Schluss mit der Hetze: Langsames Laufen und stetiges Gehen liegen als Fitnessübungen im Trend. Was bringt das seichte Training? Eine Sportwissenschaftlerin erklärt das Workout.
12-3-30-Workout im TrendFitness ohne extreme Belastung – Wie gesund ist Slow Cardio?
Eigentlich sei sie ungern ins Fitnessstudio gegangen, erklärt die US-Influencerin Lauren Giraldo in einem Youtube-Video. Die Geräte hätten sie nervös gemacht, genauso wie die eigenen Ansprüche. Doch die 26-Jährige mit einer Millionen Instagram-Followerinnen und -Followern hatte eine Idee: langsam machen.
Damit „erfand“ sie 2020 einen Trend, der immer mehr Anhänger gewinnt: Das 12-3-30-Workout. Die besondere Version einer Trainingsart, die ohnehin seit Längerem beliebt und unter vielen Namen bekannt ist: „Slow Cardio“, „Slow Running“ oder „Low Impact Cardio“. Was steckt hinter diesem Ansatz? Für wen eignet er sich und wie gesund ist er?
Was ist Cardio-Training?
Neben Kraftübungen zählt Ausdauersport zu den wichtigsten Trainingsarten. Letzterer wird aufgrund seiner Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System auch „Cardio-Training“ genannt. Gemeint ist das Herz-Kreislauf-System – vom altgriechischen „kardia“ für „Herz“ und lateinisch „vasculum“ für „kleine (Blut-)Gefäße“.
Regelmäßiges Ausdauertraining – wie Schwimmen, Joggen, Tanzen oder Wandern – sorgt für bessere Durchblutung und kräftigeren Atem, erhöht die Konzentrationsfähigkeit und das psychische Wohlbefinden, reduziert Körperfett und stärkt das Immunsystem. Am gesündesten, erklärt Christine Joisten, Professorin für Bewegungs- und Neurowissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln, sei die Kombination von Ausdauer- und Kraftsport oder Hybridtraining wie Seilspringen.
Was zählt zu Slow Cardio?
Gestaltet man sein Ausdauertraining derart, dass keine intensive aber dafür eine stetige Belastung besteht, so betreibt man Slow Cardio. Wenn es möglich ist, sich während der Partie auf dem Laufband noch mit dem Nebenläufer oder der Nebenläuferin zu unterhalten, sei man dafür in der richtigen Geschwindigkeit unterwegs.
Ist man dabei lieber für sich, kann man sich auch dem Podcast, einer Lieblingsserie oder – wie Influencerin Lauren Giraldo – Hörbüchern und Youtube-Videos widmen, während man unentwegt leicht vor sich hin trabt oder geht.
Was ist das 12-3-30-Workout?
Das 12-3-30-Workout gehört derzeit zu den berühmtesten Fitnesstrends und erreicht bei Tiktok unter dem Hashtag „12330workout“ mehr als 350 Millionen Menschen. Hinter den Ziffern verstecken sich die Angaben zu Steigung, Geschwindigkeit und Dauer der Laufübung. Auf 12 Prozent soll die Steigung des Laufbandes eingestellt werden. Drei Meilen (also knapp fünf Kilometer) pro Stunde gibt die Geschwindigkeit an, die man 30 Minuten lang durchhalten soll.
Fünfmal die Woche absolviere Giraldo dieses Training, das ihr geholfen habe – bei salatreicher Diät – unliebsame Pfunde zu verlieren: 20 bis 30 Pfund, also neun bis 13 Kilogramm habe sie auf ihrer „Weight Loss Journey“ abgenommen. Und wer seinen Po straffen möchte, so empfiehlt die Influencerin, solle zwischendurch einfach mal rückwärts gehen.
Wie sinnvoll ist das 12-3-30-Workout wirklich?
Aus Sicht der Sportmedizinerin Christine Joisten hat das trendige Workout vor allem einen großen Nutzen: „Es klingt cool und scheint viele Menschen auf die Laufbänder zu bringen.“ Eine zwölfprozentige Steigung sei dabei recht steil, denn für gewöhnlich starte man bei einem Prozent.
In der Kombination mit dem etwas schnelleren Gehtempo und der Dauer macht aber gerade diese Steigung den Unterschied: „Eine halbe Stunde lang fünf Kilometer pro Stunde gehen, ist für viele kaum eine Herausforderung, genauso wenig, wie kurz eine leichte Steigung hinaufzuwandern.“
Doch zusammengenommen wirke es, weil die Steigung den Kraftaspekt dazu nehme, während die Dauer und das Tempo die Ausdauer stärken. Allerdings müsse man die Werte auch nicht streng befolgen: „Eine Steigung von 11 oder 13 Prozent würden es auch tun“, sagt Joisten.
Entscheidend sei aber eines: Hinterher müsse man sich dehnen. „Wer schon mal einen Berg hochgewandert ist, kennt das Gefühl, dass sich die Muskeln verkürzen, was immer die Gefahr ist, wenn man langanhaltender Steigung ausgesetzt ist.“
Ob es wirklich den Po strafft, die Übung rückwärts auszuführen, da will sich die Sportmedizinerin nicht festlegen. Ausschließen will sie es nicht. „Ich hätte dabei allerdings vor allem die Angst, das Gleichgewicht zu verlieren.“
Ist Slow Cardio gesünder als Joggen oder schnelles Laufen?
