Sechs Gäste im Alter zwischen 16 und 92 Jahren: Im Redaktionsgespräch zum Jahreswechsel gab es erstaunlich viel Übereinstimmung zwischen Alt und Jung.
Zum JahreswechselBei welchen Themen es im Kreis Euskirchen zwischen den Generationen hakt
Es wurde diskutiert und gelacht. Es gab Differenzen, doch ebenfalls einige überraschende Übereinstimmungen. Auch für die Redaktion war es ein Experiment, keiner der Beteiligten wusste genau, was auf ihn zukommen würde: Beim ersten Generationengespräch der Euskirchener Lokalredaktion dieser Zeitung trafen Jung und Alt aufeinander, erzählten von ihren Wünschen und Zukunftsängsten, aber auch davon, was ihnen zum Jahresende Mut macht und was sie sich von der anderen Generation erhoffen. Wie unterscheiden sich die Eindrücke und wo konnten sich die Gesprächspartner einigen?
Krisen – das sei das Wort, das das Jahr 2022 am besten beschreibe, sagte Wilfried Bröhl (76): „Die Vielzahl der Krisen, die wir jetzt haben, verbinde ich auch immer mit dem neuen Jahrzehnt“, erklärte der Euskirchener: „Energiewende, Flut – alles hat uns mehr oder weniger betroffen.“ Katastrophen seien plötzlich ganz nah an den Einzelnen herangerückt und die Auswirkungen seien deutlich spürbar.
Die Schülerinnen Hannah Altendorf (16) und Loredana Schulz (17), die beide das Mechernicher Gymnasium besuchen, beschäftigt vor allem der Ukraine-Krieg. „Gerade wir sind in einer Zeit aufgewachsen, wo eigentlich immer alles gut war. Wir kennen das nicht, dass es solche Probleme gibt wie im Moment“, so Altendorf: „Den Krieg erleben wir auch ganz stark durch die Willkommensklassen an unserer Schule.“ Plötzlich erhielten neue Schülerinnen und Schüler an ihrem Gymnasium Deutschunterricht. „Da denkt man sich dann: krass. Das hat man vorher ja nie mitbekommen“, sagte sie.
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„Ich war 13, da fing das mit Corona an. Jetzt bin ich 16“
Was für die einen eine Ausnahmesituation ist, sei für viele junge Menschen zum Alltag geworden, ist die Schülerin überzeugt: „Ich war 13, da fing das mit Corona an. Jetzt bin ich 16. Das sind ja auch wichtige Jahre, die Teenagerzeit. Ich sehe, was meine älteren Geschwister in der Zeit gemacht haben. Und ich saß eigentlich die ganze Zeit zuhause.“ Trotzdem beharrte sie: „Ich finde, uns geht es eigentlich noch ziemlich gut“ und: „Ich finde, was wir lernen müssen, ist einfach mit der Situation umzugehen.“
Für diese Worte erhielt die Schülerin viel Anerkennung von der älteren Generation. „Ich finde es toll, dass sie sagt: ,Uns geht es ja noch gut’. Das ist ja auch so“, sagte Hubertine Steinhausen (92) aus Euskirchen. Auch die Zülpicherin Christel Eppelt (63) lobte die Aussage und ergänzte: „Die Deutschen vergessen das oft und beklagen sich.“ Auch Wilfried Bröhl (76) beschäftigt der Ukrainekrieg. Er spüre die Auswirkungen der ganzen Krisen aber auch im Privaten: „Einer meiner Söhne hat Kinder und möchte seit sechs, sieben Jahren Eigentum erwerben.“ Mittlerweile habe sich besagter Sohn mit der Idee arrangiert, dass das wahrscheinlich nicht mehr möglich sei.
Mona Noé (28) aus Gemünd, die sich in der Klimabewegung engagiert, sagte dazu, dass sie nicht finde, dass jeder ein Anrecht auf ein eigenes Haus mit Garten habe. Vielmehr handele es sich dabei um ein Privileg. Auch persönlich hat sich die 28-Jährige bereits mit dem Thema auseinandergesetzt: „Ich sehe definitiv nicht, dass ich irgendwo baue.“ Vor allem die Flutkatastrophe habe ihr vor Augen geführt, dass der Klimawandel sie unmittelbar betreffe: „Im Moment möchte ich keine Kinder in diese Welt setzen.“ Bröhl widersprach: „Ihre Meinung akzeptiere ich, nun muss man aber auch sagen, dass nicht jeder so denkt.“ Er betonte, dass er jeden Lebensentwurf unterstütze, auch den eines klassischen Familienbilds mit einem eigenen Haus.
Im Seniorenheim bringt Corona noch Einschränkungen
Eppelt warf ein: „Es gibt ja kein Richtig oder Falsch. Ich hab’ das Gegenbeispiel: Meine drei Töchter sind nach Köln gezogen, in die Großstadt, und haben da gemeinsam gebaut.“ Ihre Töchter hätten sich dazu entschieden, mit ihren insgesamt sechs Kindern in ein Haus zu ziehen, damit diese miteinander aufwachsen können. „Das war während Corona so gut, weil die Kinder alle zusammen spielen konnten“, so Eppelt weiter.
