naher Zukunft ihre Treibhausgas-Emissionen radikal senken wird, hält Make-Sunsets-Gründer Iseman längst nicht mehr für realistisch. Er will trotz aller Bedenken an seinem Weg, die Erde zu kühlen, festhalten: „Unsere Aufgabe ist es, mit zunehmender Dringlichkeit – da wir weiterhin praktisch nichts gegen die Klimakrise unternehmen – aktiver und extremer in unseren Lösungsvorschlägen zu werden.“

Dieses Vorgehen gefällt allerdings nicht jedem: Nachdem Make Sunsets ohne Zustimmung Wetterballons in Mexiko hatte starten lassen, reagierte die mexikanische Regierung im vergangenen Jahr mit einem Verbot von Solar-Geoengineering-Experimenten. Auch die Forschenden in Harvard hatten ihr Scopex-Wetterballon-Experimente nach mehrfachen Verzögerungen und öffentlicher Kritik in diesem Frühjahr einstellen müssen.

Trotz der bisherigen Widerstände gegen solare Geoengineering-Maßnahmen ist Iseman überzeugt, dass die Technologie irgendwann zum Kampf gegen die Klimakrise dazugehören wird. „Es würde mich wundern, wenn das nicht der Fall wäre“, sagt er. Wenn es so weit sein sollte, ist jedoch klar: Das Klima, das vorherrschte, bevor sich die Erde erwärmte, wird das solare Geoengineering nicht mehr zurückbringen. Es würde eine neue Art von Klima sein. Eines, das wir heute noch nicht vorhersagen können.