Die WHO empfiehlt Erwachsenen mindestens 150 bis 300 Minuten moderate Ausdauerübungen oder 75 bis 150 Minuten intensive körperliche Belastungen pro Woche. Joisten sieht keinen Grund, das eine besser zu bewerten als das andere: „Über längere Zeit betrachtet, fördern Slow Cardio und intensivere Übungen wie das Hochintensive Intervalltraining (HIIT) die Gesundheit auf etwa gleiche Weise.“
Für wen eignet sich Slow Cardio besonders?
Wer Kniebeschwerden hat, oder sogar Grunderkrankungen, für den ist es wichtig, „langsam anzufangen“, betont die Sportmedizinerin. Slow Cardio bietet sich hier besonders an und wer es mit der 12-3-30-Methode probieren möchte, der solle vor allem die Steigung niedriger stellen.
Nicht zuletzt der psychologische Effekt spricht für das moderate Training: Wer sich zum Gang ins Fitnessstudio erst lange überwinden muss, dem bietet Slow Cardio ein niedrigschwelliges Angebot. Denn in einer Zeit, in der wir neun Stunden täglich mit Sitzen verbringen, gilt nach Joisten vor allem eins: „Hauptsache bewegen!“ Die Sportmedizinerin empfiehlt auf der Instagram-Seite „GesundToGo“ auch „Exercise Snacks“, kleine Bewegungseinheiten, wie Treppensprints, schnelles Gehen und Hampelmänner, die man in den stressigen Alltag integrieren könne.
Kann ich auch einfach spazieren gehen?
Bei leichter Steigung eine halbe Stunde auf dem Laufband gehen? Manch einer stellt sich da die Frage: „Kann ich dann nicht einfach gleich eine Runde spazieren gehen?“ Joistens Antwort ist eindeutig: „Ja.“ Vor allem, wenn das Gelände ein wenig steil oder die eine oder andere Treppe Teil des Weges ist, können für die Gesundheit dieselben Effekte erzielt werden.
„Für gewöhnlich geht man rund 1000 Schritte in zehn Minuten“, sagt die Sportmedizinerin. Sie empfiehlt, dieselbe Anzahl Schritte in sechs Minuten zu gehen, um dem Körper etwas Gutes zu tun. Und sie verweist auf eine Studie mit scherzhaftem Titel aber ernstem Ergebnis: „Wie schnell geht der Sensenmann?“ („How fast does the Grim Reaper walk?“), fragten sich Fiona F. Stanaway und ihr Team. Sie untersuchten die Gehgeschwindigkeit von Männern ab 70 Jahren und glichen sie über Jahre mit ihrer Sterberate ab.
Ihr Ergebnis erschien 2011 im „British Medical Journal“ (BMJ) und gab die Antwort: rund drei Kilometer pro Stunde. Macht man also einen raschen Spaziergang im Tempo der 12-3-30-Methode – so kann man aus der Studie schlussfolgern –, könnte man das eigene Lebensende vielleicht noch ein wenig herauszögern.
Wie viele Kalorien werden beim Slow Cardio verbrannt?
110 Kalorien bei einer halben Stunde Spazieren, 200 Kalorien beim Nordic Walking und 200 bis 300 bei der 12-3-30 Methode. Derlei Angaben findet man zum Beispiel auf den Internetseiten von „Women’s Health“, „Für Sie“ oder „Fitbook“.
Sportmedizinerin Joisten sieht derart pauschale Angaben skeptisch. Die verlässlichsten Daten zum Kalorienverbrauch stünden im „Kompendium der körperlichen Aktivitäten“, seit 1993 herausgegeben von der US-amerikanischen Forscherin Barbara Ainsworth. Demnach würde man beim Spazieren mit 4,5 Kilometern pro Stunde einen Verbrauch von etwa vier Kilokalorien pro Minute erreichen.
„Bei einer halben Stunde Gehen würde dies 120 Kilokalorien bedeuten, mit Steigung vermutlich mehr“, sagt Joisten. Allerdings müsse man hier – wie oft bei solchen Angaben – das Gewicht miteinbeziehen. Mit 60 Kilogramm verbrennt man bei jeder körperlichen Aktivität weniger Kalorien als mit 90.
„Geht eine Frau mit 55 Jahren und 60 Kilogramm Gewicht eine halbe Stunde lang spazieren, verbrennt sie nicht 120 Kilokalorien, sondern knapp 90.“ Das entspricht weniger als 20 Gramm dunkler Schokolade, also nicht sonderlich viel. Doch das allein sei nicht entscheidend, sagt Joisten: „Es ist besser, nicht auf den eher geringen Kalorienverbrauch zu achten, sondern vielmehr den immensen gesundheitlichen Nutzen.“ An dem nämlich bestehe kein Zweifel.