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Nächster Halt: GottDieser Mann tauschte Uniform gegen Priestergewand

Lesezeit 5 Minuten
Andreas Züll

Quereinsteiger Andreas Züll bei der Abendmesse in Hüngersdorf

  1. Die katholische Kirche hat zu kämpfen: Die Zahl der Priester sinkt noch rasanter als die der Gläubigen.
  2. Im Studienhaus St. Lambert in Lantershofen bietet die katholische Kirche eine theologische Ausbildung für „Quereinsteiger“ an – ganz ohne Studium.
  3. Andreas Züll ist gelernter Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn – heute arbeitet er als Priester.

Blankenheim – Andreas Züll steht hinter dem Altar. Er breitet die Hände aus, sein grünes Priestergewand hebt sich mit seinen Armen in die Luft. Dann faltet er die Hände zum Gebet. In der kleinen Kapelle St. Anna, dem Herzstück des kleinen Ortes Hüngersdorf in der Eifel, ist es still. Züll gegenüber sitzen 22 Gottesdienstbesucher. Züll nimmt seine Hände wieder auseinander, stützt sie auf den Altar. Dort stehen eine Hostienschale und ein Kelch mit Wein, daneben liegt ein kleines Kreuz. In Andreas Zülls erstem Leben sah die Fläche vor ihm noch ganz anders aus. Da saß er vor Monitoren, darauf bunt blinkende Züge und Gleise. Der 44-Jährige ist gelernter Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn. Nun ist er Priester – ein Quereinsteiger.

Denn die katholische Kirche hat zu kämpfen. Mit der Zahl ihrer Mitglieder, die seit Jahren sinkt. Aber die Zahl der Priester sinkt noch rasanter als die der Gläubigen. Im Jahr 2000 war in Deutschland ein Priester im aktiven pastoralen Dienst für durchschnittlich 2100 Katholiken zuständig. Im vergangenen Jahr waren es fast 2700. Schon 1961 stellte der Theologe Norbert Greinacher in einer Studie fest, dass Deutschland unter Priestermangel leide. Im Jahr darauf wurden in den fünf NRW-Bistümern 159 Männer zu Priestern geweiht. 2019 waren es 16, im Jahr davor sogar nur zehn.

Zahl der Pfarreien fast halbiert

Das führt auch dazu, dass immer mehr Gemeinden zusammengelegt werden müssen. Seit 1990 ist die Zahl der Pfarreien in den NRW-Bistümern von 3154 auf 1763 gesunken. Andreas Züll ist zusammen mit zwei anderen Priestern für 15 Gemeinden mit zusammen 8500 Katholiken zuständig.

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Jede Woche in jeder Kirche eine Eucharistiefeier, das gebe es nicht mehr, sagt Züll. „Bei uns zuhause ist das seit 16 Jahren nicht mehr so. Es sind keine Priester da, die die Gottesdienste feiern können.“ Das sieht auch der Diözesanpastoralrat des Erzbistums Köln so. In einer Sitzung im Juni 2018 stellte das Gremium fest: „2035 haben wir eine Halbierung der Zahlen der Kölner Priester.“

Wer Priester werden möchte, muss ein Theologie-Studium abgeschlossen haben. Mit einer Ausnahme: Im Studienhaus St. Lambert in Lantershofen (Rheinland-Pfalz) bietet die katholische Kirche eine theologische Ausbildung für „Quereinsteiger“ an. Dort war auch Züll, er ist auf dem dritten Bildungsweg Priester geworden. Das einzige, was die Teilnehmer mitbringen müssen: Lebenserfahrung, eine abgeschlossene Berufsausbildung, dazu ein Mindestalter von 25 Jahren. Einen anerkannten akademischen Abschluss erwerben die Absolventen in Lantershofen nicht. Trotzdem lässt die katholische Kirche in Deutschland sie zur Weihe zu. Ausnahmsweise.

