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Das Schweine-SystemWie Clemens Tönnies zum Sinnbild der Krise wurde

Lesezeit 6 Minuten

Clemens Tönnies ist einer der größten Fleischproduzenten Europas.

  1. Clemens Tönnies ist einer der größten Fleischproduzenten Europas. In seinem Betrieb wurden bis Sonntag 1300 Infektionen mit Covid-19 gemeldet.
  2. Tönnies übernahm Fleischfabrik und Fußballverein nach seinem verstorbenen Bruder.
  3. Ein Porträt des Mannes, der nicht zum ersten Mal im Zentrum einer Krise steht.

Gütersloh – Die Fortsetzung der Horrorserie des FC Schalke 04 muss Clemens Tönnies (64) nicht miterleben. Das 1:4 im letzten Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg verschärft die Krise – Schalke wartet jetzt seit 15 Liga-Spielen auf einen Sieg. Der Klub-Boss und mächtigste Fleischfabrikant Deutschlands hat jetzt dafür allerdings keinen Kopf, er hat ganz andere Probleme.

Tönnies steht nach dem Corona-Ausbruch in seiner Fleischfabrik in Rheda-Wiedenbrück wie 6500 Beschäftigte einschließlich ihrer Familienangehörigen unter Arbeitsquarantäne. Am Sonntag war die Zahl der positiv getesteten Arbeiter auf 1300 gestiegen. Der größte Corona-Ausbruch in NRW geht einher mit einem Bundeswehr-Einsatz auf dem Firmengelände. 65 Soldaten helfen bei den Untersuchungen, der Dokumentation und der Nachverfolgung der Kontaktpersonen.

Tönnies ist auch Schalke-Boss.

Clemens Tönnies ist krisenerprobt. Sportlich wie finanziell taumelnde Schalker, die mit Schulden von 197 Millionen Euro einen Corona-bedingten Saisonabbruch wohl nicht überlebt hätten, wären schon Arbeit genug. Seit 1994 ist Clemens Tönnies Teil von Schalke und eher unfreiwillig an diesen Job gekommen. Sein Bruder Bernd, der das Fleisch-Imperium 1971 gegründet hatte, stirbt fünf Monate nach der Wahl zum Schalke-Präsidenten an den Folgen einer Nierentransplantation.

Clemens verspricht dem Bruder am Sterbebett, sich um den Klub zu kümmern. Er übernimmt nicht nur die Leitung des Unternehmens, sondern 2001 auch das Kommando auf Schalke. Der Verein mausert sich zum Spitzenklub und darf sich am 19. Mai 2001 für denkwürdige vier Minuten und 38 Sekunden als Deutscher Meister fühlen.

Streitigkeiten zwischen Neffe und Onkel

Tönnies knüpft Kontakte in die Politik und schließt 2007 einen millionenschweren Sponsorenvertrag mit dem russischen Energiekonzern Gazprom ab; seither zählt Russlands Staatschef Wladimir Putin zu Tönnies’ Freundeskreis. 2020 steht Schalke mal wieder am Abgrund. Und sein Boss vor dem Corona-Desaster in seiner Schlachtfabrik in Rheda, das den seit Jahren tobenden Familienstreit wieder ausbrechen lässt.

Clemens Tönnies steht mächtig unter Druck. Sein Neffe Robert, einer der beiden Mitgesellschafter, hat seinen Onkel in einem persönlichen Brief vom 19. Juni aufgefordert, endlich den Weg frei zu machen. Dessen Sohn Maximilian solle die Geschäftsführung übernehmen. Überdies pocht Robert auf seine Mitgestaltungsrechte, um die Blockade des Konzerns bei Werkverträgen zu überwinden. Er schließt mit den Worten: „Clemens, Dir selbst würde ich raten, Deinen Platz für Max zu räumen. Nur mit neuen Gesichtern können wir glaubwürdig in die Zukunft gehen.“

„Ich werde dieses Unternehmen aus der Krise führen“

Die Streitigkeiten zwischen Neffe und Onkel ziehen sich schon seit acht Jahren hin. Es geht immer wieder um Führungsfragen und die Unternehmensstrategie. Dem 42-jährigen Robert gehören 50 Prozent des Familienunternehmens, die anderen 50 Prozent Onkel Clemens und seinem Sohn Maximilian.

