Kreis Euskirchen – Die Frage, ob, wie und wann die A1 je fertig gebaut wird, beschäftigt die Menschen seit Jahrzehnten. Pläne, Gutachten und Erklärungen, Proteste, Unterschriftensammlungen und Klageandrohungen gibt’s zuhauf – und die Straße endet nach wie vor in Blankenheim. Eine Chronik:
1971
Aus Richtung Norden kommend hat die A1 gerade Köln passiert: Bis Frechen ist die Autobahn fertig. Festgelegt wird am 14. Mai die Trassenführung von Mechernich nach Blankenheim. Dass die Trasse sich „günstig den vorhandenen Geländeformen“ anpasst, ist einem Info-Schreiben der Straßenbauabteilung des Landschaftsverbands Rheinland genauso zu entnehmen wie die Aussage, dass ein „bestmöglicher Kompromiss“ zwischen den Belangen des Verkehrs, der städtebaulichen Entwicklung sowie des Umweltschutzes und der Land- und Forstwirtschaft gefunden wurde. Und dann heißt es da: „Es wurden keine zeitverzögernden Einsprüche geltend gemacht.“ Wie sich die Zeiten ändern sollten...
1978
Die Herren tragen Anzüge mit Schlaghosen und breiten Revers, als sich die Honoratioren im August in Wißkirchen treffen. Der symbolische Spatenstich zum Bau der Autobahn Richtung Eifel steht an. Den Job an der Schüppe übernimmt Oberkreisdirektor Karl-Heinz Decker.
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1981
Die A1 ist bis Mechernich im Prinzip fertig. Doch oh Schreck: Im Mai macht die Nachricht von „Geisterautobahnen“ die Runde. Die Bundeskasse ist leer, es muss gespart werden. Erledigt werden soll nur das, wofür bereits Aufträge vergeben sind. So wird befürchtet, dass fehlende Leitplanken und Markierungen dazu führen, dass die schicke neue Autobahn zunächst ungenutzt bleibt. Doch so weit kommt es nicht. Am 21. Dezember wird das 8,6 Kilometer lange Teilstück von Wißkirchen bis Mechernich eröffnet. Den Job an der Schere zum Durchtrennen des Bandes übernimmt Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff.
1982
13,4 Autobahn-Kilometer bis Blankenheim stehen kurz vor ihrer Vollendung. 2,2 Millionen Kubikmeter Erde sind bewegt, 246000 Quadratmeter bituminöse Befestigung aufgebracht, 15 Brücken gebaut – darunter die 800 Meter lange bei Zingsheim –, 500 Verkehrsschilder aufgestellt und 93,76 Millionen Mark investiert. Am 22. September wird die Straße eröffnet. Den Job an der Bake zur Freigabe übernimmt Verkehrsminister Volker Hauff (SPD). Und das, ob wohl er vom Eifeler CDU-MdB Peter Milz ausgeladen ist. Kurz zuvor ist Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt worden, was Milz zu dem Kommentar nutzt: „Der Minister hätte besser daran getan, seinen Schreibtisch in Bonn zur Amtsübergabe aufzuräumen.“
Die Bürgerinitiative
Sorgen und Protest der Gegner gehen mit jedem Frohlocken der Befürworter einher, wenn sich Bewegung hin zum Lückenschluss andeutet. Die Bürgerinitiative gegen den Weiterbau der A1 hat sich 1993 formiert.
Sie und Naturschutzverbände machen seit Jahren Front gegen das Projekt. Die intakte Natur und das Vorkommen bedrohter Arten wie Schwarzstorch und Haselhuhn seien deutlich höher zu werten als der millionenteure Bau einer aus ihrer Sicht unnötigen Autobahn. Lärm, verschmutzte Luft und ein erhöhtes Krebsrisiko führen sie als Punkte gegen die A1 ins Feld.
Die Argumentation, die unfallträchtige B51 durch die Autobahn zu entlasten, halten sie für zynisch. „Was hindert Verantwortliche, Unfallschwerpunkte zu entschärfen?“, so Hanna Sigel von der Initiative gegen den A1-Weiterbau 2004. (rha)
Und dann? Die Lücke klafft seitdem in der A1. „Wann mit dem Bau dieses Streckenabschnitts begonnen werden kann, ist derzeit noch ungewiss“, heißt es in der LVR-Info Anfang der 1980er. Von den 1990er Jahren ist mal die Rede. Doch Lambsdorff hat wohl den richtigen Riecher: 1990 liege vielleicht eine andere Situation vor, sagt er. Den „ungebremsten Ausbau früherer Jahre“ gebe es nicht mehr. Und: Es müsse mehr denn je abgewägt werden zwischen wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Vorteilen einerseits und Schäden für Landschaft und Umwelt andererseits. Wie recht er haben sollte: Es kommt die Deutsche Einheit. Es regen sich massive Widerstände. Und es kommt das Haselhuhn.
1998
Norbert Lammert, zu der Zeit Parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium, besucht das Autobahnende. Seine klare Botschaft: „Den Lückenschluss der A1 hält die Bundesregierung für zwingend geboten.“ Genauso klar ist seine Einschränkung: Skepsis sei angebracht, dass der Lückenschluss im nächsten Fünf-Jahres-Plan (2000 bis 2005) komplett abgewickelt sein könnte. Die Zahlen werden vorsorglich nach oben korrigiert: Nach zunächst kalkulierten 500 Millionen Mark ist nun von 870 Millionen die Rede.
