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Das Ende der SchonfristUntersuchung zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln

Lesezeit 5 Minuten
Kardinal Woelki

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki

  1. Zwischen 1945 und 2014 wurden im Erzbistum Köln in 87 Fällen Geistliche des sexuellen Missbrauchs beschuldigt. In 21 Fällen wurden Sanktionen verhängt.
  2. Eine Kanzlei hat nun untersucht, „welche persönlichen, systemischen oder strukturellen Defizite in der Vergangenheit dafür verantwortlich waren, dass Vorfälle von sexuellem Missbrauch ggf. vertuscht oder nicht konsequent geahndet wurden“.
  3. Die Ergebnisse werden im März veröffentlicht. Was das für das Erzbistum bedeutet und welche Folgen die Untersuchung haben kann.

Köln – Das Erzbistum Köln wird am Donnerstag, 12. März, der Öffentlichkeit die Ergebnisse einer unabhängigen Untersuchung zum Umgang mit sexuellem Missbrauch vorstellen. Sie wurde von Kardinal Rainer Maria Woelki im Herbst 2018 bei der Münchner Kanzlei „Westpfahl Spilker Wastl“ in Auftrag gegeben. Die Kanzlei wird dem Kardinal den Abschlussbericht an diesem Tag übergeben und ihn zeitgleich der Öffentlichkeit vorstellen. Wie das Erzbistum am Mittwoch mitteilte, soll die strikte Unabhängigkeit der Untersuchung bis zur Veröffentlichung gewahrt bleiben. Das habe zur Folge, „dass auch der Erzbischof und alle Verantwortlichen erstmals in der Pressekonferenz zugleich mit der Öffentlichkeit über die Ergebnisse informiert werden“, heißt es in einer Stellungnahme.

Was hat die Kanzlei untersucht?

Laut Erzbistum geht es um die Frage, „welche persönlichen, systemischen oder strukturellen Defizite in der Vergangenheit dafür verantwortlich waren, dass Vorfälle von sexuellem Missbrauch ggf. vertuscht oder nicht konsequent geahndet wurden“.

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Welches Material stand der Kanzlei zur Verfügung?

Das Erzbistum hat nach eigenen Angaben „die einschlägigen Personal- und sonstige Akten“ offengelegt. Die Kanzlei habe den Auftrag zu klären, „ob die Vorgehensweise der damaligen Diözesanverantwortlichen jeweils im Einklang mit den Vorgaben des kirchlichen und des staatlichen Rechts stand“, heißt es in der Stellungnahme weiter. Überdies solle sie Vorschläge machen, wie sich mögliche Defizite oder Rechtsverstöße beseitigen lassen.

Der Bericht der Kanzlei sei „ein wesentlicher Baustein der Aufklärung und verfolgt im Wesentlichen die Ziele, mögliche Fehler und Versäumnisse von Verantwortlichen im Erzbistum Köln zu benennen, organisatorische, strukturelle oder systemische Defizite aufzudecken sowie Handlungsempfehlungen für den weiteren Umgang mit Fällen von sexualisierter Gewalt, auch über das Erzbistum Köln hinaus, aufzuzeigen“, heißt es weiter.

Das ist eine hohe Erwartungshaltung, oder?

Ja. Die Erwartungshaltung war von Beginn an hoch. Man hoffe auf konkrete Antworten auf die Frage „Wer hat im Erzbistum Köln wann und wo von Missbrauch gewusst“, sagte Oliver Vogt, ehemaliger Integrationsbeauftragter im Erzbistum Köln, im Herbst 2019 bei einem Podiumsgespräch in der Karl-Rahner-Akademie in Köln.

Seit 15. September leitet Vogt das neue Institut für Prävention und Aufarbeitung (IPA) von sexualisierter Gewalt auf der Burg Lantershofen in Rheinland-Pfalz. Das Institut soll mit externen Wissenschaftlern und Organisationen Standards für den Umgang mit dem Thema Missbrauch erarbeiten und ein „einheitliches Vorgehen“ in allen deutschen Bistümern fördern.

Warum hat das Erzbistum diese Untersuchung in Auftrag gegeben?

Das war eine Reaktion auf die sogenannte MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz, mit der diese das Ziel verfolgte, den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Verantwortungsbereich der Deutschen Bischofskonferenz zwischen 1946 bis 2014 zu erfassen. Die Ergebnisse wurden Ende 2018 vorgestellt und haben die Kirche in ihren Grundfesten erschüttert. Die Studie war von Wissenschaftlern der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen erstellt worden. Daher rührt das Kürzel MHG.