Zur Person

Clemens Tönnies (64) ist Sohn eines Metzgers. Mit fünf Geschwistern wächst er im westfälischen Rheda auf, macht nach Abschluss der Volksschule eine Lehre zum Fleischtechniker und Kaufmann. 1971 gründet sein Bruder Bernd einen Großhandel für Fleisch- und Wurstwaren, den die Brüder gemeinsam zu einem der größten Fleischproduzenten Europas ausbauen. Nach dem Tod seines Bruders Bernd im Jahr 1994 , der kurz zuvor zum Präsident von Schalke 04 gewählt worden war, wird Clemens dort Mitglied des Aufsichtsrats und ist seit 2001 dessen Vorsitzender. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei Kinder. (pb)

Samstag, 17.30 Uhr: Gerade sind seine Schalker gegen Wolfsburg untergegangen, da tritt Clemens Tönnies vor die Mikrofone und geht in die Offensive. „Ich werde dieses Unternehmen aus der Krise führen“, erklärt er in Rheda-Wiedenbrück. „Dann sehen wir weiter. Ich mache mich nicht aus dem Staub.“ Die Kritik des Kreises Gütersloh, die Behörden hätten große Probleme gehabt, Zugriff auf die Adressen der Arbeiter aus dem Betrieb zu bekommen, weist Tönnies zurück. Man habe datenschutzrechtliche Probleme. Laut Werkvertragsrecht dürfe das Unternehmen die Adressen von Arbeitern, die für Subunternehmer tätig sind, nicht speichern. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich null“, kontert der Leiter des Krisenstabs, Thomas Kuhlbusch.

Skandal wegen rassistischer Äußerungen

Der Fleischfabrikant, dessen Vermögen laut US-Magazin Forbes auf rund zwei Milliarden Euro geschätzt wird, wirkt angeschlagen wie nie. Noch vor knapp einem Jahr, als er mit einer rassistischen Äußerung für einen Skandal sorgte, hat er das Problem im Handstreich aus der Welt geschafft. Im August hält Tönnies beim Tag des Handwerks in Paderborn zum Thema eine aus seiner Sicht launige Rede, in der er sich für den Bau von Kraftwerken in Afrika einsetzt: „Dann hören die auf, die Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel wird, wenn wir die nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren.“

Die Zuhörer im Saal nehmen es hin, doch später bricht ein Sturm der Entrüstung los. Auch und vor allem bei Schalke 04. „Seine Äußerung hat mich sehr überrascht, geschockt und auch verletzt“, sagt der Ex-Schalke-Profi und deutsche Nationalspieler Gerald Asamoah. Konsequenzen hat das kaum. Tönnies entschuldigt sich und legt sein Amt als Aufsichtsratschef freiwillig für drei Monate wieder. Dann nimmt der Schalke-Boss die Arbeit wieder auf – die Empörungswelle ebbt so schnell ab, wie sie gekommen ist. Der Verein, das weiß auf Schalke jeder – wäre ohne Tönnies nicht überlebensfähig.

Tönnies nennt 1300 Infizierte eine „existenziellen Krise“

Das könnte im Corona-Skandal anders enden. Tönnies’ Schweine-System der Massenschlachtung mit einem Geflecht von Subunternehmern, das kaum zu durchdringen ist, gerät ins Wanken. 6,1 Milliarden Euro Umsatz machte die Tönnies Holding laut Konzernabschluss im Geschäftsjahr 2018.

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Der Boss spricht am Samstag von einer „existenziellen Krise“. Es gehe „nicht mehr um Tönnies. Hier geht es um die Menschen und den Kreis. Ich kann mich nur in aller Form entschuldigen. Wir sind die Ursache dieses Themas und stehen in voller Verantwortung“, sagt Tönnies und verspricht: „Wir werden nicht mehr so weitermachen. Wir können das Lebensmittel Fleisch auf ordentliche Art gewinnen und dem Verbraucher sicher liefern.“

Das Problem: Kaum jemand nimmt ihm das ab. Noch vor vier Wochen, als die Bundesregierung nach dem Corona-Ausbruch bei Westfleisch angekündigt hatte, man werde Werkverträge für die Branche ab 2021 weitgehend verbieten, warnt er in einem Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), ein generelles Verbot werde „massive, strukturell-negative Veränderungen für die Agrarwirtschaft zur Folge“ haben.

Verkauf des Unternehmens sollte möglich sein

Tönnies schlägt stattdessen vor, das System zu reformieren und etwa einen Branchenmindestlohn von zwölf Euro pro Stunde einzuführen. Arbeiten wie Schlachten und Zerlegen sollen nur noch von eigenen Angestellten erledigt werden. Zudem sollten die Auftraggeber der Subunternehmer „für eine menschenwürdige und wirtschaftlich faire Unterbringung aller Beschäftigten“ haften.

Die Pläne der Bundesregierung hingegen sind ganz im Sinne von Robert Tönnies, der im letzten September laut „Handelsblatt“ vor einem Schiedsgericht Klage eingereicht hat, um das zerrüttete Verhältnis zu seinem Onkel feststellen zu lassen. Laut Einigungsvertrag, den beide Parteien vor drei Jahren geschlossen haben, könnte das Unternehmen somit verkauft werden. Der Streitwert soll 600 Millionen Euro betragen, das Dreifache des Schuldenbergs des FC Schalke. Aber darum kann Clemens Tönnies sich im Moment wirklich nicht kümmern.