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Flutnacht in EuskirchenDrei Männer retten Businsassen vorm Ertrinken

Lesezeit 6 Minuten

Wiedersehen nach drei Monaten: die Eheleute Christel und Ulrich Daniel aus Schweinheim mit ihren Rettern Sascha Schah (v.l.), Niklas Roggendorf und Tobias Engels.

Schweinheim/Kreis Euskirchen – „Ich habe gedacht, dass ich jetzt ertrinke“, erinnert sich Christel Daniel an die dramatischen Minuten des 14. Julis. Der 82-jährigen Schweinheimerin stand gegen 23 Uhr das Wasser buchstäblich bis zum Hals – in einem Reisebus. In dem war die Seniorin am Abend der Flutkatastrophe mit ihrem Mann Ulrich (83) und neun weiteren Evakuierten aus Schweinheim und Flamersheim auf dem Weg in die Notunterkunft in der Weilerswister Gesamtschule.

An der Unterführung der L 194, in Höhe der Zuckerfabrik, kurz vor der Kreuzung „Krusche Boom“, geschah es: Der Bus blieb in den Wassermassen stecken, schwamm auf und drohte auf die Seite zu kippen. „Wir sind immer wieder von rechts nach links und zurück, um den Bus im Gleichgewicht zu halten“, erinnert sich Christel Daniel.

Erst als es den Insassen gelungen war, eine Tür zu öffnen, stabilisierte sich der Bus. Doch durch die Tür drang Wasser ins Innere – erst bis zu den Knöcheln, dann bis zur Brust. Und es stieg weiter.

„Mein Mann war noch im Bus. Ich wollte nicht ohne ihn gerettet werden“

Als die Eheleute Daniel die Hoffnung auf Rettung schon fast aufgegeben hatten, kam aus dem Nichts Hilfe. Niklas Roggendorf hatte sich durchs Wasser zum Bus gekämpft. Der 24-Jährige legte seine Arme um die Seniorin, die sich krampfhaft an die Bustür klammerte.

„Mein Mann war noch im Bus. Ich wollte nicht ohne ihn gerettet werden“, so die Schweinheimerin. Letztlich ließ sie los. Wohl auch, weil mit Tobias Engels der nächste Retter schon wenige Meter vom Bus entfernt war. Der Zülpicher kümmerte sich um Ulrich Daniel und brachte auch ihn schwimmend in Sicherheit.

Das hatte zu diesem Zeitpunkt der Busfahrer schon getan. „Er hatte sich durch das Fenster an der Fahrerseite befreit – während die Insassen um ihr Leben kämpften“, berichtet Sascha Schah. Der Wichtericher stand ebenfalls bis zur Brust im Wasser und zog die Insassen die letzten Meter aus dem Wasser. Wegen seiner Herzerkrankung konnte er sich nicht ins Wasser stürzen, half aber auf diesem Weg so gut er konnte.

Wiedersehen nach drei Monaten

Jetzt, gut drei Monate nach der Hochwassernacht, kam es zum ersten Wiedersehen der Geretteten und der Helfer, die in den Minuten und Stunden im Bereich der Unterführung selbstlos ihr Leben riskierten. Deren einhellige Meinung: Sie würden es jederzeit wieder tun.

„Du blendest in diesem Moment alles aus, willst nur helfen“, sagt Tobias Engels, der mit seinem Freund Sascha zufällig an der Unterführung vorbeikam. Auch Roggendorf war zufällig vor Ort, hatte aber zwischenzeitlich sogar mithilfe des Traktors seines Vaters bereits zwei Autos aus dem Wasser gezogen.

Schweinheim für Schweinheim

Sie haben zahlreichen Menschen in der Hochwassernacht das Leben gerettet: Niklas Roggendorf, Tobias Engels und Sascha Schah. Für ihren selbstlosen Einsatz bedankten sich die Schweinheimer bei dem Trio nun während des Helferfests auf dem Dorfplatz.

An der Veranstaltung nahm auch eine Abordnung aus Aschaffenburg teil. Dort gibt es einen Stadtteil, der auch Schweinheim heißt. Wenige Tage nach der Flutkatastrophe nahmen die Schweinheimer Kontakt zu den Schweinheimern auf. Seitdem arbeiten beide Orte eng zusammen. „Wir tun, was wir können, um Schweinheim wieder so schön zu machen, wie es vor dem Hochwasser war“, sagt Marcus Weber, stellvertretender Vorsitzender des Vereinsrings des Schweinheims in Aschaffenburg.