Zu welchen Ergebnissen ist die MHG-Studie gekommen?

Die Verfasser der MHG-Studie haben 238 000 Personal- und Handakten aller 27 deutschen Bistümer seit 1946 durchgesehen, 670 Kleriker als Täter identifiziert und 3677 Kinder und Jugendliche als Opfer. 62,8 Prozent waren männlichen, 34,9 Prozent weiblichen Geschlechts. Bei 2,3 Prozent fehlten die Angaben. Das Durchschnittsalter der Betroffenen, von denen das Alter bekannt war, liegt bei zwölf Jahren.

Fünf Prozent aller Priester haben Menschen missbraucht. Die in der Studie ermittelte Zahl von 3677 Menschen spiegelt nach Angaben der Forscher nur das sogenannte Hellfeld wider. Die Zahl der tatsächlich betroffenen Personen dürfte deutlich höher liegen.

Gibt es auch Zahlen für das Erzbistum Köln?

Nach Angaben des Kölner Erzbistums hat es zwischen 1945 und 2014 laut MGH-Studie insgesamt 87 Fälle gegeben, in denen Geistliche des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurden. 33 waren bereits verstorben, als der jeweilige Fall bekanntwurde. 31 Fälle konnten nicht mehr aufgeklärt werden. In 21 Fällen wurden Sanktionen verhängt. Zwei Geistliche waren erwiesenermaßen unschuldig.

Und worum geht es jetzt in der Untersuchung, die am 12. März vorgelegt werden soll?

Um die Frage, inwieweit Personen und Strukturen zur Vertuschung und Verschleierung des sexuellen Missbrauchs beigetragen haben. „Und da werden auch Namen genannt, da gibt es kein Tabu“, sagte der Kölner Generalvikar Markus Hofmann in einem Gespräch mit der „Kölnischen Rundschau“, das der Presseerklärung des Erzbistums angehängt ist. „Von den Erzbischöfen über die Generalvikare bis hin zu den Personalverantwortlichen“. Der Generalvikar leitet als Vertreter des Bischofs die Verwaltung einer Diözese. Auch Fälle beschuldigter Laien im kirchlichen Dienst sollten untersucht werden. Das Verhältnis beträgt laut Hofmann etwa zwei Drittel (Kleriker) zu einem Drittel (Laien).

Was bedeutet tabulose Aufklärung genau?

Für Generalvikar Hofmann sind viele Fragen zu beantworten. „Wo wurde gegen staatliches und kirchliches Recht verstoßen? Falls ja, von wem und warum? Wo liegen Fehleinschätzungen vor, die in der damaligen Zeit weit verbreitet waren? Wo sind persönliche Fehler und Versäumnisse von Verantwortlichen geschehen? Gab es, gibt es organisatorische, systemische Ursachen? Was sind die Lehren für die Zukunft? Das ist das klare Mandat, das die Kanzlei vom Kardinal erhalten hat“, so Hofmann.

Was könnte das für Folgen haben?

„Wenn sich persönliche Schuld herausstellt, dann kann ich die Forderung nach Rücktritt verstehen“, sagt Generalvikar Hofmann. Man müsse aber jeden einzelnen Fall genau analysieren. „Liegt beispielsweise ein Fall vor, bei dem wir zwar aus heutiger Sicht sagen können, da wurde falsch gehandelt, aber aus der damaligen Kenntnislage war das Vorgehen nicht schuldhaft, dann wird man das differenziert bewerten müssen. Oder hat jemand wissentlich Täter geschützt? Das wäre ein ganz anderer Fall. Ganz klar ist aber, dass, wenn strafrechtliche Konsequenzen folgen müssen, die Fälle an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden“, so Hofmann.

Das Erzbistum sagt, es werde die Ergebnisse der Untersuchung zeitgleich mit der Öffentlichkeit erfahren. Was bedeutet das für Verdachtsfälle, die in ihr enthalten sein könnten und für mögliche strafrechtliche Folgen?

Auf diese Nachfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ heißt es vom Erzbistum lediglich: „Die von Ihnen aufgeworfene Frage, ob und wie eine durch das Erzbistum ungeprüfte Veröffentlichung des Berichts in Einklang mit den Rechten betroffener Personen zu bringen ist, nehmen wir sehr ernst.“