Nettersheim – Albert Müllenborn ist sauer. Ebenso wie Theo Schruff, Gunther Simons und viele weitere Anlieger des Nettersheimer Genfbachs. Seit sieben Jahren liegt das Thema der Entwässerung der A1 und die damit verbundene Hochwassergefahr an dem Gewässer auf dem Tisch. Nachdem bereits eine Lösung zum Greifen nahe schien, ist nun wieder alles auf Anfang.
Seit die Autobahn GmbH die Verantwortung für die bundesdeutschen Fernstraßen in NRW vom Landesbetrieb Straßen NRW übernommen hat, gelten die bisher getroffenen Zusagen und Absprachen nicht mehr, was die Anlieger, die sich in der IG Genfbach organisiert haben, auf die Palme bringt.
„Jetzt sind wir die Dummen“
„Wir waren bereit, uns sachlich auseinanderzusetzen, haben uns immer zurückgehalten, und jetzt sind wir die Dummen“, sagt Theo Schruff. Die Behörde sperre sich seit Jahren gegen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und habe somit wider besseren Wissens die Katastrophe im Juli billigend in Kauf genommen. „Wir werden verarscht, das ist die Meinung aller Anlieger“, betont er. Mitglieder von rund 25 Haushalten haben eine Verlautbarung unterschrieben, in der sich die Anwohner gegen die Hinhaltetaktik der Behörde stellen.
2014 wurde bekannt, dass die Abwässer von der Autobahn weitestgehend ungeklärt über einen Vorfluter in den Genfbach eingeleitet werden. Für die Anlieger hat das seit Jahren spürbare Folgen. „Seit die Autobahn da ist, geht das immer schneller“, sagt Wolfgang Zimmermann, dessen am Genfbach liegendes Elternhaus bei der Flut schwer beschädigt wurde. Die Rohre, die von dort kämen, seien immer halbvoll. „Die Situation muss entschärft werden“, fordert er.
Absprachen gelten nicht mehr
Eigentlich waren mit Straßen NRW bereits Maßnahmen abgestimmt, die in 2022 umgesetzt werden sollten. Doch seit die Autobahn GmbH die Verantwortung hat, gelten die bisher getroffenen Absprachen nicht mehr.
Untersuchungsergebnisse der Vorgängerbehörde werden nicht anerkannt, die Autobahn GmbH bezieht sich stattdessen auf die Betriebserlaubnis von 1978. Doch ob diese überhaupt noch gültig ist, steht nicht fest, denn mittlerweile wurden die ursprünglich begrünten Mittelstreifen betoniert, was wieder höhere Wassereinträge zur Folge hat.
Die Verärgerung ist nachvollziehbar
„Ich habe tiefes Verständnis für die Verärgerung der Anwohner“, sagte Bürgermeister Norbert Crump. Eine Reihe von Maßnahmen sei gemeinsam abgesprochen gewesen. „Das ist deprimierend für die Menschen“, stellte er fest. Er habe gehofft, etwas machen zu können. Noch einmal habe er die Autobahn GmbH angeschrieben, damit Bewegung in die Sache komme.
Im Entwicklungs-, Planungs- und Bauausschuss der Gemeinde kündigte Crump an, mit einem Rechtsbeistand zu prüfen, ob andere Wege begangen werden könnten. „Wir können uns das fast so nicht bieten lassen“, sagte er im Ausschuss. (sev)
„Das ist ein Skandal“, schimpft Müllenborn. Menschen hätten ihr Hab und Gut und manche sogar ihr Leben verloren, ein gefühlskalter Bürokrat suche nach Gesetzeslücken, um aus der Verantwortung zu kommen. „In welcher Seifenblase leben die Zuständigen?“
Juli-Hochwasser hatte verheerende Folgen
Immer wieder steigt das Hochwasser bei den Anliegern des Genfbaches bis in die Häuser. Doch am 14. Juli waren die Folgen verheerend. Bei Albert Müllenborn mussten das Erdgeschoss und der Keller renoviert werden. „In meiner Nachbarschaft stehen drei Häuser leer, ein weiteres muss wahrscheinlich abgerissen werden“, berichtet Schruff. Seit der Flut ist in seinem Haus der Keller feucht, der überflutet war und nun ein Rohbau ist.
„Darüber hinaus sind zwei der drei Menschen, die in Nettersheim beim Hochwasser ums Leben gekommen sind, im Bereich des Zusammenflusses von Genfbach und Urft ertrunken“, erinnert Müllenborn.
Wasserprobe sorgt für Ärger
Ärger gibt es auch wegen einer Wasserprobe, die die IG Genfbach genommen hat und beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW analysieren ließ. Darin habe sich eine Vielzahl schädlicher Stoffe befunden wie Öl, Reifenabrieb oder Salz. „Im Genfbach ist schon lange kein Fisch mehr drin“, betont Schruff. Von dem mittlerweile funktionslosen Regenrückhaltebecken bei Engelgau laufe das Wasser ungeklärt in das Naturschutzgebiet, in dem auch mehrere Trinkwasserbrunnen seien. Doch die Behörde erkenne das Ergebnis nicht an, angeblich sei die Probe nicht fachgerecht genommen worden, so Schruff.
„Wir sind es leid, immer hingehalten zu werden“, moniert Albert Müllenborn. Zwei Behördenleiter des Landesstraßenbetriebs habe er bereits verschlissen, sagt er genervt. „Die suchen nicht nach Lösungen, die suchen nach Paragrafen, um dort rauszukommen“, ist er sich sicher.
Was ist der Grund für die Hinhaltetaktik?
Den Grund für die Hinhaltetaktik der Autobahn GmbH sieht die IG Genfbach darin, dass die Behörde befürchten könnte, dass weitere Versäumnisse ins Blickfeld rücken könnten. „Wie und wohin werden die Oberflächenwässer der A 1 hinter Zingsheim in Richtung Mechernich, Bad Münstereifel, Euskirchen und Weilerswist geleitet?“, fragt die Initiative in ihrem Schreiben. Was hätten Hochwässer in anderen Orten wie Pesch, Gilsdorf oder Eiserfey damit zu tun?
Nun wollen die Anlieger den Landtag mit der Bitte anschreiben, das Verhalten der Autobahn GmbH zu überprüfen. In ihrem Sinne sei auch eine Kleine Anfrage der SPD, die sich mit der Frage der Entwässerung der Autobahnen im Kreis Euskirchen beschäftige. Zudem würden Politiker kontaktiert.
Seit geraumer Zeit in Beobachtung
„Wir fordern eine sofortige Oberflächenwasserentsorgung der A 1 nach den heutigen Vorgaben“, sagt Schruff. Bei Untätigkeit stehe den Anwohnern des Genfbaches das nächste Hochwasser bevor.
Auf Anfrage dieser Redaktion teilte die Autobahn GmbH mit, dass die betreffende Einleitung der Abwässer in den Genfbach seit geraumer Zeit durch den Landesbetrieb Straßen NRW und seit dem Übergang zur Autobahn GmbH Rheinland im Januar 2021 beobachtet werde.
Allgemein lasse sich sagen, dass die Abwässer der Autobahn nur einen sehr geringen Teil der in den Genfbach eingeleiteten Mengen ausmachten. Da die Entwässerung der Autobahnen derzeit Gegenstand einer Kleinen Anfrage im Landtag sei, könne der Beantwortung an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden, berichtet der Unternehmenssprecher Sebastian Bauer auf Anfrage.