2002
16 Aktenordner füllen Pläne, Berechnungen und Gutachten. Neue Naturschutzgesetze und -verordnungen haben die Planer immer wieder zum Umdenken gezwungen. Die Ausweisung des FFH-Schutzgebiets beispielsweise hat den Plan der 920 Meter langen Ahrtalbrücke notwendig gemacht. Nun sind die Pläne fertig. Der Baubeginn für das 14,5 Kilometer lange NRW-Teilstück des Lückenschlusses wird für das Jahr 2004 avisiert – wenn denn Geld dafür da ist.
2003
Der Grüne Punkt ist wieder da. Nein, hier geht es nicht um das Recycling-System, sondern um Dringlichkeiten. Und wer einen Grünen Punkt hat, ist nicht dringend. In diesem Fall hat es den Lückenschluss getroffen – eine Verschiebung um mindestens zwei Jahre ist die Konsequenz.
2004
Das Haselhuhn betritt die Bühne der A1-Debatte (siehe „Das Wappentier“). Fortan wird es in der Eifel zum geflügelten Wort für alles, was nicht voran geht.
2005
In Rheinland-Pfalz haben die Bauarbeiter ihr 2,6 Kilometer langes Werk vollbracht. Das Teilstück zwischen Daun und Rengen wird freigegeben – und die Hoffnung geäußert, dass die verbleibenden 33 Kilometer in den nächsten zehn Jahren gebaut werden.
2010
Jahre des Planens, Debattierens und der Erklärungen sind ins Land gegangen. 2007 ist es die „Nettersheimer Erklärung“, mit der unter anderem die Industrie- und Handelskammern für den A1-Weiterbau eintreten, nun sind es Unions-Politiker beider Bundesländer, die sich des Themas annehmen. Von 459,6 Millionen Euro ist für die 33 Kilometer zwischen Blankenheim und Daun die Rede.
Das „Wappentier“
Das Haselhuhn ist 35 bis 40 Zentimeter groß, 310 bis 490 Gramm schwer und steht auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Es ernährt sich hauptsächlich vegetarisch und lebt versteckt in Wäldern mit viel Unterholz und gutem Beerenangebot. Nach einer Schätzung des Nabu gibt es in Nordrhein-Westfalen insgesamt 20 Reviere in drei Gebieten. Eins dieser Gebiete , in dem die scheuen Tiere leben, ist der Südkreis Euskirchen.
Seit 2004 ist das Haselhuhn das inoffizielle Wappentier der A1-Debatte. In der Beratung über die mögliche Ausweisung des Vogelschutzgebiets „Ahrgebirge“ informiert der damalige Blankenheimer Bürgermeister Karl-Heinz Gatzen die Politiker über die „angebliche Sichtung“ des Haselhuhns, das fortan „faktisch“ berücksichtigt werde. Es handelt sich demnach um einen Totfund auf der Aremberger Straße in Lommersdorf.
Als Fiktion und Mittel einer Verzögerungs- und Verhinderungstaktik wird das Tier fortan von den Autobahn-Befürwortern ins Feld geführt, als Symbol für schutzwürdige Interessen von Flora und Fauna von den Gegnern. (rha)
2011
Beim Lückenschluss geht nichts voran, es wird gestritten und demonstriert, Unterschriften dafür und dagegen werden gesammelt. Gebaut wird trotzdem: Zwischen Nettersheim und Blankenheim entsteht ein viel beachtetes Bauwerk. 2000 Tonnen Beton, 285 Tonnen Stahl und 50 Holzbogenträger bilden die rund 3,5 Millionen Euro teure Wildtierbrücke, über die Autobahn.
2012
Von den Grünen wird eine neue Variante ins Spiel gebracht. Anstelle des Lückenschlusses könne man die B51 ausbauen. Der Konter der A1-Befürworter lässt nicht lange auf sich warten: Als „Witz“ wird die Idee von der Union bezeichnet. Nicht verwunderlich: Es ist Wahlkampf in NRW – wie in jedem Wahlkampf kocht das A1-Thema hoch. In Rheinland-Pfalz ist man nicht untätig: Die Autobahn ist bis Kelberg fertig.
2013
In NRW wird das Planfeststellungsverfahren für den Abschnitt Blankenheim-Lommersdorf in die Wege geleitet. In Rheinland-Pfalz werden für den Bundesverkehrswegeplan die fünf Kilometer von Kelberg bis Adenau geplant. Die BUND-Landesverbände kündigen Klage dagegen an.
2014
Neue Pläne und Kostenschätzungen werden veröffentlicht. In drei Abschnitten – von Blankenheim bis Lommersdorf, bis Adenau und schließlich nach Kelberg – soll demnach der Lückenschluss aufgeteilt werden. Die 25,3 Kilometer werden mit 512 Millionen Euro kalkuliert.
2018
Noch bevor die neuen Pläne bekanntgegeben werden, wartet die FDP im April mit dem „Ostfriesenspieß“ auf: Der Kreis solle überlegen, ob er den Bauabschnitt von Blankenheim bis Lommersdorf vorfinanziert – das Geld könnte aus den rund 200 Millionen Euro der Deponie-Rückstellungen genommen werden.