Blumenthal/Wiesen – 90 Meter sind es vom Standort von Carmen Manderfeld am Rande des Reifferscheider Bachs bis zur Einmündung in die Olef. Von hier aus ist deutlich zu sehen, welchen Weg vor vier Monaten die Wassermassen durch Blumenthal genommen haben und welche Veränderungen es dadurch an den Gewässern gegeben hat. Schnurgerade hatten die Menschen den Bach zwischen den Grundstücken hindurchgeleitet – bis zum Hochwasser. Dabei wurde auch das Erdreich am Fundament des Netto-Markts weggespült, stattdessen ist ein Loch in die Uferböschung gegraben. Teilweise sind Büsche abgeknickt, die sich zwischen den Findlingen angesiedelt hatten.
Für Manderfeld erzählt die Stelle eine Geschichte: Was ist passiert in dieser Nacht, als die kleinen und die großen Fließgewässer über die Ufer traten? Woher kam das Wasser, wohin ging es? Warum sind welche Veränderungen eingetreten? Und viel wichtiger: Was ist zu tun, um zu verhindern, dass beim nächsten Hochwasser wieder so massive Schäden verursacht werden?
Manderfeld ist Diplom-Geographin und in Losheim ansässig. Mit ihrem Kollegen Ingo Nienhaus, Inhaber des Planungsbüros „Die Gewässer-Experten“, war sie im Auftrag der Kommunen unterwegs, um die Schäden an Bächen und Flüssen zu kartieren und Hinweise zu geben, wie damit umzugehen ist. Allein in der Gemeinde Hellenthal sind sie für ihr Gutachten 66 Fließgewässer abgegangen, haben dabei 166 Kilometer zurückgelegt.
Der Einsatz einer Drohne sei nicht möglich gewesen, da die Bäume noch voll belaubt gewesen seien. „Wir haben stattdessen mit einem GIS (Geographisches Informationssystem) gearbeitet, mit dem wir alle notwendigen Daten auf dem Handy zusammengestellt haben“, erläutert sie. Damit seien sie die Bäche von der Quelle bis zur Mündung abgegangen und hätten alle Schäden mit Fotos und GPS-Markierung festgehalten. „Aus der Kartierung der Schäden entwickeln wir die Schutzmaßnahmen. Das ist auch wichtig für Förderungen“, so Manderfeld.
Das Gutachten
„Nicht alles, was Gewässer angerichtet haben, ist schädlich“, so Manderfeld. In vielen Bereichen habe auch eine ökologische Entwicklung begonnen, in die nicht eingegriffen werden müsste.
Allein für Hellenthal aber hat das Planungsbüro „Die Gewässerexperten“ nach der Hochwasserkatastrophe 715 Stellen im Gemeindegebiet aufgelistet, an denen etwas getan werden muss. 59 Maßnahmen müssten sofort in Angriff genommen werden, stellten sie in ihrem Gutachten fest. Bei einem Teil davon wurde bereits mit dem Arbeiten begonnen. (sev)
An dieser Stelle nahe des Kreisverkehrs seien Ufermauer und Fundament erodiert worden. „Der Bach hat hier keine natürliche Form mehr und ist eingepfercht“, erläutert sie. Er sei kein natürliches Gewässer mehr, habe keine Auenanbindung. „Wenn das Gewässer sich an einer Brücke staut, fließt es stoßartig weiter und wird unkontrolliert“, erklärt die Geographin. Wenn es in den Bereichen Senken gebe, weiche das Gewässer in seinen alten Verlauf aus und fließe dort, wo es nicht geplant sei. Für Geographen ist der Hochwasserschutz ein wichtiges Thema. Sie halten auch die Ökologie im Blick, den Artenreichtum und die Diversität. Doch im Vordergrund stehe die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass Menschen an Gewässern leben können, so Manderfeld. Viel sei über Totholz geschimpft worden, das die Durchflüsse der Brücken verstopft habe. Doch dies sei oft auch etwa durch Gastanks geschehen. Es sei möglich, Totholzfänger zu installieren.
Für das Gebäude des Netto-Markts hat sie sofort Vorschläge parat, wie verhindert werden kann, dass das Fundament noch einmal unterspült wird: „Es gibt Spundwände oder schlafende Sicherungen im Boden, die mit Abstand eingebaut sind.“ Auch sei es möglich, das Ufer so zu gestalten, dass das Gewässer mehr Platz hat: „Das wäre auch Gewässerentwicklung.“
Wo es möglich sei, soll das Ufer wiederhergestellt werden. Doch es gebe Stellen, wo es nach hinten gesetzt werde. „Große Findlinge haben übrigens im Hochwasser gehalten“, hat sie festgestellt. Die seien überhaupt nicht so verkehrt, weil sie auch Lebensräume und Schlupfwinkel für Fische und Insekten bieten. „Als Ökologe würde ich sagen, es ist zu viel in Ufernähe gebaut worden“, stellt sie fest. Doch es könne nicht alles zurückgebaut werden. Viele Gebiete seien nicht in der Hochwasserkarte erfasst gewesen: „Hochwasser ist nicht gleich Hochwasser, die Natur bleibt ein unwägbarer Faktor.“ Viele Möglichkeiten für den Hochwasserschutz gebe es – von Rückhaltebecken bis zu Flutmulden. So habe der Bau einer Flutmulde am Bornheimer Bach kurz vor der Katastrophe für Bornheim das Schlimmste verhindert.
Die Region müsse im Ganzen betrachtet werden, betont Manderfeld. Ein Beispiel dafür ist das Grundstück von Maria Krüger in Wiesen. Hier hat der Wolferter Bach große Teile abgetragen und sich auf das Haus zubewegt. Sogar der Grenzstein sei weggeschwemmt worden, berichtet sie. Um zu verhindern, dass die Böschung bei einem erneuten Hochwasser weiter abgetragen wird, soll die Ufersicherung mit großen Steinblöcken erfolgen. „Außerdem muss es im oberen Bereich des Baches mehr Retentionsflächen geben“, betont Manderfeld.