- Friedrich von Borries hat an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg ein „Stipendium für Nichtstun“ ausgeschrieben.
- Im Interview erzählt er, was es damit auf sich hat. Und warum wir im Sinne der Nachhaltigkeit in eine andere Richtung denken sollten.
- Friedrich von Borries spielt dabei auch etwas mit der Erwartungshaltung. Mit einem kleinen „s“ wird sein Vorhaben konkreter.
Herr von Borries, Sie haben drei Stipendien fürs Nichtstun ausgeschrieben. 1600 Euro dafür, dass man etwas lässt. Wie viele Menschen haben sich beworben?Friedrich von Borries: Etwas mehr als 2000.
Und was wollen die Menschen so alles nicht tun?
Spannend ist, dass wir Bewerbungen aus aller Welt bekommen haben. Viele sagen, sie wollen nicht mehr arbeiten, nicht mehr am kapitalistischen System teilnehmen. Wir haben aber auch viele Bewerber, die unsere Ausschreibung ganz anders interpretiert haben, da ist von Mülltrennung in der Schule bis Emanzipation in Indien alles dabei.
Können Sie konkrete Beispiele geben?
Da ist ein afroamerikanischer Pastor aus den USA, der nicht mehr wütend werden und keine Angst mehr haben möchte, wenn er in der Zeitung davon liest, dass wieder ein Afroamerikaner von der Polizei erschossen wurde. Eine Frau aus Indien, die seit vielen Jahren erst von ihren Eltern und dann von ihrem Mann bevormundet wurde, will künftig selbst entscheiden, was sie tut oder nicht tut. Eine Frau aus Hongkong möchte auf keinen Fall andere Menschen verraten, sollte sich das neue politische System durchsetzen. Aus aller Welt kam die Idee, anders mit sozialen Medien umzugehen. Viele beschäftigen Dinge wie kein Auto mehr fahren, kein Fleisch mehr essen. Ein Mann will zehn Tage nicht mehr reden und sich stattdessen ein Schild um den Hals hängen, auf dem steht: Ich höre Dir zu. Oder eben eine Lehrerin aus Karlsruhe, die künftig den Müll in ihrem Klassenzimmer trennen will.
Haben Sie damit gerechnet, so viele und eine solche Vielfalt an Bewerbungen zu bekommen?
Nein, überhaupt nicht. Die Meldung über die Ausschreibung hat sich irgendwie in aller Welt verbreitet, und es war sehr lustig zu sehen, welche Bildmotive in den verschiedenen Ländern dazu gestellt wurden. In Russland war das gern eine laszive Frau am Pool, im asiatischen Raum ein Mensch, meistens Mann, eingeschlafen am Schreibtisch neben einem aufgeklappten Laptop. Beliebt waren auch Motive von Tieren, also Faultier und so weiter. Einige haben unsere Hochschule als Ursprungsort der Idee abgebildet. Fox News hat aber dann doch lieber die Kirche neben unserer Hochschule genommen, die hat wohl eher ihrem Bild eines College entsprochen als unser modernistisches Schumacher-Gebäude.
Bildmotive dieser Art konterkarieren ja die Idee hinter Ihrem Aufruf. Erklären Sie noch mal, warum Sie das Nichtstun zur Tugend erklären.
Ehrlich gesagt haben wir genau mit dieser Verschiebung der Erwartungshaltung gespielt. Ich habe das sehr bewusst „Stipendium fürs Nichtstun“ genannt, darauf springen die Menschen natürlich an. Dahinter steckt aber die Fragestellung, was man nicht tun sollte, ein kleines „s“ weniger. Also was man unterlassen sollte. Wir alle haben in unserem Leben Verhaltensweisen, von denen wir wissen, dass sie für uns selber, für andere, für die Umwelt nicht gut sind. Trotzdem machen wir damit immer weiter. Das Stipendium ist dafür gedacht, dass man etwas davon bewusst unterlässt. In der Diskussion um Klimawandel und Nachhaltigkeit ist es glaube ich ein ganz wichtiger Punkt, dass jeder überprüft, was er bleiben lassen könnte, um negative Folgen zu vermeiden.