Bereits 15 000 Euro habe man an finanzieller Hilfe zusammenbekommen. Aber auch Werkzeug und andere Sachspenden seien schon überreicht worden, so Weber. Zudem haben die Bayern die Patenschaft für die Dorfkneipe übernommen und freuen sich bereits jetzt auf den Besuch der Euskirchener Schweinheimer, die mit einer Abordnung am 21. Oktober nach Aschaffenburg fahren werden.

Besucht hat am Dienstag auch der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki den vom Hochwasser stark betroffenen Ort. „Er ist 45 Minuten durchs Dorf gelaufen und hat sich ein Bild von den Zerstörungen gemacht“, berichtet der Schweinheimer Karl Kreuzberg: „Zuspruch und Solidarität standen im Vordergrund. Es ging zu keinem Zeitpunkt um Kirchenpolitik.“ Kardinal Woelki schaute sich die Schweinheimer Kirche an und nahm an der Dorfversammlung auf dem Dorfplatz teil. Auch dort suchte der Kardinal laut Kreuzberg den Kontakt zu den Dorfbewohnern. (tom)

Als die Helfer die Insassen des Busses gerade in Sicherheit gebracht hatten, steuerte ein Pick-up auf die Unterführung zu. Und fuhr direkt in die Wassermassen hinein. „Es war dunkel. Der Fahrer sagte, dass er das Wasser schlichtweg nicht gesehen habe“, erinnert sich Engels. Der Fahrer und seine Beifahrerin retteten sich zunächst aufs Dach des Autos. Von dort aus sprangen sie ins Wasser, als die Helfer sich wieder zum Pick-up vorgekämpft hatten. „Plötzlich hörte ich ein Rascheln im Gebüsch. Ich habe immer wieder ins Dunkel gerufen, aber ich erhielt keine Antwort“, erinnert sich Engels. Kein Wunder, denn im Gebüsch saß Hermann. Der Pitbull des Pick-up-Fahrers. „Der Hund war sehr zutraulich. Wenn er gekonnt hätte, hätte er wohl mit uns gespielt“, so Roggendorf, der Engels zur Hilfe gekommen war.

Weil die Strömung in der Unterführung mittlerweile deutlich stärker geworden war, kämpfte sich das Duo mit dem Hund auf die Eisenbahnbrücke durch. „Ich habe Sascha zugerufen, dass wir zu Fuß zum Bahnhof gehen und er uns dort einsammeln soll“, erzählt der Zülpicher Engels. Hund Hermann packte das Trio dann in den Kofferraum und brachten ihn zu seinem Besitzer zurück, der klitschnass an der Kreuzung „Krusche Boom“ wartete. „Als er Hermann wieder in den Arm nehmen konnte, hatten gefühlt beide Tränen in den Augen“, so Sascha Schah. Die letzten Spuren dieser denkwürdigen Nacht, tiefe Kratzer an den Armen, seien erst vor wenigen Tagen verheilt, sagte Engels, der sich blutige Füße auf dem Weg über die Gleise bis zum Bahnhof holte.

Gerettetes Ehepaar aus Schweinheim sucht nach seinen Rettern

Und die Eheleute Daniel? Auf die wartete auf der Kreuzung bereits der nächste Bus, der sie nach Weilerswist fuhr – genau wie die anderen Insassen, die ebenfalls alle gerettet wurden. „Überall dort, wo wir gesessen hatten, war es danach nass“, sagt Ulrich Daniel. Erst am nächsten Tag habe er trockene Kleidung erhalten – von Flamersheimern, die zwischenzeitlich ebenfalls evakuiert worden waren, weil der Damm der Steinbachtalsperre zu brechen drohte.

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„Wir hatten nichts dabei. Nur das, was wir am Leib hatten“, sagt seine Frau. Zwar habe man noch einen kleinen Koffer gepackt, doch der stand auch fünf Tage später – als die Einwohner von Flamersheim, Palmersheim und Schweinheim wieder in ihre Häuser durften – noch genau da, wo die Daniels ihn unmittelbar vor der Evakuierung abgestellt hatten.

Nachdem die Eheleute Daniel wieder zu Hause waren, begann die Suche nach den Rettern. Mithilfe der Sozialen Netzwerke wurden sie schließlich fündig. „Das war uns eine Herzensangelegenheit“, sagt die 82-Jährige, die sich mit ihrem Mann in einem längeren Gespräch bei dem Trio bedankte. Und den Rettern ein kleines Präsent überreichte. „Das ist für Sie. Das dürfen Sie jetzt ganz selbstlos behalten“, sagte die Seniorin.