AboAbonnieren

Bedrückende BilanzDas genaue Ausmaß der Katastrophe ist noch unklar

Lesezeit 6 Minuten
Bad Münstereifel

Die Flut hat an vielen Orten, hier Bad Münstereifel, verheerende Schäden angerichtet.

  1. Wir wollen in den kommenden Monaten dokumentieren, wo es vorangeht, wo angepackt wird und wo Wunden heilen.

Köln – Unser Ziel war ambitioniert. Die Folgen der großen Flut in der Region abbilden, so detailliert wie möglich: Wie viele Häuser sind komplett zerstört, wie viele beschädigt? Wie viele Menschen machten die Wassermassen vorübergehend obdachlos? Welche Schulen sind nicht mehr nutzbar? Wie viele Kilometer Schienen, wie viele Kilometer Straßen sind betroffen? Wie viele Haushalte schnitt das wütende Wasser vom Strom ab? Wie hoch stieg seit der Katastrophe die Sperrmüllmenge? Wie sah es mit der Mobilfunkabdeckung aus, wie mit den Äckern und den Wäldern?

Unsere Kolleginnen und Kollegen in den Außenredaktionen in Euskirchen, Rhein-Erft, Bergisch Gladbach, Leverkusen, Rhein-Sieg und Oberberg recherchierten und telefonierten – und merkten bald: Diese Flut war so katastrophal, dass sie auch die Verwaltungen, die Kreise und Kommunen derart in Mitleidenschaft gezogen hatte, dass die Antwort auf unsere Fragenkataloge häufig nur sein konnte: Das wissen wir alles doch noch gar nicht!

Zu verheerend sind die Schäden, die das Wasser hinterlassen hat. Allein für das Land NRW schätzt die Landesregierung die schier unfassbare Summe von 13 Milliarden Euro. Hinzu kommen Unsicherheiten und Vorläufigkeiten, die eine Katastrophe mit sich bringt. Sogar bei der Zahl derer, die während der Flut ihr Leben verloren, mussten die Behörden am Donnerstag nachbessern. Im Ahrtal wurde die Zahl der Toten auf 133 nach unten korrigiert. Laut Polizei in Koblenz waren acht der gefundenen Leichen bereits vor der Flut beerdigt.

Alles zum Thema Armin Laschet

Es war bedrückend, die Zahlen zusammenzutragen, hinter denen sich so viele Tote und ein solches Ausmaß der Zerstörung verbergen. Allein das Interview mit dem Schleidener Bürgermeister Ingo Pfennings offenbart, welche Verzweiflung in der Nacht in Teilen unseres Verbreitungsgebietes herrschte: „Ich hatte sogar befürchtet, dass es 500, 600 Tote werden, dass wir schlimmstenfalls die Menschen in ganz Malsbenden und Oberhausen verlieren“, sagte er im Interview.

Wir hielten an unserem Plan dennoch fest. Denn unser fester Vorsatz seit der Nacht vom 14. auf den 15. Juli war und bleibt: Wir wollen Sie, liebe Leserinnen und Leser, so ausführlich wie möglich informieren über die Folgen dieser Katastrophe. Und wir wollen gerade für diejenigen, die in der Flut Familienangehörige, ihr Zuhause oder Arbeitsplätze verloren haben, ein verlässlicher Partner bleiben. Zum Beispiel für die fünfköpfige Familie Puthen aus Bad Münstereifel, deren 250 Jahre altes Haus die Flut für viele Monate unbewohnbar gemacht hat.

Das könnte Sie auch interessieren:

Deshalb starten wir heute unser Format „Flutbarometer“. Wir bleiben für Sie dran. Wir beginnen damit, die Zerstörung zu dokumentieren, so gut das eben geht. Die meisten Zahlen, die wir recherchiert haben, sind exklusiv. Sie sind zusammengezählt aus Meldungen einzelner Kommunen. Das Flutbarometer ist aber – bei allen Schadensbilanzen – ein Format der Zuversicht. Denn es soll dokumentieren, wo die Tausenden Helferinnen und Helfer, wo die Verwaltungen, wo das Land und wo Sie ganz persönlich in den kommenden Monaten und Jahren vorankommen. Wir werden aufzeigen, wo schnelle Fortschritte zu beobachten sind und wo es noch hakt.

Schon heute gibt es Zahlen aus NRW, die Mut machen. So sind fast alle der 200.000 von einer Stromversorgung abgeschnittenen Menschen mittlerweile wieder an das Netz angeschlossen. Auch der Handyempfang ist vielerorts wieder gewährleistet. Allein bei der Reparatur der Festnetzinfrastruktur müssen laut Telekom einige Bewohner wie in Stolberg, Eschweiler, Weilerswist, Schleiden und Bad Münstereifel noch Geduld haben. Auch bei der Versorgung mit Wasser gibt es schon riesige Fortschritte. So wurde das Abkochgebot für Trinkwasser im Kreis Euskirchen, in Swisttal-Odendorf, im Kreis Mettmann, in Erftstadt, Eschweiler, Stolberg, Mülheim a.d. Ruhr, Ratingen, Oberhausen und Bottrop mittlerweile aufgehoben.

