Köln – Am Montagmittag sitzt Karl Lauterbach im Zug von Köln nach Berlin und ärgert sich, dass die Mobilfunkverbindung immer wieder zusammenbricht. Es sei „nicht akzeptabel, dass es in Deutschland noch immer nicht möglich ist, in der Bahn problemlos zu telefonieren“, sagt er. „Ich fühle mich gerade mal wieder als Opfer von Andi Scheuer.“ Der nämlich habe es als Verkehrsminister nicht hinbekommen, für besseres Netz in den Bahnen zu sorgen.
Bestes SPD-Ergebnis in NRW
Lauterbach hat es bei der Bundestagswahl hinbekommen, das beste SPD-Ergebnis in Nordrhein-Westfalen einzufahren – mit 45,6 Prozent der Erststimmen hat er seinen Wahlkreis Leverkusen-Köln IV gewonnen. Seine prominente Mitbewerberin Serap Güler (CDU) kam lediglich auf 20,4 Prozent. Überrascht habe ihn der hohe Sieg nicht, sagt Lauterbach. „Ich verstehe das Ergebnis auch als klares Votum für die Corona-Politik der Bundesregierung“ – deren Gesicht er seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ist. Obwohl ihn zunächst niemand darum gebeten hatte: Lauterbach war von seiner Partei nicht als Corona-Experte freigestellt worden – er hatte diese Rolle einfach übernommen.
Im Wahlkampf allerdings wollte er damit nicht punkten. Obwohl er Grund gehabt hätte, das Gesundheitsministerium zu kritisieren: Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wies Lauterbach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang September auf erhebliche Probleme bei der Erfassung der Hospitalisierungsrate im Robert-Koch-Institut hin und arbeitete bilateral an einer Lösung. Mit öffentlicher Kritik an Spahn hielt er sich zuletzt bewusst zurück. Um Corona aus dem Wahlkampf zu halten. Eine Pandemie müsse wie die Klimakrise konsequent parteiübergreifend bekämpft werden, sagt Lauterbach.
Als der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Lauterbach Ende Juni am Rande einer Impfaktion in Mülheim traf, lag die SPD in Umfragen bei 16, die CDU bei 28 Prozent. Sein Satz „bis zur Wahl ist noch viel Zeit“, klang da eher wie eine Durchhalteparole. Jetzt möchte Lauterbach den erstaunlichen Stimmungswandel zugunsten der SPD nicht mit den Fauxpas‘ der Konkurrenz begründen. „Olaf Scholz hatte von langer Hand einen Plan entwickelt“, sagt Lauterbach. „Er hat Themen gesetzt, die die anderen vernachlässigt haben.“
Die Zusage, dass die Renten mit ihm als Kanzler nicht sinken und die Mieten nicht steigen werden, zähle dazu „und natürlich der Mindestlohn“. Denn, so Lauterbach: „Eine entschiedene Klimapolitik wird von den Menschen nur akzeptiert, wenn sie genug Geld in der Tasche haben.“
Funklöcher im ICE
Am Tag nach der Wahl, die er in Leverkusen mit seiner Partei und einigen Prominenten wie der Komikerin Hazel Brugger gefeiert hat, spricht Lauterbach angesichts komplizierter Farbenlehre zur Regierungsbildung ungewohnt strategisch. Im Juni hatte Lauterbach dieser Zeitung gesagt, die Grünen seien für ihn „die einzige sympathische Partei neben der SPD“. Lässt der zum linken SPD-Flügel zählende Gesundheitsexperte normalerweise selten eine Gelegenheit aus, FDP-Positionen zu kritisieren, so bezeichnet Lauterbach eine Ampel-Koalition am Montag im ICE nach Berlin als „sympathisch und modern“. Die Verbindung aus „Sozialpolitik der SPD, Umweltpolitik der Grünen und Digitalisierungsideen der FDP würde einen großen Modernisierungsschub für das Land bedeuten“.
Den am Wahlabend geäußerten Regierungsanspruch von Armin Laschet habe er als „aufgrund des Wahlergebnisses nicht angemessene Überrumpelung empfunden“, so Lauterbach. „Mir fehlt die Fantasie, nachvollziehen zu können, womit dieser Führungsanspruch begründet sein soll.“ Eine Männerfreundschaft wie jene von Laschet und Lindner „kann und darf nicht entscheidend für eine Regierungsbildung sein“.
Wahlergebnis als Signal für Ministerposten?
Dass er sich vorstellen könnte, in einem künftigen Kabinett als Gesundheitsminister zu fungieren, hatte Lauterbach in den vergangenen Wochen immer mal wieder erwähnt. Auf dem Weg nach Berlin sagt er, unterbrochen von einem weiteren Funkloch: „Es geht jetzt erstmal nicht um mich.“ Nach einer Pause wiederholt er, was er an diesem Tag etlichen Medienvertretern sagen wird: „Mein Wahlergebnis war natürlich ein Signal, dass wir mit unserer Politik in der Coronakrise richtig lagen.“