Von der Schaltzentrale an die Kanzel

Züll sitzt in seinem Wohnzimmer, ein Bein über das andere geschlagen. Er spricht über die Zeit nach seinem Realschulabschluss. „Damals hätte ich nie daran gedacht, Priester zu werden.“ Dabei wäre das gar nicht so abwegig gewesen. Züll und seine beiden Geschwister wurden katholisch erzogen, die Mutter ist Küsterin. Sonntags ging es in die Kirche. „Wir waren Messdiener, wie das halt so ist.“ Später war Züll im Pfarrgemeinderat und im Kirchenvorstand, spielte in der Kirche die Orgel. Aber Priester? „Nein!“ Die Antwort kommt entschieden. „Und schulisch war ich auch gar nicht gut genug.“

Zu Vorstellungsgesprächen war Züll bei der Post, im Einzelhandel, bei einem Vermessungsingenieur. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte.“ Zur Bahn brachte ihn dann eine Ausschreibung, „die mein Vater vom Kegelclub mitbrachte“. Fahrdienstleiter im Schichtdienst. Weichen stellen, Züge leiten. Er baute ein Haus, Familie sollte folgen. „Das war mein Plan. Nicht der Plan Gottes“, sagt er. Im April 2006 fuhr Züll mit einem Priester aus seiner Heimat nach Aachen. Es war Ostern. Im Dom hatte er die Idee: „Ich saß da und dachte: Wäre das nichts für dich?“ Nach Ostern legte Züll diesen Gedanken wieder ad acta. „Ich wollte mit niemandem darüber reden“, sagt er lachend. Nach ein paar Monaten öffnete er sich einem Priester, mit dem er seit langem befreundet ist. Der erzählte ihm von dem Seminar in Lantershofen, überredete ihn, gemeinsam dorthin zu fahren.

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Züll sträubte sich. Aber der Gedanke, Priester zu werden, der ließ ihn einfach nicht mehr los. „Als Priester kann ich den Menschen meinen Glauben auf eine Art und Weise verkünden, wie ich es sonst nicht könnte. Das ist meine Motivation. Ich kann den Menschen den Himmel öffnen“, sagt Züll. „Irgendwann habe ich mir dann ein Herz genommen. Wer weiß, ob ich später zufrieden bin mit meinem Beruf bei der Bahn? Und mehr als in die Hose gehen kann das Studium ja auch nicht.“ Ein Jahr darauf begann er in St. Lambert, ließ sich bei der Bahn beurlauben. Nur in den Ferien setzte er sich noch an die Schalthebel, um seine Ausbildung zu finanzieren. 2014 folgte die Priesterweihe. Der Spurwechsel von der Bahn zur Kirche war vollzogen.

Zurück auf der Schulbank

Allerdings war das mehr als nur eine simple Weichenstellung. Wieder die Schulbank zu drücken, das war nicht einfach. „Die erste Prüfung hat mich echt Nerven gekostet. Da habe ich richtig Bammel vor gehabt“, erinnert sich Züll. Schwer fiel es ihm auch, sich seinen Eltern zu offenbaren. Zwei, drei Monate habe er dafür gebraucht. Sein Haus übernahm dann zunächst der Bruder, mit der Priesterweihe verkaufte Züll es endgültig. „Diese Immobilie war wirklich zu einem Klotz am Bein geworden“, sagt er. Umso befreiter habe er sich gefühlt, als es weg war.

Nun wohnt Züll im Pfarrhaus in Blankenheim. Nach sieben Jahren in Eschweiler schickte ihn sein Bischof 2018 in die Eifel. Als es um den Priestermangel geht, wird seine Miene wieder nachdenklich. „Ich kann nicht sagen, woran es liegt.“ In Deutschland gibt es Stimmen, die die Aufhebung des Zölibats fordern. Für Züll keine Lösung. „Warum diskutieren Leute über den Zölibat, die ihn gar nicht leben? Andere Glaubensgemeinschaften haben keinen Zölibat und genauso einen Mangel.“ Er hat Recht: Auch die evangelische Kirche hat Nachwuchssorgen.

„Ich glaube, uns geht es hier ganz gut“, sagt Züll am Abend in der Kapelle St. Anna. Nach dem Gottesdienst schiebt er sich schnell zwei Gummibärchen in den Mund, dann geht es weiter. Züll muss schnell zum Auto. Eine Sitzung wartet.