Zur Person – Das Projekt
Friedrich von Borries (46) ist Architekt, Schriftsteller und Professor für Designtheorie an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er hat das künstlerisch-diskursive Projekt „Schule der Folgenlosigkeit. Übungen für ein anderes Leben“ vom 6. November 2020 bis zum 9. Mai 2021 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) konzipiert.
Im Rahmen des Projekts hat die Hochschule ein „Stipendium für Nichtstun“ ausgeschrieben, für das sich bis bis Mitte September mehr als 2000 Menschen beworben hatten. Aus der Fülle der Bewerbungen kürt die Jury bis Anfang November drei Gewinner, die jeweils ein Betrag von 1600 Euro erwartet. Voraussetzung für die Auszahlung ist aber, dass sie nach Abschluss des Müßiggangs einen Bericht abliefern.
Sie nennen das auch „Schule der Folgenlosigkeit“. Vor zwölf Jahren waren Sie Generalkommissar für den deutschen Beitrag auf der Biennale in Venedig, schon damals haben Sie Projekte zu Ökologie und Nachhaltigkeit gezeigt. Heute brettern wir noch immer ohne Tempolimit über deutsche Autobahnen, unsere Wälder vertrocknen und die der Amerikaner verbrennen. Da sehen wir eine eher negative Folgenlosigkeit, oder?
Den Begriff Folgenlosigkeit, den ich rund um das Projekt verwende, finde ich gerade deshalb so spannend, weil er mehrere Ebenen hat. Ich bin ja kein Missionar, der einen bestimmten Glauben unter die Menschen bringen will. Ich bin Hochschullehrer und Intellektueller, ich versuche, Denkanregungen zu geben. Die Folgenlosigkeit agiert auf drei Ebenen: Die eine haben Sie angesprochen, der Nachhaltigkeits-Diskurs der letzten 40 Jahre ist bislang relativ folgenlos geblieben. Das ist Folgenlosigkeit in ganz negativem Sinne. Wir wissen ganz viel und reden drüber, aber wir handeln nicht entsprechend.
Und die zweite Ebene?
Die erleben wir gerade bei Fridays for Future – oder auch in ganz vielen anderen sozialen Bewegungen. Die Leute tun etwas, sie engagieren sich, haben aber das Gefühl, es bliebe folgenlos. Die dritte Ebene ist dann die, dass ich sage: Vielleicht ist es auch ein positives Ideal, ein Leben zu führen, das keine negativen Folgen hat. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns gesellschaftlich: Wir wissen, was vernünftig ist, und tun es nicht, plus wir versuchen, uns vernünftig zu verhalten, haben aber das Gefühl, es bringe nichts. Wir sind da in einem Sisyphos-Problem gefangen, wie Camus das so schön beschreibt.
Wir tragen den Stein immer wieder den Berg hoch...
.. und das ist natürlich sinnlos. Man kann aber auch sagen: In dem Akt, sich nicht dem Urteil der Götter zu unterwerfen, sondern es trotzdem immer wieder zu machen, kann auch eine Sinnstiftung liegen. Natürlich stellt sich irgendwann die Frage, ob es nicht besser wäre, den Berg abzutragen, anstatt immer wieder den Stein hoch zu schleppen – auch wenn sich Sisyphos die – glaube ich – nicht stellt. Aber ich stelle sie im nächsten Schritt unseres Projekts, indem ich frage: Wie können wir das System ändern? Nur die schönen kulturellen Projekte, die auch ich mache, das reicht nicht. Als Architekt und Designer fragt man sich: Wie wollen wir leben? Was ist ein gutes Leben, wie sieht das aus, was brauche ich dafür? Dann realisiert man, dass es so nicht weitergehen kann und kommt genau zu diesen Themen, mit denen sich auch mein aktuelles Projekt befasst. Wie kann man unsere Lebenswelt ökologischer, zukunftsfähiger, nachhaltiger gestalten?