Und auch das erste Geld fließt. Das Land Nordrhein-Westfalen hat bisher Soforthilfen in Höhe von 154 Millionen Euro an die Städte und Gemeinden ausgezahlt. Für betroffene Firmen wurden Wirtschaftshilfen in Höhe von 9,5 Millionen Euro angewiesen. Besonders beeindruckend ist auch die Spenden- und Hilfsbereitschaft derjenigen, die nicht betroffen sind. Als Beispiel erzählen wir die Geschichte von Marc Ulrich und Thomas Pütz. Die beiden Unternehmer haben sich ein Helfer-Shuttle ausgedacht. Es soll Freiwillige, die anpacken können, mit denjenigen verbinden, die jetzt Hilfe dringend nötig haben (Seite 20).

Auch Straßen NRW meldet erste Erfolge. Von 344 Schäden auf den Bundes-, Land- und Kreisstraßen sind vier Wochen nach der Flut schon 75 beseitigt. Auch von den 90 gesperrten Kilometer Autobahnen in NRW und Rheinland-Pfalz sind dreißig schon wieder befahrbar. Und auch an vielen Orten, die noch lange Zeit von der Zerstörung gezeichnet sein werden, hat man Zwischenlösungen gefunden, die zuversichtlich machen. So meldet zum Beispiel die Stadt Meckenheim, dass der Waldorfkindergarten in Volmershoven-Heidgen zwar einem Katastrophengebiet gleiche. Die Kinder haben vorübergehend aber eine neue Unterkunft gefunden. Im alten Kita-Gebäude des Bundesministeriums für Verteidigung.

Schadensummen und Hilfen

Flut4-Schaeden-Hilfen

Schnelle und unbürokratische Hilfe haben Bundeskanzlerin Merkel und Ministerpräsident Armin Laschet den Betroffenen Bürgerinnen und Bürgern in den Hochwassergebieten zugesichert. Eine Zusage, die dringend nötig ist, angesichts der immensen Schäden in den einzelnen Kreisen. 154 Millionen Euro an Soforthilfen sind laut Landesregierung schon an die Kommunen geflossen, die von dort an die Bürger verteilt werden. Und auch die Spendenbereitschaft ist riesig: Mindestens 358 Millionen Euro sind bundesweit schon zusammengekommen. Ob das Geld am Ende zu den Richtigen gelangt, auch das werden wir in den kommenden Monaten dokumentieren.

Straßen, Brücken, Schienen

Flut2-Verkehrswege

Tiere, Höfe, Äcker

Flut5-Landwirtschaft

Wirtschaftsgebäude, Maschinen und Geräte, Futtervorräte – die Überschwemmung hat in NRW 250 Höfe getroffen. Auch in der Nutztierhaltung gibt es vor allem Sachschäden. Nach Berichten der Landwirtschaftskammer ist es Landwirten und Tierhaltern aber gelungen, die Tiere weitgehend in Sicherheit zu bringen. Allerdings wurde im Kreis Euskirchen ein Putenstall so schlimm getroffen, dass Tausende Tiere verendet sind.

Auf 15.000 Hektar Land ist die Ernte verloren. Das Landesamt für Naturschutz (LANUV) hat vom NRW-Umweltministerium Anfang August den Auftrag erhalten, die Schadstoffbelastung von Erntegut überfluteter Flächen durchzuführen.

Kaputte Häuser, Schulen, Praxen

Flut3-Gebaeudeschaeden

Viele Menschen haben durch die Flut ihr Zuhause verloren. Allein der Kreis Ahrweiler meldet uns 8800 beschädigte Häuser, in kleinen Ortschaften an der Ahr wie beispielsweise Altenburg sind 95 Prozent aller Bewohner betroffen. Allein die Kommune Rösrath meldet 2000 von Obdachlosigkeit betroffene Haushalte, Mechernich weiß von 50 Obdachlosen, Lohmar gleich nach der Flut von bis zu 80. In Leverkusen hatten nach Auskunft der Stadt 125 Familien zumindest temporär kein Zuhause mehr.

Auch öffentliche Gebäude waren von der Flut betroffen. Allein fünf Krankenhäuser sind zum Teil zerstört. 182 Arztpraxen, davon 130 in NRW, waren stark beschädigt. NRW meldet hier 15 Totalschäden, Rheinland-Pfalz 34. Auch viele Schulen waren überflutet. Allein im Kreis Ahrweiler waren zunächst 17 nicht mehr nutzbar.

Strom, Telefon, Wasser, Müll

Flut6-Infrastruktur

Die Flut hat viele Menschen von der Versorgung abgeschnitten. Strom, Internet, Festnetzleitungen, aber auch die Bereitstellung von Trinkwasser war plötzlich nicht mehr gesichert. Hier gibt es mittlerweile gute Nachrichten: Von den 200.000 Menschen, die laut Netzbetreiber Westnetz keinen Strom hatten, sind mehr als 199.000 wieder versorgt. Auch die Telekom konnte die Mobilfunknetzabdeckung in den Gebieten wieder vollständig herstellen. Vodafone-Kunden in Ortsteilen, die vor der Flut über Funklöcher klagten, sind durch die Überbrückungsmaßnahmen laut Anbieter sogar nun mit besserer Verbindung ausgestattet, etwa Schuld und Fuchshofen.