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Nach BGH-UrteilHilft das Recht auf Sterbehilfe den Stärkeren und bedroht Schwächere?

Lesezeit 5 Minuten
Bundesverfassungsgericht dpa

Das Bundesverfassungsgericht hat den Paragrafen 217 zum Sterbehilfe-Verbot als verfassungswidrig erklärt.

  1. In unserer Serie „Recht und Ordnung“ befassen wir uns mit juristischen Themen – und wollen Ihnen mehr Durchblick im Paragrafen-Dschungel verschaffen.
  2. Diesmal beantwortet die Kölner Strafrechts-Professorin Frauke Rostalski die Frage, ob das aktuelle Urteil zur Sterbehilfe möglicherweise die Schwächeren bedroht und den Stärkeren hilft.
  3. Die Juristin schlägt vor, den für verfassungswidrig erklärten Paragrafen 217 neu zu fassen, zum Schutz der Schwachen und zugleich des Selbstbestimmungsrechts.

KölnDas Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid betont die Freiheit des Einzelnen, über sein Leben zu entscheiden, also auch über das Lebensende. Ich habe die Sorge, dass das ein Recht für die Starken ist. Ich sehe aber die Freiheit der Schwachen bedroht, die sich nicht wehren können, wenn Gesellschaft und Rechtsprechung das Sterben ins persönliche Belieben stellen. Was sagen Sie dazu?

Die Frage rührt an eines der Kernmotive für den Erlass des jetzt für verfassungswidrig erklärten Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch (StGB). Er stellte die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Die Vorschrift war ein Einschnitt in die bis dahin geltende Rechtsordnung, wie es ihn selten gegeben hat. Vor Einführung des Paragrafen 217 StGB war die Beihilfe zu einer Selbsttötung straflos. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch die teils sehr emotional geführte, breite gesellschaftliche Reaktion auf seine Einführung – und sicherlich auch jetzt auf seine Ablehnung durch das Bundesverfassungsgericht. Was hatte sich der Gesetzgeber also mit der Vorschrift gedacht?

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Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski

Foto: Csaba Peter Rakoczy

Alles zum Thema Universität zu Köln

Frauke Rostalski, geboren 1985, ist geschäftsführende Direktorin des Instituts für Strafrecht und Strafprozessrecht der Universität zu Köln. Im Januar 2018 wurde sie dort auf den Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung berufen.

Rostalski studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg und promovierte dort von 2009 bis 2011. Im Anschluss an ihre zweite juristische Staatsprüfung 2013 verbrachte sie Forschungsaufenthalte an der Nanjing Universität (China) und der Seoul Universität (Korea). 2017 promovierte sie auch im Fach Philosophie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. (jf)

Ein wesentlicher Grund war die Befürchtung, dass sich Menschen durch das Angebot, eine Unterstützung bei der Beendigung ihres Lebens zu erhalten, verstärkt hierzu gedrängt fühlen könnten. Gedacht wurde etwa an alte und kranke Menschen, die ihren Angehörigen oder der Gesellschaft nicht „zur Last fallen“ wollen. Wird ihnen seitens Dritter das Angebot der Suizidbeihilfe gemacht, kann bei ihnen der Eindruck entstehen, an sie werde auch eine entsprechende Erwartung gerichtet. Frei nach dem Motto: Wenn das Angebot da ist, gibt es keinen guten Grund, nicht davon Gebrauch zu machen.

Der als verfassungswidrig erklärte Paragraf 217 schuf große Rechtsunsicherheit

Die Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. Dennoch war Paragraf 217 StGB hierauf nicht die richtige Antwort. Ich begrüße die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts daher mit Nachdruck. Die wesentlichen Gründe: Paragraf 217 StGB schuf eine große Rechtsunsicherheit. Insbesondere betraf dies das Verhalten von Ärzten, die der Definition nach bei der Suizidbeihilfe „geschäftsmäßig“ handeln, wenn sie dieses Verhalten mehr als einmal ausüben oder dies zumindest vorhaben. Faktisch betraf das jeden Arzt, der mit diesem Anliegen berufsmäßig seitens seiner Patienten konfrontiert wird. Selbst bei einmaliger Suizidbeihilfe musste er befürchten, hierfür bestraft zu werden, wenn ihm eine Wiederholungsabsicht nachgewiesen würde.

Die Konsequenz ist verheerend: Gerade denjenigen, die anderen das würdevolle Sterben erst ermöglichen können, band das Strafgesetz die Hände. Auch das „Angehörigenprivileg“, das § 217 Absatz 2 StGB vorsah, passt nicht zur Schutzrichtung der Vorschrift. Die Straffreiheit von nicht geschäftsmäßig handelnden Angehörigen wird nicht dem Umstand gerecht, dass es – bedauerlicherweise (!) – gerade in diesen Beziehungen dazu kommen kann, dass eine alte oder kranke Person zu ihrem Sterbewunsch unzulässig gedrängt wird. Das Kriterium der Geschäftsmäßigkeit ist also sowohl zu weit als auch zu eng: Es deckt einerseits Verhaltensweisen ab, die gesellschaftlich wünschenswert sind (Beispiel: Arzt, der einen Menschen beim Sterben unterstützt, dessen Sterbenswunsch Ausdruck seines freien Willens ist), andererseits lässt es andere Verhaltensweisen aus, die ein erhebliches Risiko für den Einzelnen aufweisen. Meinen Studierenden nenne ich als Beispiel hier gern den gierigen Erbneffen.

Gesetzgeber sollte nach dem Urteil in Karlsruhe richtig nachbessern

Ich hoffe nun, dass der Gesetzgeber nach dem Urteil aus Karlsruhe richtig nachbessert. Der falsche Weg wäre es, fortan auf formelle Verfahren zu setzen, um die Freiheit der Entscheidung des Sterbewilligen sicherzustellen – wie etwa eine vorgeschriebene Wartefrist oder das Erfordernis einer Kommissionsentscheidung. Hier besteht die Gefahr, genau das zu verfehlen, worauf es verfassungsrechtlich ankommt: Zum einen ist bei einer verfahrenstechnischen „Lösung“ immer damit zu rechnen, dass die formell Zuständigen nach eigenem Gutdünken urteilen. Und zum anderen stellt eine bürokratisch-verfahrenstechnische (Über-)Regulierung schon für sich genommen nicht nur eine erhebliche Beeinträchtigung für die Betroffenen dar, sondern hebelt erneut das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen aus, das sie eigentlich schützen soll.

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Es spricht einiges dafür, das Strafrecht künftig von einer Regelung zur strafbaren Suizidbeihilfe in Gänze frei zu halten. Wenn überhaupt, sollte der Gesetzgeber eine Vorschrift erlassen, die den Kern Ihrer Frage und des Problems trifft: den Schutz der „Schwachen“, die dem Druck anderer nachgeben, ihre Leben zu beenden. Konkret könnte ein neuer Paragraf 217 so lauten: „Unerlaubte Veranlassung oder Förderung einer Selbsttötung. Wer die Selbsttötung eines anderen oder deren Versuch veranlasst oder fördert, obwohl er (nach den ihm bekannten Umständen) nicht davon ausgehen darf, dass die Entscheidung zur Selbsttötung unter keinen wesentlichen Willensmängeln leidet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

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