Während vor allem die jüngeren Gesprächsteilnehmerinnen sich bereits mit Corona arrangiert hätten, bedeute die Pandemie für die ältere Generation nach wie vor Einschränkungen, erinnerte Steinhausen. So erhielten die jungen Gäste durch das Gespräch Einblicke in das Leben in einem Seniorenwohnheim. „Ein normales Leben ist für ältere Menschen in einer solchen Einrichtung immer noch kaum möglich“, sagte die Euskirchenerin, selbst Bewohnerin einer solchen Einrichtung. Nach wie vor müssten Gäste immer Mundschutz tragen, das Miteinander sei stark eingeschränkt, während draußen fast alles wieder beim Alten sei. „Die Gemeinschaft leidet natürlich darunter“, so die Seniorin: „Früher aß man zusammen im Speisesaal. Das fällt jetzt alles weg.“
Schülerin Hannah Altendorf stimmte zu: „Ich selbst fühle mich gar nicht mehr so beeinträchtigt durch Corona. Aber gerade das jetzt zu hören, das war mir ehrlich gesagt gar nicht bewusst, dass das dort immer noch so präsent ist.“ Als die Frage aufkam, was sich die Anwesenden für das kommende Jahr wünschten, knüpfte Noé direkt an die vorigen Themen an: „Ich hoffe einfach, gerade weil wir das Gefühl haben, die Krisen und das Schlechte in der Welt ist so nah und greifbar gerade, dass wir gesamtgesellschaftlich endlich lernen, Schlüsse zu ziehen und systemisch umdenken.“
Viel Übereinstimmung beim Thema Ernährung
Auch in vielen anderen Punkten waren sich die beiden Generationen überraschend einig. „Ich finde das interessant, wie manche Ideen immer wieder kommen“, bemerkte Christel Eppelt, als Noé über ihr Engagement bei „Fridays for Future“ erzählte. „Vor 45 Jahren oder so gab es mal ein Buch namens ,Weniger ist mehr’. Da ging es darum, wie wir uns nachhaltiger ernähren“, erinnerte sie sich und bemerkte beiläufig: „Ich bin ja sowieso ein bisschen Außenseiterin, weil ich schon über 40 Jahre vegetarisch lebe.“ Schnell zeigte sich: Nur zwei der sechs Gäste essen Fleisch, Noé lebt sogar vegan. Die von der Redaktion bereitgestellte Brötchenplatte war damit für die meisten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer weniger interessant – hier fand sich viel Wurst.
Luxusprobleme, könnte man meinen, vor allem in Anbetracht dessen, dass die 92-jährige Hubertine Steinhausen noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Doch die freute sich darüber, dass sich die jungen Gäste so intensiv Gedanken um eine nachhaltige Ernährung machten: „Ich finde das toll!“ Auch Wilfried Bröhl erzählte, dass ihn seine Frau animiert habe, vegetarisch zu leben. Als Loredana Schulz über ihre Zukunftswünsche sprach, gab sie zu, ratlos zu sein: „Ich weiß nicht, ob ich nach der Schule studieren will oder eine Ausbildung mache. Ich habe keinen Plan.“ Mitschülerin Hannah sah das ähnlich: „Ich fühle mich alleingelassen, auch in der Schule, was das angeht.“
Als die jungen Teilnehmerinnen erzählten, was sie sich von der älteren Generation wünschen, kam es erneut zu einer Diskussion. „In dieser Runde waren alle sehr offen, aber ich habe auch schon Ältere getroffen, die nicht so offen gegenüber der jungen Generation waren“, sagte Schulz. „Gibt es das denn so, die neue Generation und die alte Generation?“, entgegnete Eppelt: „Ich kenne aus der neuen Generation welche, die machen Kreuzfahrten und Flüge und welche, die haben damit nichts am Hut. Und ich kenne genauso viele Alte, die sagen: ,Ja, ich weiß, das ist nicht gut, aber ich mache es trotzdem’.“ Bröhl ergänzte: „Also mir wäre eine generelle Jugendskepsis nicht bewusst. Und wenn, täte es mir leid.“ Noé griff schlichtend ein: „Ich glaube, es würde generell beiden Seiten gut tun, verbal ein bisschen abzurüsten und aufeinander zuzugehen. Für die Alten, sich nicht vor den Kopf gestoßen zu fühlen von progressiven Ideen. Und für die Jungen, sich auch mal zurückzunehmen und zu sagen: Da sind Menschen, die haben Jahrzehnte Lebenserfahrung, das hat auch seinen Wert.“
Was die Älteren den Jungen noch mit auf den Weg geben wollen? „Dass nichts nur schwarz oder weiß ist, sondern dass es ganz viele bunte Töne dazwischen gibt“, sagte Eppelt. Steinhausen erinnerte sich an die Worte einer 100-jährigen Freundin auf die Frage: „Wie wird man 100?“: „Sie sagte: ,Man lässt alles auf sich zukommen’.“ Bröhl ergänzte: „Planen ist das eine, aber wie das Leben läuft, ist was ganz anderes.“