Wissen Sie für sich, was Sie für ein „gutes Leben“ brauchen?
Ja, ich weiß sehr genau, was ich für ein gutes Leben brauche. Das heißt aber noch lange nicht, dass mir das gelingt. Ich stecke wie viele Menschen in unserer Gesellschaft in dem Dilemma, dass mir Werte eingeschrieben sind, durch Erziehung, durch Sozialisierung, von denen ich weiß, dass sie eigentlich kontraproduktiv sind.
Zum Beispiel?
Natürlich bin ich damit groß geworden, dass Erfolg etwas Tolles ist. Natürlich bin ich damit groß geworden, dass sich Erfolg und sozialer Status auch materiell ausdrücken. Natürlich habe ich als Kind der 80er Jahre tief in mir, dass ein Porsche in total geiles Teil ist. Gleichzeitig weiß ich, dass das ökologisch nicht sinnvoll ist und mich auch nicht glücklich macht – deshalb habe ich keinen Porsche. Aber an anderen Punkten lebe ich die Sozialisierung aus, in der ich groß geworden bin. Deshalb kann man auch nicht immer alles auf das individuelle Verhalten schieben und sagen: Dann mach es doch anders. Wir müssen als Gesellschaft ein anderes Wertesystem entwickeln. In dem zum Beispiel Zeit das wirklich Wertvolle ist und nicht Geld. In dem emotionale Zuwendung wichtiger ist als der Kontostand. Gerade in Stresssituationen fallen wir alle auf das zurück, was wir viele Jahre lang vorgemacht und erzählt bekommen haben und vergessen unser intellektuelles Wissen darüber, was eigentlich das bessere Leben wäre.
Ihre Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg heißt „Schule der Folgenlosigkeit. Übungen für ein anderes Leben“. Wie kann man ein anderes Leben üben?
Man kann es nur üben. Wir haben kein Wissensdefizit. Wir haben ein Kompetenzdefizit in der Handlungspraxis. Es hakt am gesellschaftlichen Wertewandel. Das Tolle am Üben ist, dass es zeitlich begrenzt ist. Man übt und wird jedes Mal ein bisschen besser. Wir können nicht von heute auf morgen andere Werte installieren. Man muss sie einüben. Im Museum machen wir das natürlich eher symbolisch. Es gibt verschiedene Installationen, da kann man zum Beispiel das Warten üben, oder sich mit Zerstörung auseinandersetzen. Und wir zeigen historische Referenzbeispiele, wie in anderen Kulturen zu anderen Zeiten schon mal anders nachgedacht wurde.
Wie sah das aus?
Wir stellen zum Beispiel ein islamisches Amulett aus, das vor dem Dschinn schützt. Der Dschinn ist ein mystisches Wesen, das durch unsere Handlungen Schaden nehmen kann und sich dann an uns rächt. Diese Vorstellung, dass unser Handeln Schaden erzeugen kann in Zusammenhängen, die wir gar nicht erkennen, und dass das irgendwann auf uns zurückfallen kann, das finde ich ein sehr schönes Bild. Man kann es in gewisser Weise in unsere Zeit übertragen und sich etwa fragen, ob Corona vielleicht ein Dschinn ist.
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2000 Bewerbungen um das Stipendium. Da geht es sicherlich nicht nur um die 1600 Euro, sondern das zeigt, dass Sie einen Nerv getroffen haben mit Ihrem Projekt. Oder?
Das, was ich da vorschlage, ist nicht die Eingebung von Friedrich von Borries, sondern etwas, das man an allen Ecken und Enden spürt, viele Menschen haben ein Bedürfnis, sich mit ökologischer Gerechtigkeit und mit einem „anderen Leben“ zu beschäftigen. Ich will mit unserer Ausstellung Mut machen und zeigen, dass es historische Vorläufer gibt. Das Stipendium zeigt zudem, dass aktuell viele Leute Ideen haben und in diese Richtung denken. Man ist nicht allein.